"Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer": Campino über Gebrauchslyrik
Im April dieses Jahres hat Punkrocker Campino zwei Vorlesungen an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität gehalten. Was der Frontmann der Toten Hosen dabei über Lyrik, Songtexte und Wirkung von Musik erzählte, kann jetzt nachgelesen werden.
Allein für die erste Veranstaltung im Rahmen seiner Gastprofessur hatte es es 30.000 Ticketanfragen gegeben - für 650 Plätze. Campinos Buch "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer - eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" enthält alle vorgetragenen Songs und Gedichte, ergänzt mit Anmerkungen des Musikers. Songs, die in ihren Geschichten eine Haltung transportieren. Davon gibt es im Repertoire der Toten Hosen reichlich.
Tiefer Blick in die Seele eines Songwriters
In überschaubaren 160 Seiten lässt Campino tief in die Seele eines Songwriters blicken und erzählt unterhaltsam, wie er persönliche Erfahrungen und Schicksale in Lieder kleidet.
So wie bei "Nur zu Besuch". Er habe das Bedürfnis gehabt, nach dem Tod seiner Mutter ein Lied über sie zu schreiben, erzählt der 62-Jährige: "Geht es nur mir so, oder steckt es in den meisten von uns, dass wir uns so schwertun, den Eltern zu Lebzeiten unsere Liebe auszudrücken? Und uns dies wiederum so leichtzufallen scheint, wenn es eigentlich zu spät ist und sie von uns gegangen sind. Nur wenige Wochen nach Mutters Tod flossen die Worte zu dem Lied wie von selbst aus mir heraus."
"Ich spür dich ganz nah hier bei mir
Kann deine Stimme im Wind hören
Und wenn es regnet, weiß ich, dass du manchmal weinst."
Die Toten Hosen: "Nur zu Besuch" (2001)
Texte von Erich Kästner als große Inspiration
Campino offenbart in dem Buch aber auch textliche Fehltritte und missverständliche Lieder der Bands. Aber im Zentrum stehen die großen deutschen Dichter, die Campino beim Schreiben inspiriert haben. Seien es Heinrich Heine, Bertolt Brecht und besonders Erich Kästner: "Ich kann nicht mehr genau nachvollziehen, wann ich ihn das erste Mal nicht als Kinderbuchautor, darin ist er Weltmeister, sondern als scharf beobachtenden, kritischen Schriftsteller wahrgenommen habe, der auch unfassbar gute Gedichte schreiben konnte. Einmal mit diesen Texten in Berührung gekommen, haben sie mich mein ganzes Leben lang nicht mehr losgelassen."
Politische und persönliche Texte
Das Buch zeichnet im Eiltempo nach, wie Campino den Soundtrack der Toten Hosen entwickelt hat. Mit Einflüssen britischer Punkrockbands, aber auch Liedermachern wie Hannes Wader. Kurzweilig - wie man das von Campino gewohnt ist - gibt er Einblicke in die Entstehung politischer, aber auch sehr persönlicher Texte.
"Die meisten Dinge, über die wir schrieben, hatten wir selbst erlebt. So landete eine Erinnerung aus der Grundschulzeit bei mir auf Papier. Als Zweitklässler wurde ich eine Weile auf dem Heimweg von einem großen Jungen aus der benachbarten Hauptschule bedroht. Immer wenn er mich irgendwo alleine antraf, gab er mir eine Kopfnuss und drohte: 'Morgen gibst du mir ’ne Mark, oder ich hau dir in die Fresse!'", schreibt Campino Daraus sei dann Jahre später das Lied "Sie warten nur auf dich" entstanden.
Potpourri vergessener Musik-Perlen
Das Buch hat seine stärksten Momente immer dann, wenn Campino persönlich wird. Nicht alle Geschichten sind neu, aber eindrücklich. Beispielsweise wenn er von seiner letzten Begegnung mit seinem Vater erzählt, die er in dem Song "Draußen vor der Tür" festgehalten hat. Das Buch enthält ein Potpourri längst vergessener Musik-Perlen, die wohl nur den eingefleischten Hosen-Fans ein Begriff sein dürften.
So wie "Unser Haus" aus dem Jahr 1999:
Sechs Kinder haben hier mal getobt,
immer bis mein Vater heimkam
Und wenn er uns nicht schlug, dann liebte er uns
und dafür waren wir ihm dankbar.
Die Toten Hosen: "Unser Haus" (1999)
Texte mit Haltung und als Leitfaden fürs Leben
Schlichte, leicht zugängliche Texte, mit Haltung, manchmal auch mit kleinem Leitfaden fürs Leben - das sei Gebrauchslyrik - und damit genau das, wofür die Toten Hosen seit 40 Jahren stünden, sagte Campino bei seiner ersten Vorlesung in Düsseldorf: "Textlich gesehen fühle ich mich bei diesem Begriff so wohl wie bei keinem andern und ich denke auch, was die ganze Punkbewegung angeht, das war und ist nichts anderes als Gebrauchslyrik."
"Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer - eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" ist das, was es verspricht. In dem Buch wird deutlich, dass in Campinos Texten viel mehr steckt, als man beim ersten Hören vermutet. Ein Leseempfehlung, für alle die, die den Punkrocker mal auf eine andere Art näher kennen lernen möchten. Nicht nur Fans dürften begeistert sein.
Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Verlag:
- Piper
- Veröffentlichungsdatum:
- 24.10.2024
- Bestellnummer:
- 978-3-492-07325-7
- Preis:
- 16 €