Juli Zeh über Pressefreiheit: "Ein Problem der Akzeptanz"
Bei der Auftaktveranstaltung zur Hamburger Woche der Pressefreiheit war unter anderem auch Juristin und Schriftstellerin Juli Zeh dabei. Das Hauptproblem ist ihrer Ansicht nach bei uns gar nicht die Pressefreiheit.
Diese Woche steht im Norden ganz im Zeichen der Pressefreiheit. Initiatoren der Hamburger Woche der Pressefreiheit sind die Zeit Stiftung Bucerius und die Körber Stiftung. Es gibt mehr als 40 kostenlose Workshops, Vorträge oder Ausstellungen, für alle, denen die Pressefreiheit am Herzen liegt.
Frau Zeh, welches Problem hat die Pressefreiheit denn in unserem Land?
Juli Zeh: Ich glaube, die Pressefreiheit ist in Wahrheit gar nicht unser Hauptproblem, weil die Presse ja doch frei ist. Wir regulieren nicht staatlich. Es gibt zwar wirtschaftliche Zwänge, über die wir reden müssen, aber ich sehe die Bedrohung einer funktionierenden Presse eher im Vertrauensverlust der Bevölkerung. Das ist eigentlich kein Problem der Freiheit, sondern eher ein Problem der Akzeptanz.
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die sozialen Medien? Die werden grundsätzlich eher negativ gesehen. Wie sehen Sie das?
Zeh: Natürlich finde ich nach wie vor, dass soziale Medien eigentlich ein tolles Tool sind, um Leute in Kontakt zu bringen, um gerade im privaten Bereich viel Kommunikation miteinander zu haben. Das finde ich schön. Aber es ist in den letzten Jahren zu einer politischen Größe geworden, wo Meinungen auf eine bestimmte Art und Weise gebildet werden, die dann wiederum Einfluss nehmen auf Wahlentscheidungen, auf das politische Verhalten der Bürger. Und da ist mein Eindruck, dass wir das nicht so weiterlaufen lassen können, wie es momentan ist: mit einer sehr hohen Verrohung im Diskurs, mit sehr viel Hass und Hetze und mit einer immer schwierigeren Unterscheidbarkeit zwischen Fakten und dem, was wir halt Fake-News nennen. Das sind die zwei Bereiche, wo wir als Gesellschaft überlegen müssen, was wir machen, das kann man nicht laufen lassen.
Was müssen wir ändern?
Zeh: Mein erster Wunsch an die Politik wäre, ernsthaft mal darüber nachzudenken, ob und wie realisierbar es ist, eine Klarnamenpflicht im Internet einzuführen. Dass wir, wenn wir an irgendwelchen Diskursräumen im Netz teilnehmen, das nur noch mit unserer reellen Identität tun können, so wie wir es außerhalb des Netzes auch machen, wenn wir miteinander reden. Da müssen wir im Internet tatsächlich hin, weil das allein schon durch das Kennen des Gegenübers einen domestizierenden, zivilisatorischen Effekt hat. Ich glaube, das würde schon sehr viel ausmachen. Der andere Punkt ist, dass wir große Internetplattformen, die häufig in den USA angesiedelt sind, nicht nach freiem Gutdünken schalten und walten lassen können in unseren Wirtschaftsräumen hier in Europa.
Sie haben über Vertrauensverlust gesprochen, und wir Journalisten haben auch mit unserer Arbeit einen Teil dazu beigetragen. Wie können wir dafür sorgen, dieses Vertrauen wieder herzustellen?
Zeh: Es ist natürlich schwer zu sagen, ob das jetzt so funktioniert und wie lange das dauern wird. Leider ist Vertrauen immer schnell zerstört, aber nur ganz langsam wieder aufgebaut. Aber der Grund, warum es verlorengegangen ist - und das höre ich von so vielen Menschen, auch in meiner Wohnumgebung im ländlichen Ostdeutschland - ist, dass die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Formate nicht mehr als neutral empfunden worden ist. Seit vielen Jahren haben die Leute den Eindruck, es gäbe so etwas wie eine Mainstream-Meinung, die sich darin ausdrückt, wer in Talkshows eingeladen wird, auf welche Weise Themen geframed werden und so weiter.
Viele Journalisten sagen dann immer: "Das machen wir doch gar nicht, so ist es doch nicht." Und ich verstehe auch diese Perspektive. Aber in der Außenwirkung kommt es tatsächlich so rüber. Und da müsste man ganz selbstkritisch versuchen, herauszufinden, wie man Formate wieder so gestalten kann, dass die Leute das Gefühl haben: Hier werden mir neutrale, objektive Informationen geboten, und ich habe die Freiheit, mir meine Meinung zu bilden. Die wollen mich nicht belehren, die wollen nicht pädagogisch auf irgendetwas hinaus, die wollen mich auch nicht therapieren, sondern die nehmen mich ernst als Medienkonsumenten, und ich bleibe frei in meiner Meinungsbildung. In die Richtung muss es gehen, und da muss man sich fragen, wie man das schaffen kann.
Sehen Sie das Thema KI als eine weitere Form der Bedrohung oder vielleicht auch als Chance?
Zeh: Ich habe da so eine komische Hoffnung, die sich eigentlich auf etwas Destruktives richtet. Ich habe das Gefühl, dass wir durch den Einsatz von KI im Internet auf eine Situation zusteuern, wo man zwischen echten Menschen und Fake-Identitäten gar nicht mehr unterscheiden kann, wo man auch zwischen einer echten und einer gefälschten Information nicht mehr unterscheiden kann, sodass das diese Kommunikationssphäre mittelfristig ganz stark entwerten wird. Weder ein Werbekunde wird dann noch Interesse haben, da Werbung zu schalten, wenn das Bots sind, die seine Angebote klicken, noch wird ein Privatmensch, der da kommuniziert, Interesse haben zu senden, wenn das vor allem Roboter sind, die ihm antworten.
Das ist erstmal eigentlich etwas Zerstörerisches, aber ich glaube, es ist insofern gut, weil es uns zwingen wird, so eine Art Reset zu machen in dieser Sphäre: So funktioniert es nicht mehr - was für eine Sorte Internet wollen wir stattdessen haben? Was für Räume können wir bauen, in denen wir uns seriös bewegen? Ich habe irgendwie das Gefühl, dass KI der Wendepunkt sein wird, wo so ein Gestaltungswille dann stattfindet. Ich glaube, das wird einen Handlungszwang - auch für Politiker - öffnen, und dann werden sich Dinge ändern.
Das Gespräch führte Anna-Lou Beckmann.