"Eine Islamdebatte, die völlig vergiftet ist"
Weltweit ist das Entsetzen groß. In Christchurch in Neuseeland hat es während des Freitagsgebets Anschläge auf Moscheen gegeben. Mindestens 49 Menschen starben, es gibt etliche Verletzte. Alles deutet auf einen rechtsextremen Terroranschlag hin. Lamya Kaddor engagiert sich seit vielen Jahren gegen Islamfeindlichkeit.
Frau Kaddor, was hat diese Nachricht bei Ihnen ausgelöst?
Lamya Kaddor: Entsetzen - wie nach jedem großen Terroranschlag auf der Welt. Ich unterscheide mein Entsetzen nicht danach, ob sich der Angriff gegen Muslime richtet, gegen Juden oder gegen Atheisten. Es ist auch vernünftig, nicht darüber nachzudenken, wen es getroffen hat und davon sein Entsetzen abhängig zu machen.
Der rechtsextremistische Haupttäter, ein in Neuseeland lebender Australier, hat den Anschlag live auf Facebook gestreamt. Es haben ihn also sehr viele Menschen direkt mit ansehen müssen. Diese Art der Inszenierung gab es bisher nicht.
Kaddor: Nein, die gab es so nicht. Wahrscheinlich wollte sich der Täter ein Stück weit heroisieren, die Tat besonders hervorzuheben. Vielleicht wollte er sie auch in den Kontext des gewaltbereiten Islamismus setzen. Denn wir wissen, dass gerade aus den Kreisen des Islamischen Staates solche Verbrechen auch immer wieder gefilmt worden sind. Zwar nicht in Echtzeit, aber trotzdem sind sie dann ins soziale Netz gestellt worden.
Nun galt der Pazifikstaat Neuseeland bisher immer als friedliebend und besonders sicher. Polizisten tragen dort nicht mal Schusswaffen, sondern Pfefferspray und Elektroschocker. Deshalb mussten erst Spezialkräfte angefordert werden. Übrigens lebt dort nur eine muslimische Minderheit: Vor allem sind es Einwanderer aus Pakistan und Bangladesch. Es ist schon verwunderlich, dass gerade Neuseeland Ziel dieses Anschlags geworden ist. Was meinen Sie?
Kaddor: Wenn man sich das Manifest des Attentäters anschaut - und das habe ich getan -, wissen wir schon, was ihn dazu veranlasst hat. Er selbst erklärt, dass er längere Reisen durch Europa, aber auch in der ganzen Welt gemacht hat, und er besonders von den Zuständen in Stockholm nach den islamistischen Anschlägen entsetzt war und nachdem er Frankreich besuchte. Das hat bei ihm die Überzeugung zutage gefördert, jetzt etwas dagegenzusetzen. Er schreibt auch, dass er Anders Breivik ein Stück weit als Vorbild sieht.
Weltweit, auch in Deutschland, sind Muslime immer wieder Opfer rechter Gewalt. Wie groß ist das Problem hierzulande zurzeit?
Kaddor: 2017 gab es eine Zählung islamfeindlicher Übergriffe in Deutschland, und die beliefen sich für das ganze Jahr auf knapp tausend Übergriffe. Das sind nur die Zahlen, die öffentlich zugänglich sind - wir wissen nicht, ob es da eine Dunkelziffer gibt, aber wir gehen stark davon aus. Antimuslimischen Rassismus beziehungsweise Islamfeindlichkeit findet man schon bei vielen Mitmenschen in der Gesellschaft.
Inzwischen gibt es Reaktionen auf die Anschläge von muslimischer Seite in Deutschland. Der Landesverband Schura der Muslime in Niedersachsen zum Beispiel teilt mit: "Wir verurteilen diese Anschläge aufs Schärfste. Unser Mitgefühl und unsere Gebete gelten den Angehörigen der Opfer." Es gibt aber auch Stimmen aus der Türkei: Staatspräsident Erdogan hat den Westen dafür verantwortlich gemacht. Wie ordnen Sie das ein?
Kaddor: Das kann man so pauschal natürlich nicht sagen. Quasi unter "Schockzustand" sollte man solche Geschehnisse nicht bewerten. Aber nichtsdestotrotz muss man festhalten, dass wir auch in diesem Land eine Islamdebatte haben, die im Grunde genommen völlig vergiftet ist. Seit mindestens einem Jahrzehnt ist sie von zwei Extremen geprägt: auf der einen Seite religiöse Extremisten, auch Islamisten, die ein Stück weit daran arbeiten, bestimmte Regierungen zu stürzen und mit dieser Wahnvorstellung durch die Welt laufen, irgendwann einen islamischen Gottesstaat zu haben. Auf der anderen Seite haben wir aber leider auch sehr viele Stimmen in unserer Bevölkerung, die ihren Islamhass oder ihre negative Einstellung gegenüber Muslimen und dem Islam als sogenannte Islamkritik verpacken. Ich will nicht sagen, dass es nicht auch eine gerechtfertigte Islamkritik gibt; es ist schon wichtig, dass man alles kritisieren kann, auch Religionen. Aber es kommt auch auf den Ton und die Wortwahl an und darauf, ob ich stereotypisiere oder verallgemeinere. Leider haben wir diese Stimmen immer wieder, und diese Stimmen werden leider auch von Teilen der Politik angefacht - und das wirkt natürlich in gewisser Weise. Das heißt, wir haben eine Verschiebung dieses Islamdiskurses eher nach rechts.
Das Gespräch führte Philipp Cavert