Kriegsfotografin Ursula Meissner: "Es ist schwer auszuhalten"
Ursula Meissner ist seit 15 Jahren als freie Fotografin in allen Kriegs- und Krisengebieten der Welt unterwegs. Ein Gespräch mit ihr über Motivation und Grenzen der Kriegsberichterstattung im Fotojournalismus.
Ihre journalistische Laufbahn begann Ursula Meissner 1984 als Assistentin im ZDF Studio Südostasien. 1989 tauschte sie die Schreibmaschine gegen die Kamera ein und begann eine Ausbildung zur Fotojournalistin, die sie zunächst durch die ZDF-Landesstudios und bald wieder ins Ausland führte. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden weltweit publiziert. Ein Gespräch mit ihr über Motivation und Grenzen der Kriegsberichterstattung im Fotojournalismus.
Was war für Sie persönlich die Motivation, Kriegsfotografin zu werden?
Ursula Meissner: Ich habe mir nicht ausgedacht, Kriegsfotografin zu werden, sondern ich bin da reingerutscht. Ich war in Südostasien engagiert, und dazu gehörte auch Afghanistan. Damals waren noch die Russen in Afghanistan, das war 1986. Wir wollten über die Menschen eine Reportage machen, wie sie im Krieg leiden und hungern. Wir wurden dann an die Frontlinie geführt und auf einmal bebte die Erde - und ich war mittendrin. Ich dachte, jetzt ist mein Leben vorbei. Wir haben es alle überlebt. Aber ich habe damals geschworen: Ich mache das nie wieder. Ich hatte solche Angst. Aber ich habe es dann doch nicht sein lassen.
Was ist das, was Sie immer wieder dorthin zieht? Was wollen Sie darstellen mit Ihren Bildern? Was wollen Sie bewirken?
Meissner: Bei mir war es immer so, dass ich zeigen wollte: Wie leiden die Menschen, Frauen und Kinder? Was machen die? Wie können die überleben? Wie bekommen Sie noch etwas zu essen? Unter welchen Umständen überleben die Opfer? Und warum man es immer wieder macht, wissen Sie. Wenn sie jemandem in die Augen blicken und die sind so erschöpft und voller Angst und können gar nicht mehr weinen - und wenn das Kinder sind und Frauen, die nur noch in Ecken kauern, weil sie so schockiert sind von all dem Geschehen, dann sagt man: Einer muss es ja zeigen.
Ich stelle mir das als eine enorme emotionale Herausforderung vor. Sie sind dort in diesen Kriegssituationen. Sie blicken den Menschen in die Augen, Sie sehen ihr Leiden. Das ist das eine, innerlich mit diesen Gefühlen umgehen zu können, innerlich auch da sicherlich eine gewisse Distanz wahren zu müssen. Das andere ist auch die Angst, die ja doch sicherlich auch bei Ihnen vorhanden ist. Wie gehen Sie damit um?
Meissner: Einmal habe ich ja meine Kamera, an der mich immer festhalten kann. Durch das Objektiv hat man dann auch Distanz. Ich könnte nicht einfach hingehen und mir das Elend angucken. Es ist schwer, die vielen Bilder, die man dann im Kopf hat, irgendwie loszuwerden. Vor Ort muss man einfach immer wieder aufs Neue Entscheidungen treffen. Geht man dahin? Was macht man da. Es passiert so viel am Tag, dass man gar nicht nachdenken kann. Und abends ist man so erschöpft, dass man vielleicht, wenn man Glück hat, noch einen Schnaps oder ein Rotwein trinkt, um schlafen zu können. Am anderen Morgen geht es wieder von vorne los. Man funktioniert nur, und zu Hause ist es dann am schlimmsten.
Gibt es für Sie Grenzen? Gab es Momente, wo Sie nicht auf den Auslöser gedrückt haben?
Meissner: Ja, das war in Afghanistan bei den verbrannten Frauen, die mit Kerosin überschüttet und angezündet werden - oder es selbst tun. Das war ein großer Raum, da waren vielleicht 30 Frauen in einem Riesensaal. Da war der Fleischgeruch, dieses Süßliche und das Wimmern - das habe ich nicht ausgehalten und bin auf die Terrasse und habe erst einmal geheult. Dann hat eine Frau die Hand auf meine Schulter gelegt, eine Afghanin. Und ich dachte, ich bin ja hier nicht zum Weinen, ich muss die Fotos machen. Also bin ich rein und habe die Fotos gemacht. Aber ich habe das nie in meinem Leben vergessen.
Jetzt ist der neue Film "Die Fotografin" über die Kriegsfotografin Lee Miller in den Kinos. Sie haben selber auch Vorträge über Lee Miller gehalten. Können Sie sich mit ihr identifizieren? Ist sie vielleicht sogar auch in gewisser Weise so ein Vorbild für Sie?
Meissner: Ja, sie ist mir sehr nahe. Ich verstehe das auch, dass sie ihre Fotos auf dem Dachboden versteckt hat und nie darüber reden wollte. Ihr Sohn, den ich persönlich kennengelernt habe, der war so überrascht, dass seine Mutter solche Arbeiten gemacht hat, und er wusste nichts davon. Das ist so unfassbar. Aber ich verstehe das und auch wie sie reagiert hat. Eines ihrer berühmten Bilder ist ja auch, wie sie in Hitlers Badewanne badet. Wenn Sie eine Woche verschwitzt durch Leichenberge laufen, so viel Elend sehen und sich selbst kaum waschen können - und man versucht irgendwie, das alles zu überstehen, dann wäre ich auch in die Badewanne gegangen. Einfach aus der Situation heraus ist mir das alles sehr nah, was ich von ihr weiß. Auch wie wichtig ein Benzinkanister oder eine Stange Zigaretten oder Kaffee ist. Das ist dann für einen selbst oder für andere lebensnotwendig. Andere Dinge werden dann ganz schnell unwichtig.
Jetzt geht es ja in diesem Film "Die Fotografin" auch um die weibliche Perspektive auf den Krieg. Glauben Sie denn, dass Frauen eine andere Perspektive auf den Krieg haben als Männer?
Meissner: Frauen sind selten von Waffen oder Granaten oder großen Geschützen begeistert. Ich musste immer Männer davon abhalten, dass sie für mich schießen. Einmal wollte ich nicht, dass für die Kamera jemand getötet wird - und zum anderen wird ja auch zurückgeschossen. Aber Männer wollen sich immer beweisen. Vielleicht ist der männliche Fotograf davon auch eher angetan als eine Frau. Es ist auch so, dass Frauen in der Regel unterschätzt werden, und das ist ein großer Vorteil. Ich konnte von Heckenschützen, die auf Menschen geschossen haben wie auf Hasen, die ersten Bilder in Bosnien, in Sarajevo machen. Meine männlichen Kollegen konnten das nicht. Aber diese jungen Männer, die fanden das toll, von einer jungen Blondine aus Deutschland zu posieren. Die zu fotografieren und die zu zeigen, das war für mich wichtig, denn ich wollte ja auch die Täter zeigen. Es war aber schwer auszuhalten.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.