Hamburger Woche der Pressefreiheit: Zwischen Dialog und Filterblasen

Stand: 13.10.2024 16:14 Uhr

Die Hamburger Woche der Pressefreiheit hat am Sonntag mit einer Matinée im Rolf-Liebermann-Studio des NDR begonnen. Ingo Zamperoni diskutierte mit Maja Göpel, Juli Zeh, Johanna Weinhold und Georg Mascolo über Meinungsfreiheit, die Spaltung der Gesellschaft - und Möglichkeiten zur Überwindung.

von Daniel Sprenger

"Was hält uns noch zusammen?" Diese Frage stand als Motto über der Auftakt-Matinée von NDR Info zur Hamburger Woche der Pressefreiheit. Angesichts von gezielten Desinformationskampagnen und Filterblasen in Social Media diskutierte Moderator Ingo Zamperoni in der Live-Sendung am Sonntag über mögliche verbindende Elemente in der Gesellschaft.

Juli Zeh: "Einigkeit fußt nicht auf Meinungs-Konformität"

Die Schriftstellerin Juli Zeh sagte, sie würde die Frage am liebsten umformulieren, weil sie nicht viel von der Spaltungs-Idee halte. Man sollte nicht zu sehr auf das Thema Polarisierung setzen oder von vornherein davon ausgehen, dass das etwas Schlechtes sei. "Einigkeit muss nicht auf Meinungs-Konformität fußen." Das sei "so gar nicht die Idee von Demokratie", sagte Zeh, die auch Verfassungsrichterin in Brandenburg ist. Vielmehr sei Meinungsvielfalt gut und kein Ausdruck von Spaltung. Auch extreme Meinungen hätten im Diskurs ihre Berechtigung. "Die Frage ist, wie schaffen wir uns zu verständigen? Wie können wir verschiedene Meinungen so miteinander aushandeln, ohne dass wir uns hassen oder aufeinander losgehen?"

Weitere Informationen
Möwe fliegt über einen Strand, der mit Müll bedeckt ist © [M] Fabio Filzi/iStock Foto: Fabio Filzi

Hamburger Woche der Pressefreiheit 2024: Demokratie stärken

In der vergangenen Woche hat es bis Freitag ein vielfältiges Programm mit internationalen Gästen, Diskussionen und Workshops gegeben. NDR Info ist Partner der Veranstaltung. mehr

Journalistin im Erzgebirge: Dialog nur bedingt möglich

Journalistin Johanna Weinhold spricht bei der Auftakt-Matinée zur Hamburger Woche der Pressefreiheit. © Screenshot
Johanna Weinhold erlebte als Journalistin im Erzgebirge die engen Grenzen des Dialogs.

Das Aufeinanderlosgehen hat Journalistin Johanna Weinhold selbst hautnah erlegt. Sie hatte einen Selbstversuch gestartet, zog mit ihrer Familie von Leipzig in ein Dorf im Erzgebirge. Dort wollte sie ins Gespräch kommen mit Dorfbewohnern, stieß aber rasch auf Ablehnung. Sie erlebte Filterblasen, großes Misstrauen der Dorfbevölkerung und sagte bei der Matinée: "Dialog ist nur bedingt möglich."

Sie habe über Stunden mit den Leuten zusammengesessen und geredet, etwa über das Thema Ausländer. "Man kann da auch mit Fakten kommen, dass der Anteil 4,2 Prozent im Landkreis beträgt und es im Dorf keinen einzigen gibt", erzählte Weinhold. "Ja, ist egal", sei die Antwort gewesen. "Da kommt man auch nicht weiter. Die bleiben in ihrer Bockigkeit verhaftet." Mitunter wurde es auch sehr grob auch im Umgang. Weinhold legte ihren Twitter-Account still, weil sie nicht mehr ertragen habe, was sie dort an Schmähnachrichten erhalten hatte.

