Drei ukrainische Soldaten in einer kleinen Hütte. © Agentur Focus/Sebastian Backhaus
Drei ukrainische Soldaten in einer kleinen Hütte. © Agentur Focus/Sebastian Backhaus
Drei ukrainische Soldaten in einer kleinen Hütte. © Agentur Focus/Sebastian Backhaus
AUDIO: Fronttagebuch - zwei Seiten eines Krieges (3 Min)

Ukraine-Krieg: Berührende Fotos von der Front - und wenige Kilometer dahinter

Stand: 07.08.2023 11:21 Uhr

Die Bildpaare der Fotografen Armin Smailovic und Sebastian Backhaus zeigen in ihrem "Fronttagebuch - Zwei Seiten eines Krieges" das Erleben an der Front - und das Alltagsleben wenige Kilometer dahinter.

von Severine Naeve

Der Fotograf Armin Smailovic ist vielfach ausgezeichnet worden - für seine einfühlsamen Porträts, aber auch für seine Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten. Gemeinsam mit dem renommierten Kriegsfotografen Sebastian Backhaus hat er im Frühjahr dieses Jahres eine Reise an die Frontlinie in der Ukraine unternommen.

Trügerische Ruhe

Ein Bahnhof mit Einschusslöchern. © Armin Smailovic
Die Bahnstation im Dorf Slatine bei Charkiw.

Am selben Tag haben die beiden ein Foto gemacht - eines an der Front und eines wenige Kilometer dahinter. Dort, wo eigentlich niemand mehr leben sollte, weil es zu gefährlich ist. Aber dennoch Menschen ihre Heimat nicht verlassen möchten. Zwei Frauen mit Einkaufstaschen unterhalten sich im Sonnenschein auf einem Bahnsteig. Ein vorbei laufendes Rudel streunender Hunde und das mit Einschusslöchern übersäte Bahnhofsgebäude im Hintergrund lassen erahnen, dass die Ruhe auf dem Foto von Armin Smailovic trügt:

17.4. Die Sonne hat uns begleitet, die Farbe, die eigentlich das Getreide, das Land, in der ukrainischen Fahne darstellt, schimmert durch die leichte Bewölkung wie ein Butterkeks. Der erste Ort ist Slatine, mit einem kleinen Bahnhof, der nicht mehr Bahnhof genannt werden kann. Die Graffitis an den Wänden schreien: 'Willkommen in der Hölle'.

Texte fassen das Geschehen zusammen

Armin Smailovic und Sebastian Backhaus haben ihre Bilder mit Texten versehen. Eindrücke, Gedanken und Erinnerungen an Gespräche, die sie geführt haben. Ihr Fronttagebuch haben sie beim Fotograf*innen-Verband Freelens in Hamburg unlängst einem kleinem Kreis Kolleginnen und Kollegen präsentiert. "Armin und ich hatten uns überlegt, was machen wir denn jetzt mit der Ukraine, als wir merkten, dass die Bilderflut und die Länge dieses Krieges andauert. Das führt dazu, dass Menschen immer müder werden diesem Thema zu folgen. Das war so ein bisschen der Ansatz darüber nachzudenken, wie wir diesen Krieg anders darstellen können, als wir das alle gewohnt sind, wenn wir Medien konsumieren. Die Front da wird immer gekämpft und hinter der Front, oft gar nicht so weit weg, geht das Leben irgendwie weiter."

Ungewöhnliche Bild-Paare

Das Ergebnis sind ungewöhnliche Bild-Paare. Schwarzweißer Alltag und Frontsoldaten und -soldatinnen in Farbe. Die Leerstellen auf den Fotos geben dem Horror dieses Krieges Raum. Ein leeres Geschäft, eine Schule, in der die Rahmen mit den Lehrerfotos leer sind, ein Sportplatz ohne Kinder. Ein leerer Schützengraben, ein leerer Platz an einem spartanischen Tisch, an dem sich Soldaten ausruhen - mit leeren Gesichtern.

20.04.2023, Donnerstag: Erschöpft, aber lebendig sind diese ukrainischen Soldaten vom Fronteinsatz in Bachmut zurückgekehrt. Die Front liegt etwa fünf Kilometer entfernt. Auf die Frage, wann sie wieder an die Front gehen werden, antwortet Igor aus Dinipro: "Sobald die Kameraden, die jetzt gerade getötet wurden, ersetzt sein werden. Das kann morgen sein, aber in jedem Fall in den nächsten Tagen.

Bilder zeigen stille Seite des Krieges

Die Fotografen Sebastian Backhaus und Armin Smailovic. © Kostya Karnoza
Sebastian Backhaus und Armin Smailovic haben in vielen Krisen- und Kriegsgebieten auf dieser Welt als Berichterstatter fotografiert.

Bei diesem Projekt sind Bilder entstanden, die eine ganz stille Seite eines lauten und brutalen Krieges zeigen. Ein fast intimer Einblick. Umso wichtiger sei es bei solchen Reportagen, den professionellen Abstand zu halten, so Sebastian Backhaus: "Wenn ich komplett immer mitfühlen würde, dann könnte ich irgendwann meine Arbeit nicht mehr machen. Dann wäre ich in Mitleid zerflossen, dass ich mich dann nicht mehr professionell auf die Fotografie konzentrieren könnte. Deswegen muss ich das manchmal auch einfach stoppen."

Am 28. April 2023 fotografieren Armins Smailovic und Sebastian Backhaus nördlich von Charkiw. Hunderte Kilometer entfernt und doch so nah dran. In einem kleinen Dorf werden Hilfspakete verteilt. Smailovic sieht sich um.

Ein Haus weiter steht eine Tür leicht offen, ein Schild liegt neben dem Eingang: Bibliothek. Die Fenster sind zugemauert und eine Hälfte des Raumes ist mit braunem Staub bedeckt. Es wirkt wie eine gerade erst geöffnete archäologische Grabstätte. Bücher stehen schwer verletzt im Regal. Das Ergebnis eines Granateneinschlags. An der Tür liegt unversehrte Lektüre gestapelt. Das oberste Buch: Tarzan.

Kriegsbilder erinnern an "lost places"

"Lost places" - verlorene Orte - ist seit Jahren eine beliebte Nische in der Fotografie. Menschen suchen leerstehende Gebäude, Ruinen auf, fotografieren dort, wo man nur noch verwitterten Spuren des Lebens findet, das dort einmal stattfand. Die Fotos des Fronttagebuchs von Backhaus und Smailovic erinnern fast zynisch daran, wie schnell es gehen kann, dass Orte zu "lost places" werden. Die künstlerische Ästhetik mancher ihrer Bilder ist verstörend einnehmend. Wenn dies dazu beiträgt, dass der Blick hängen bleibt, dann hat man als Profi seinen Job gemacht, so Backhaus: "Es ist halt ein Eyecatcher. Wenn ich die Möglichkeit habe, Bilder im Krieg so zu komponieren, dass es eine gewisse Ästhetik ausstrahlt, warum nicht? Für mich ist das das Mittel zum Zweck.

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Dieses Thema im Programm:

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