Mehr als "Batman" und "Micky Maus": Wie sehen heutige Comics aus?
Die 10. Ausgabe der Graphic Novel Tage Hamburg garantiere "frische Anregungen, neue Einsichten, große grafische Literatur", sagt Kurator Andreas Platthaus. Ein Gespräch.
Herr Platthaus, Sie kuratieren das Festival und bringen jeweils einen internationalen und einen deutschen Comic-Star miteinander ins Gespräch. Worauf achten Sie bei der Auswahl, was ist Ihnen wichtig?
Andreas Platthaus: Ich versuche, dass die beiden Menschen, die mit mir zusammen auf der Bühne sind, etwas gemeinsam haben. Das muss nicht notwendig eine stilistische Ähnlichkeit sein. Es muss auch gar nicht eine spezifische Erzählhaltung sein. Aber manchmal interessieren mich Erzählmotive. Beispielsweise werden wir eine Begegnung zwischen einem französischen und einem deutschen Comiczeichner haben, die sich beide ganz stark mit Traumabewältigung beschäftigen - und grafisch betrachtet liegen die ganz weit auseinander. Gestern hatten wir mit Steve Appleby und Lukas Kummer zwei Antipoden, was das Stilistische angeht. Aber beide haben Eskapismus als Thema. Das sind Strukturen, die mich interessieren. Wegen der Anreise lade ich zuerst die ausländischen Gäste ein und schaue dann in dem mittlerweile sehr großen Pool an großartigen deutschsprachigen Zeichnerinnen und Zeichnern, wer dazu passen könnte. Auf ein paar Traumkombinationen warte ich noch, aber im Regelfall geht es gut auf.
Es gibt mittlerweile auch einige Preise und Auszeichnungen in der Graphic-Novel-Szene. Ist der Markt tatsächlich größer geworden? Können Zeichnerinnen und Zeichner davon leben?
Platthaus: Das ist schwierig zu sagen. Barbara Yelin - eine wunderbare Münchner Comiczeichnerin - verkauft mittlerweile mit ihren Comics und mit ihren Illustrationen viele Bücher. Birgit Weyhe aus Hamburg ist wirklich gut im Geschäft. Aber wenn man nur die Bücher betrachtet, dann wird es schwierig. Was besser funktioniert sind beispielsweise Lehraufträge, die gute Zeichnerinnen und Zeichner an die Universitäten bekommen. Oder Workshops, die sie gegen Bezahlung geben. So ist es immerhin möglich, heutzutage mit der Beschäftigung mit Comics sein Leben zu finanzieren. Das wäre vor 10 bis 15 Jahren wirklich nur für ganz erfolgreiche Leute, wie Ralf König, Brösel oder Walter Moers denkbar gewesen. Da gibt es mittlerweile ein paar mehr.
Was zeichnen denn diese Künstlerinnen und Künstler? Denn bei Comics denken viele Menschen immer noch an Superhelden-Geschichten à la Batman, Superman oder Micky Maus. Was sind Comics heute?
Platthaus: Das kann auch sowas sein. Wobei es nicht mehr so ungebrochen in den klassischen Klischees lebt. Der englische Zeichner Steven Appleby hat einen wunderbaren Comic namens "Dragman" gezeichnet. Das eine Superhelden-Variation. Ein Superheld, der seine Superkräfte dadurch bekommt, dass er Frauenkleider anzieht. Das ist eine unglaublich interessante und teilweise auch provokative Erzählhaltung. Der Österreicher Lukas Kummer hat eine Dystopie gezeichnet, die in einer Fantasy-Welt spielt. Aber letztlich sind das Haltungen, die heute viel politischer sind als es früher der Fall war. Ansonsten sind vor allem Autobiografisches und Sacherzählungen ganz wichtig: Man trifft Leute, erzählt über deren Leben, macht Reportagen. Man ist näher an der Realität dran, als es die Superhelden jemals gewesen sind. So sehr man die auch immer als Kommentar auf die Jetztzeit lesen kann. Aber wofür sich heutzutage Zeichnerinnen und Zeichner extrem interessieren, das ist die Welt um sie herum, die Wirklichkeit, mit der sie konfrontiert werden.
Ist es möglich, Geschichten anders zu erzählen. Was für Schutzräume können Graphic-Novels bieten? Lassen sich dadurch andere Geschichten ans Tageslicht befördern?
Platthaus: Das glaube ich sogar ganz sicher. Wir haben es hier mit Erzählformen zu tun, die auf zwei Ebenen funktionieren. Einmal das klassisch geschriebene Wort und wir haben die gezeichneten Bilder. Die gezeichneten Bilder können über Assoziationen, über allegorische Darstellungen und was wir uns alles an Bildrepertoire vorstellen können, indirekter erzählen. Ohne dabei weniger ausdrucksstark zu sein. Über Themen wie den Tod von nahestehenden Personen kann man beispielsweise viel besser in Form einer allegorisch gezeichneten Darstellung reden, als es wirklich hinzuschreiben. Wenn man es hinschreibt, wird man immer wortwörtlich gelesen. Dementsprechend kehrt man da sein Innerstes nach außen. Das tut man als Zeichner oder Zeichnerin auch. Aber man hat mehr Chancen, dass in irgendeiner Weise in ein Bild zu kleiden, was vielleicht nicht unmittelbar ist zu dem, was man sagen will. Das sind Möglichkeiten, über Dinge zu reden, über die es bei einem rein geschriebenen Text schwierig wäre zu sprechen. Darin sehe ich eine große Chance, die der Comic hat. Dass er Möglichkeiten für sehr heikle Themen schafft, es so darzustellen, dass es nicht so unmittelbar an die Personen herangeht, die sich da als Autoren artikulieren.
Ist das auch der Grund, warum vermehrt gestandene Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich kollaborativ mit Zeichnerinnen und Zeichnern zusammentun und Geschichten zusätzlich auch über eine Bildsprache zu erzählen versuchen?
Platthaus: Das ist eine sehr interessante Frage. Das Phänomen stellen Sie völlig richtig dar. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob es damit zu tun hat. Die meisten dieser Schriftstellerinnen oder Schriftsteller zeichnen nicht selbst, sondern sie schreiben die Geschichten und lassen das von Zeichnerinnen und Zeichnern umsetzen. Das ist, gerade wenn es um etwas sehr Persönliches geht, vielleicht doch ein seltsamer Schritt, wenn man dieses extrem Persönliche in die Hände anderer legt. Ich habe immer wieder von Leuten gehört: Wenn es um unsere eigenen, ganz persönlichen Dinge geht, dann zeichnen wir auch selbst. Und fiktive Geschichten geben wir gerne woanders hin.
Ich glaube, dass jemand, der heutzutage eine Comic-Geschichte schreibt und die jemand anderem gibt, sehr neugierig darauf ist, auf eine andere Art zu erzählen, als er oder sie das normalerweise tut. Der große Reiz besteht darin, dass man plötzlich eine Art kollaborative Anstrengung hat. Und dass man auch sieht, wie jemand anders die eigene Geschichte interpretiert und dafür eine andere Sprache, nämlich eine Bildsprache findet. Das muss für eine Künstlerpersönlichkeit etwas ganz Faszinierendes sein. Darum ist dieses Phänomen im Moment so unglaublich breit zu beobachten.
Das Interview führte Andrea Schwyzer.
