Nach Kritik am PEN Berlin: "Finde nicht, dass das ein Scheitern ist"
Die Autorin Simone Buchholz hat einen offenen Brief unterzeichnet, in dem viele prominente Autorinnen und Autoren die Mitglieder des PEN Berlin angesichts des dortigen Streits zur Mäßigung mahnen. Im Interview mit NDR Kultur spricht sie sich für Toleranz in der Debatte aus.
Die Mitglieder des PEN Berlin waren sich uneins, wie man sich beim Thema Nahost-Konflik positionieren wolle. Erst gab es eine Resolution, dann eine Gegenresolution, dann einen Kompromissvorschlag, dann kam es zum Knall: So in etwa kann man die aktuelle Dynamik beim PEN Berlin beschreiben. Manche Beobachterinnen und Beobachter schreiben angesichts des laufenden Streits von der "Selbstzerlegung des PEN Berlin", andere fragen: "Spaltet die Debatte die Schriftstellervereinigung?"
Frau Buchholz, es gibt spitzzüngige Kommentatoren, die den PEN Berlin in Anlehnung an Deniz Yücels Ausruf als "weitere Bratwurst-Bude" bezeichnen. Haben wir in Deutschland nun zwei Autorenvereinigungen, die zischend und brutzelnd im eigenen Saft schmoren?
Simone Buchholz: Nein, haben wir nicht. Es ist nun mal so: Wenn man so eine Menschenrechtsorganisation gründen will, muss man in Deutschland einen Verein gründen. Und zu einem Verein gehört, dass Mitglieder Anträge einbringen können - wie etwa Anträge für Resolutionen. Dann muss sich der Verein damit beschäftigen. Das ist das, was passiert ist. Ich glaube, niemand aus dem amtierenden Board hatte große Lust, sich mit Resolutionen zu beschäftigen - sie wollen eigentlich lieber Menschenrechtsarbeit machen, weil das schon anstrengend genug ist.
Es geht auch um große gesellschaftliche Fragen. Ist der PEN Berlin gescheitert mit dem Versuch, im Kleinen zu schaffen, was auch in der großen Gesellschaft ein Problem ist, nämlich Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen und ins Gespräch zu bringen?
Buchholz: Das muss ich klar verneinen, wir haben die Debatte zweieinhalb Stunden geführt. Das war auch sehr interessant und offen. Menschen haben versucht, über ein sehr kontroverses Thema, das gerade in Deutschland zu viel Zerwürfnis führt, miteinander zu reden. Und dann ist es ein bisschen eskaliert - wie immer, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die für etwas brennen.
Also würden Sie sagen: Der PEN Berlin hat vor allem schlechte Presse und in Wirklichkeit ist alles gar nicht so schlimm?
Buchholz: Resolutionen sind vor allem Botschaften nach innen bei so einem Verein oder Botschaften der Resolutionierenden an sich selbst. Nun sind von über 700 Mitgliedern insgesamt 50 ausgetreten - ich finde nicht, dass das ein Scheitern ist. Die große Mehrheit unserer Mitgliedschaft bekennt sich ganz klar zu dem Ziel von PEN Berlin, zu der eigentlichen Arbeit, die darin besteht, verfolgte Kolleg*innen aus ihren Ländern zu holen, in denen sie Repressionen ausgesetzt sind und ihnen hier in Deutschland ein sicheres Zuhause zu geben. Wir haben etliche Kolleg*innen mit Kindern hier, die, weil wir diese Arbeit gemacht haben und immer noch machen, nicht im Knast sitzen, sondern hier in Deutschland in Sicherheit leben können. Dafür brauchen wir vor allem Geld, und dafür müssen wir eine Öffentlichkeit generieren, die uns dann manchmal leider um die Ohren fliegt. Offenbar sind wir doch irgendwie interessant.
Kommt die wirklich wichtige Arbeit angesichts solcher Diskussionen nicht zu kurz?
Buchholz: Überhaupt nicht. Es ist wie ein Torhüter beim Fußball: Wenn er einen reinkriegt, schreiben alle drüber. Wenn er 30 Bälle hält, interessiert es keine Sau - es sei denn, er spielt für die Galerie. Bei uns wird aber nicht für die Galerie gespielt, sondern die Tore werden gehalten. Das heißt, diese Arbeit läuft die ganze Zeit weiter. Das einzige, was durch solche Schlagzeilen beschädigt wird, ist eine Arbeit, die auch sehr wichtig ist, nämlich Spenden und Gelder zu akquirieren, damit die Leute, die wir in Sicherheit bringen, nicht nur hier sind, sondern auch leben können. Und Geldgeber werden üblicherweise sehr schnell unruhig, und das ist das eigentlich Ärgerliche daran.
Man fragt sich, warum Menschen des Wortes, die mit Worten, die mit Kommunikation arbeiten, es so schwer haben, miteinander zu reden und stattdessen offene Briefe austauschen.
Buchholz: Weil es Menschen sind. Menschen haben immer Probleme, miteinander zu reden, und es wird immer hitzig diskutiert, wenn es um Dinge geht, die einen und die anderen auf die eine oder die andere Art sehr viel angehen.
Sie haben sich zweieinhalb Jahre lang ehrenamtlich für den PEN Berlin engagiert und auch die Mitgliederversammlung in Hamburg mitorganisiert. Jetzt haben sie sich zurückgezogen - was ist Ihr Fazit?
Buchholz: Mein Fazit ist, dass es sich lohnt, diese Arbeit zu machen. Auch wenn ich 2,5 Jahre lang kaum auf der Straße war und mich heute Nachbarn fragen, ob ich überhaupt noch hier wohne, weil sie mich nie gesehen haben. Aber es war wirklich jede Arbeitsstunde wert. Wenn ich nach dem Hamburger Kongress eine kurdischen Kollegin, die aktuell acht Jahre in der Türkei im Knast sitzen würde, weil sie verurteilt wurde, im Silbersack sehe - rauchend, trinkend singend, dann weiß ich, dass sich das gelohnt hat (Anm.d.Red: "Zum Silbersack" ist eine Kneipe auf St.Pauli).
Das Gespräch führte Julia Westlake.