Michael Landgraf © Juan Müller Foto: Juan Müller

Michael Landgraf: "Der PEN hat immer seine politische Aufgabe"

Stand: 17.06.2024 12:38 Uhr

Die Autorenvereinigung PEN wurde 1921 in London gegründet und ist heute in 100 Ländern aktiv, seit 1924 auch in Deutschland. In Hamburg wird dieses Jubiläum nun eine Woche lang gefeiert.

Ein Gespräch mit dem Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland Michael Landgraf.

Herr Landgraf, ab heute tagt der PEN Deutschland in Hamburg. Das ist der Auftakt für das große runde Jubiläum: 100 Jahre PEN wird gefeiert. Wie viel Rückschau wird es geben - und wie viel Ausblick?

Michael Landgraf: Das ist eine ganz gesunde Mischung. Heute beginnt das literarische Programm, und es ist uns sehr wichtig, dass wir in Hamburg eine komplette Woche auch literarisch bespielen. Eine historische Rückschau gibt es erst am Samstag: Da haben wir ein Podium, wo wir Historiker eingeladen haben, aber auch beispielsweise die Schriftstellerin Tanja Kinkel, die sich intensiv mit Lion Feuchtwanger und der NS-Zeit beschäftigt. Und Ralf Grüneberger, der vor allen Dingen den PEN Ost im Blick hat, zwischen 1953 und 1989. Aber ansonsten haben wir ein sehr buntes literarisches Programm, und unsere Schwerpunkte kommen da ganz gut zum Vorschein. Denn wir kümmern uns vor allen Dingen um Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die irgendwo auf der Welt in Bedrängnis sind, die "Writers in Prison" oder Menschen, die durch ein Stipendienprogramm bei uns im Exil leben und weiter schreiben dürfen; dieses Stipendienprogramm heißt "Writers in Exile".

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Was sind die Schwerpunkte, die Sie sonst noch in dieser Woche in Hamburg setzen wollen?

Landgraf: Wir haben vor allen Dingen die Begegnung mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die entweder hier leben - das ist sowohl an der Schule möglich als auch in Abendveranstaltungen. Aber ein großer Schwerpunkt ist das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, die in bedrängten Situationen sind. Beispielsweise haben wir Schriftsteller aus dem Iran da, die wir auch im Stipendienprogramm haben. Oder wir wenden uns auch der Frage zu: Quo vadis, Südamerika? Das ist zum Beispiel am Samstag ein wichtiges Podium, denn wir spüren, dass es dort eine bedrohliche Situation für alle gibt, die schreiben - ob das Journalisten und Journalistinnen sind oder Schriftsteller. Da ist eine Verschärfung der Situation deutlich erkennbar.

Vielen sind die Streitigkeiten in guter Erinnerung. 2022 gründete sich nach ein paar wortstarken Auseinandersetzungen der PEN Berlin, und viele renommierte Autorinnen und Autoren sind dorthin abgewandert. Wie sehr schmerzt diese Abwanderung den PEN Deutschland jetzt, nach zwei Jahren?

Landgraf: Wir stehen mit den Kolleginnen und Kollegen im Gespräch. Ich habe sie zu einem Grußwort eingeladen, und da kommt auch Alexandru Bulucz zu uns, der auch ein Grußwort für den PEN Berlin spricht. Es gibt aber noch mehrere PEN-Zentren, beispielsweise ist gerade eins im Entstehen, der Niederdeutsch-friesischer PEN. Und es gibt seit 90 Jahren den Exil PEN, mit dem wir auch eng verbunden sind. Der darf bei der großen Jubiläumsfeier auch ein Grußwort sprechen. Wir haben also alle drei deutschen PEN Zentren, die es zusätzlich gibt, eingeladen, und alle drei kommen.

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Ist der Austausch mit Berlin sonst vorhanden? Oder ist das jetzt nur wegen des Jubiläums?

Landgraf: Nee, wir treffen uns ja alle auf Buchmessen oder Veranstaltungen. Jemand vom PEN Berlin wird ein Podium bei uns moderieren - wir sind da also wirklich schmerzfrei. Präsident Oliver, der aus Krankheitsgründen leider nicht dabei sein kann, und ich stehen für einen PEN, der nach allen Seiten offen ist. Probleme in der Welt gibt es genug, und wir haben eigentlich eine ganze andere Ausrichtung: Wir wollen uns um die Literatur im Land kümmern und um Kolleginnen und Kollegen, die irgendwo in Bedrängnis sind. Da sind jetzt solche Auseinandersetzungen eher hinderlich.

Kommen wir zu den jungen Autorinnen und Autoren: Wie attraktiv sind Sie als PEN Deutschland für die? Wie sollte ein junger PEN idealerweise aussehen?

