Maischberger: Riefenstahl-Doku legt Propaganda-Muster offen
Gemeinsam mit Filmregisseur Andres Veiel hat Sandra Maischberger den Nachlass von Leni Riefenstahl gesichtet, um zu verstehen, wie der Charakter der Regisseurin geformt wurde, wie ihr Umgang mit Schuld war, was sie heute noch relevant macht.
Frau Maischberger, beim Durchforsten dieses Materials - wann waren Sie da erstaunt, wann ist Ihnen da sogar ein Schauer den Rücken runtergelaufen?
Sandra Maischberger: Da gab es mehrere Momente. Ganz am Anfang haben wir uns die bewegten Bilder, die Privatvideos, angesehen und haben entdeckt, dass Frau Riefenstahl sich auch im Krankenhaus hat drehen lassen und später auch auf dem Sterbebett gefilmt wurde - da stand uns schon manchmal der Mund offen. Sehr viel später kamen die Tonbandaufnahmen dazu, die uns gezeigt haben, dass sie viele ihrer Anrufer und Anruferinnen aufgezeichnet hat, diese persönlichen Gespräche und auch die Reaktionen auf die Talkshow. Das waren dann doch überraschend viele solcher Momente.
Diese Kassettenmitschnitte - es ist ja wirklich ungewöhnlich, dass man Telefonate aufnimmt und das dann auch einfach im Archiv lässt. Was macht sie da für einen Eindruck in den privaten Gesprächen?
Maischberger: Eben genau den, der mir fehlte, als ich sie einmal im Interview getroffen habe. Sie war ja in den öffentlichen Auftritten und Interviews immer sehr kontrolliert und eben auch mit einer gewissen "Verstelltheit", also ihre eigene wirkliche Meinung, ihre Haltung nicht durchblicken lassend. Und in diesen Telefonaten hat man dann eine Leni Riefenstahl gehört, die sich mit Gleichgesinnten sicher wähnte und "frei von der Leber weg" gesprochen hat. Das war ein ganz eigener Blick auf sie.
Wie haben Sie sie erlebt, als Sie sie zum 100. Geburtstag gesprochen haben?
Maischberger: Als eben doch energievolle Frau immer noch, die sehr wach war, die sehr präzise auch geantwortet hat auf meine Fragen. Aber gleichzeitig auch mit einer klaren "Schallplatte", wie wir unter Journalisten sagen: Also, das, was ich zuvor in der Vorbereitung in Interviews gelesen hatte, war eins zu eins das, was sie mir auf alle meine Fragen auch geantwortet hat. Ich habe sie als eine undurchdringliche, immer auf ihre äußere Wirkung bedachte Frau erlebt, an die man nicht so richtig rankam - also ich jedenfalls nicht.
Walt Disney, Quentin Tarantino, Denis Villeneuve, George Lucas - lauter große Regisseure, die Riefenstahls große Ästhetik bewundern und immer wieder aufgreifen. Was glauben Sie, woran liegt diese ungebrochene Faszination?
Maischberger: Das war ja auch unser Ausgangspunkt, dass wir uns immer gefragt haben, wenn diese Ästhetik so gegenwärtig ist, sei es in der Sportberichterstattung oder dann eben nach dem Überfall auf die Ukraine bei der Parade auf dem Roten Platz in Moskau am 9. Mai 2022, ist es dann möglich, dass auch diese Ideologie, die ja hinter dieser Ästhetik steckt, wieder gegenwärtig ist? Das ist für mich auch der Grund, weshalb ich glaube, dass Tarantino und die anderen mit einer Distanz auf diese Bilder gucken konnten, weil sie den Hintergrund ausgeblendet haben.
Das gelingt uns in Deutschland schlechter, wir sind mit unserer Geschichte verhaftet und verbunden. Wir wissen, dass diese Filme bezahlt worden sind von der NSDAP, also eine Auftragsproduktion waren. Deshalb fällt es uns schwer, einfach nur die Wirkmächtigkeit zu bewundern, wie das die anderen Regisseure getan haben. Also wir stellen es einfach in den Kontext der Herstellung und dann kann man nicht mehr ausblenden, dass es die wirkungsvollste Propagandamaschinerie des Dritten Reiches war.
Wie ist Riefenstahl geworden, was sie wurde? Was konnten Sie da erkennen aus diesem umfangreichen Nachlass?
Maischberger: Es gibt eine Passage in unserem Film, der sich mit ihrer Biographie, mit ihrer Kindheit beschäftigt. Sie ist die Tochter eines Mannes, der sie als Erstgeborene gerne als Sohn gehabt hätte, wie sie selber schreibt, und der mit ihr durchaus so umgegangen ist, wie man in der Erziehung eben in der Epoche mit Jungs umgegangen ist: Sie wurde geschlagen, sie wurde wirklich auch hart angegangen. Sie sollte stark werden, die eigene Schwäche überwinden. Das ist nicht eine singuläre Erfahrung in der Generation, sondern genau diese Art von harter Erziehung haben sehr viele junge Menschen zwischen den beiden Weltkriegen erlebt.
Aber ich glaube schon, dass das in ihr etwas hat wachsen lassen, das sie auch verbunden hat mit anderen ihres Alters, diese Verachtung von Schwäche, der eigenen Schwäche auch, die Verachtung des vermeintlich Kranken, die Verachtung des Anderen. Das sind Grundmuster, die auch in den Faschismus geführt haben, das war bei ihr angelegt. Und deswegen waren wir auch der Meinung, dass das Teil des Films sein muss, damit man, wie Andres Veiel immer sagt, nicht ein Verständnis für sie entwickelt, sondern, dass man versteht, woher sie kommt und es besser einordnen kann.
Was könnte der Film für den Betrachter bestenfalls bewirken?
Maischberger: Wir haben ihn ja vorgestellt beim Filmfest in Venedig. Danach war er bei einem Filmfest in Amerika. Ich war gerade in Indien und die Resonanz international ist deshalb interessant, weil der Bezug zur eigenen Geschichte dort fehlt, aber ganz klar Mechanismen faschistischen Denkens erkannt werden, die gegenwärtig sind - in Amerika, in Indien und in Italien sowieso. Das heißt, wenn es uns gelingt, dass dieser Film Grundmuster dieser Ideologie offen legt, und damit Grundmuster der Propaganda, dann haben wir schon viel erreicht. Denn dann ist es nicht ein historischer Film, sondern ein Kommentar zur Gegenwart und eben hoffentlich nicht zur Zukunft.
Müssen wir uns, wenn uns diese Ästhetiken begegnen, vorsichtiger sein? Ich erinnere mich da an Rammstein, damals lange vor der Frontrow-Erzählung: Die Feuilletons haben das ja als "geniale Ironie" aufgegriffen, wenn die Videos so ausgesehen haben.
Maischberger: Rammstein hat ja auch ein Video gemacht mit Bildern von Riefenstahl. Das ist überhaupt der Zweck eines solchen Filmes, dass man eine Art Ausrufezeichen setzt an diese Art von Bildern, Ästhetik und Gedankengut und sagt, es gibt keine Art von unschuldiger Betrachtung, es gibt auch keine Unschuldsvermutung in der Verwendung dieser Ästhetik. Es führt vielleicht nicht zwangsläufig, aber es kann auf einen abschüssigen Weg führen und dann eben auch zu politischen Verhältnissen, die keiner möchte. Das wäre ein Wunsch, den ich hätte, verbunden mit diesem Film.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott