Ergreifende Lesung von Campino beim Göttinger Literaturherbst
Seit dieser Woche ist das neue Buch von Tote-Hosen-Frontmann Campino auf dem Markt. Beim Göttinger Literaturherbst stellte er am Freitagabend sein Werk "Kästner, Kraftwerk und Cock Sparrer - eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" vor. Es war der Auftakt der Lesereihe zum Buch.
Das Buch trägt den gleichen Titel wie die Gastvorlesung Campinos in der Düsseldorfer Universität, im April dieses Jahres. Mit dem Buch möchte er seinen persönlichen Gang durch die literarischen Einflüsse einem größeren Publikum präsentieren. Wer Campino kennt, der weiß, Lesungen sind bei ihm immer auch intime Konzerte.
Auch in Göttingen darf Campinos Kumpel und Bandkollege Kuddel mit seiner Gitarre nicht fehlen. Auf der Bühne spielen sie live den Song "Unser Haus":
Hab ich zwanzig Jahre lang hier gewohnt,
in diesem stillen Haus,
In dem nur noch meine Mutter lebt
und die Erinnerung verstaubt?
Die Toten Hosen: "Unser Haus"
Persönliche Erinnerungen, sie ziehen sich wie ein roter Faden durch all die Songs, die Campino für die Toten Hosen geschrieben hat. In "Unser Haus" sind es die Erinnerungen an sein Elternhaus. Geschrieben vor 25 Jahren. Zum ersten Mal präsentiert Campino das Lied nun live vor Publikum: "Ich seh' das alles noch immer vor mir wie in einem Kinofilm", geht der Songtext weiter.
Lieder mit persönlichen Geschichten
620 Zuhörerinnen und Zuhörer lauschen jedem Wort des Sängers. Mal liest er, mal plaudert er aus seinem Leben. Sehr persönlich, sehr ergreifend. Er spricht über den Entstehungsprozess vieler Tote-Hosen-Songs. "Nur zu Besuch" zum Beispiel: Gerademal 20 Minuten habe er gebraucht, den Tod seiner Mutter in Musik zu kleiden. Anders bei seinem Vater. Zu ihm habe er ein angespanntes Verhältnis gehabt. Campino musste Jahre an den richtigen Worten feilen: "An diesem Tag, wo er, um mich zu verabschieden, so kränklich, aber guter Dinge vor mir stand, ließ ich die Umarmung zu", liest Campino aus seinem Buch, "sie war lang und innig, und auch ich drückte ihn sehr. Ohne besonderen Grund, ohne Vorahnung. Drei Tage später war er tot."
Große Schriftsteller als Inspiration für Tote-Hosen-Songs
Von dieser letzten, versöhnenden Begegnung handelt "Draußen vor der Tür":
Das ist alles so lange her, so unendlich weit weg
Doch es fällt mir nicht schwer
Mich zu erinnern, wie’s beim letzten Mal war
Als wir uns noch sahen
Da draußen vor der Tür",
Die Toten Hosen: "Draußen vor der Tür"
Viele Tote-Hosen-Songs hätte es ohne Dichter wie Kurt Tucholsky, Heinrich Heine oder Erich Kästner nicht gegeben. Sie seien der Grund für seine Liebe zur Gebrauchslyrik. Das macht Campino bei seiner Lesung immer wieder deutlich. Der Sänger begreift vor allem Kästners Texte als kleine Lebenshilfe zum täglichen Gebrauch, leicht zugänglich und mit Haltung verfasst. Also genau das, was die Toten Hosen seit 40 Jahren textlich versuchen würden. "Taucht mal in die Welt von Tucholsky und Kästner ein. Es wird sich lohnen. Wirklich gutes Zeug. Für uns auch letztendlich die Ermutigung, politische Texte zu schreiben, dranzubleiben", so Campino.
Fans aus ganz Deutschland in Göttingen
Campino gelingt in seiner musikalischen Lesung der Spagat zwischen Unterhaltung und Melancholie. Politische Songs wie "Europa" wirken in der intimen Unplugged-Version noch eindrücklicher als sie ohnehin schon sind:
Sag mir, dass das nur ein Märchen ist
Mit Happy End für alle Leute
Und wenn sie nicht gestorben sind
Leben sie noch heute
Die Toten Hosen: "Europa"
heißt es in dem Lied. Der Songschreiber Campino ganz persönlich, fast zwei Stunden lang. Dafür sind seine Fans aus ganz Deutschland nach Göttingen gereist. "Sehr emotional, weil man auch persönliche Sachen mit den Liedern verbindet", sagt eine Besucherin danach. Eine andere freut sich, "die ganz andere Seite von Campino mal kennenzulernen". Ein Mann aus dem Publikum sagt überwältigt: "Ich fand Campino Weltklasse. Der Mann ist ja sowas von sympathisch. Da kommt so viel rüber." Am Ende kaufen sich begeisterte Fans vor dem Heimweg noch das neue Buch.