Landgraf: Bei einer virtuellen Mitgliederversammlung im Mai waren auch sehr viele Junge dabei. Wir haben aber vor, junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die gerade im Studium sind, in einem Programm mitzubedenken. Dieser Prozess fing im letzten Jahr auf unserer letzten Jahrestagung in Tübingen an, und jetzt werden die Ergebnisse im Rahmen von dieser Veranstaltung am Samstag präsentiert. Da bin ich selber gespannt drauf, denn die Frage ist: Wie bekommt man Menschen, die gerade mit dem Schreiben anfangen und noch nicht das vorweisen können, was Schriftsteller vorweisen müssten, um im PEN aufgenommen zu werden? Da wollen wir stärkere Brücken bauen.

Der Name PEN steht für die weltweit älteste und einflussreichste internationale Vereinigung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Rund 150 internationale Zentren gibt es. Wo sehen Sie weltweit Einflussmöglichkeiten für den PEN?

Landgraf: Wir haben regelmäßig Veranstaltungen: Einmal im Jahr kommen die Zentren irgendwo in der Welt zusammen - dieses Jahr in London. Darüber hinaus gibt es die Arbeitsgruppen, und sehr rege ist die Arbeitsgruppe der "Writers in Prison"-Beauftragten, die sich sehr häufig online trifft. Da haben wir glücklicherweise die Weltbeauftragte jetzt sogar bei uns in Deutschland: Ma Thida aus Myanmar. Wir sind mit ihr direkt mit den anderen Zentren verbunden und können über das Schicksal von Kollegen, die irgendwo in Bedrängnis sind, aufmerksam machen. Wir haben aber auch Länder im Blick. Wir spüren, dass gerade in Mexiko die Lage immer bedrohlicher wird. Dort gibt es in diesem Jahr Wahlen, und da wird versucht, alle Schreibenden mundtot zu machen. Solche Dinge können wir offenlegen, indem wir beispielsweise bei Veranstaltungen einen leeren Stuhl mit einem Bild besetzen, "Rapid Actions" vor Botschaften und Konsulaten machen oder uns weltweit einfach zusammentun.

Wie politisch sollte der PEN Ihrer Meinung nach agieren?

Landgraf: Diese Frage beschäftigt den PEN eigentlich seit seinen Anfängen. Er wurde ja mal als Club der Dichter gegründet, um in diesen "Beruf der Einsamkeit", wie das Orhan Pamuk mal genannt hat, ein bisschen Gemeinschaft reinzubringen. Aber gleich zu Beginn, zwei Jahre nach der Gründung, haben junge Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky oder Alfred Döblin protestiert und gesagt, dass man angesichts des Nationalismus, der in Deutschland wachse, viel politischer sein müsse. Diese Linie zieht sich durch mit Namen wie beispielsweise Heinrich Böll in den 1970er-Jahren. Otfried Preußler ist in diesem Zusammenhang ausgetreten, weil ihm das zu politisch geworden ist. Der PEN hat eigentlich immer seine politische Aufgabe, und wir als Schriftsteller, die im PEN vereinigt sind, unterschreiben auch eine Charta, und die ist überhaupt nicht unpolitisch zu lesen. Denn wir verpflichten uns im Grunde nicht nur für den Frieden in der Welt einzutreten, sondern vor allen Dingen auch gegen Hass und Hetze. Das bedeutet, angesichts der jetzigen Situation nach der Europawahl, da auch ein klares Votum abzugeben.

In der Charta steht zum Beispiel drin: "Literatur kennt keine Landesgrenzen". Andererseits ist es schon so, dass man auf Regionalisierung setzt. Ist das ein Widerspruch, oder wie kann man das verstehen?

Landgraf: Das ist ein spannendes Phänomen. Je internationaler die Welt wird, desto regionaler werden oft die Strukturen. Ich glaube, dass wir hoffentlich bald weg sind von Nationalismen. Das heißt, diese Internationalisierung ist ziemlich vorangeschritten in vielen Bereichen des Lebens. Man spürt aber auch, dass man das Aktionsfeld irgendwo enger ziehen muss als vielleicht die Nation. Deutschland ist ein ziemlich großes Gebilde, und bei uns ist es so, dass Kultur Ländersache ist. Dadurch haben wir automatisch im Kultur- und Literaturbereich eine Regionalisierung. Eines meiner Ziele ist, dass wir viele Regionalgruppen haben, regionale Leuchttürme, die bei besonderen Aktionen für Schriftstellerinnen und Schriftsteller aktiv werden können. Das ist auch in den letzten zwei Jahren passiert, beispielsweise als es um Julian Assange ging. Oder im letzten Jahr, als sich elf regionale Gruppen gegründet haben, um Lesungen zu gestalten. Wir sind da schon auf einem ganz guten Weg.

Das Interview führte Florian Schmidt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 17.06.2024 | 16:30 Uhr

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