Weitere Informationen
Julie Zeh lehnt an einem Baum © Luchterhand Literaturverlag Foto: Peter von Felbert

Auftaktveranstaltung zur Hamburger Woche der Pressefreiheit: Porträts der Gäste

Die Gäste der Livesendung am Sonntag im Rolf-Liebermann-Studio waren Maja Göpel, Juli Zeh, Georg Mascolo und Johanna Weinhold. mehr

Göpel: Nicht zu sehr kategorisieren

Maja Göpel, Politökonomin und Expertin für Transformationsforschung, warnte davor, Menschen und ihre Einstellungen zu sehr zu kategorisieren. Das gefährde einen offenen Diskurs. "Wir packen Label drauf und kategorisieren. Das schafft auch Misstrauen. Da müssen wir aufpassen", sagte Göpel.

Gleichwohl gelte es auch bei verhärteten Meinungsfronten ein Mindestmaß an Umgangsformen zu wahren. "Das nennt sich zivilisatorischer Fortschritt und nicht Diktatur", so Göpel.

Möwe fliegt über einen Strand, der mit Müll bedeckt ist © [M] Fabio Filzi/iStock Foto: Fabio Filzi
AUDIO: NDR Info ist Partner der Hamburger Woche der Pressefreiheit (5 Min)

Mascolo: "Meinungsfreiheit ist keine Freiheit für Hetze"

"Robust zu streiten ist etwas, was jede Gesellschaft aushalten muss, aber es gibt keine Freiheit für Hass", sagte Georg Mascolo, ehemaliger "Spiegel"-Chefredakteur und Investigativjournalist. "Es gibt Meinungsfreiheit, aber keine Freiheit für Hetze."

Ein großes Thema bei der Auftaktveranstaltung waren die Auswirkungen von Social Media auf den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. "Die Technik will nichts, die ist weder gut noch böse", sagte Mascolo. "Es ist die Frage, wie sie angewandt und programmiert wird." Die großen Tech-Konzerne hätten sich entschieden, gar keine Verantwortung zu übernehmen. Belohnt würde in den Netzwerken, was emotionalisiert. Das erschwere einen sachlichen Diskurs.

Mascolo plädierte dafür, im Journalismus auf eine transparente Fehlerkultur zu setzen. Zudem sprach er sich für die "konsequente Trennung von Nachrichten- und Meinungsjournalismus" aus.

Pressefreiheit - "ein existenzieller Wert für die Demokratie"

Zum Auftakt der Matinée hatte Moderator Ingo Zamperoni mit NDR Intendant Joachim Knuth sowie den Stiftungsvorständen Manuel Hartung und Lothar Dittmer über aktuelle Herausforderungen gesprochen. Joachim Knuth betonte den "existenziellen Wert der Pressefreiheit". Diese müsse jeden Tag neu verteidigt werden und daher sei der NDR bei der Hamburger Woche der Pressefreiheit "gerne dabei - und mit voller Intensität".

Manuel Hartung von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS verwies auf die wachsende Bedeutung der Veranstaltung in Hamburg: "Ich glaube, daraus entsteht eine echte Bewegung für die Verteidigung der Pressefreiheit." Lothar Dittmer von der Körberstiftung brachte einen weiteren Aspekt in die Debatte ein: Es müsse über den Vertrauensverlust der Medien gesprochen werden. Dafür gelte es, das Gespräch mit Hörern, Zuschauern und Nutzern zu suchen - aber auch Selbstreflexion zu üben. "Wir müssen darüber nachdenken, wie das Band, das ein Stück weit zerschnitten worden ist, wieder gekittet werden kann."

VIDEO: Pressefreiheit: Ein "essenzieller Wert für die Demokratie" (11 Min)

Bis Freitag vielfältiges Programm zum Thema Pressefreiheit

Bis Freitag bietet die Hamburger Woche der Pressefreiheit ein vielfältiges Programm mit internationalen Gästen und kostenlosen Angeboten für Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrkräfte sowie Bürgerinnen und Bürger. Die Hamburger Woche der Pressefreiheit ist eine Initiative der Körber Stiftung und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. NDR Info ist mit seinem umfangreichen Angebot zentraler Partner.

Weitere Informationen
Dmitri Muratow und Anton Troianovski im Gespräch über die Pressefreiheit in Russland © Jann Wilken Foto: Jann Wilken

Woche der Pressefreiheit 2023: Journalisten berichten über Verfolgung

Bei der 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit sprach Ingo Zamperoni mit Gästen über freie Berichterstattung in Russland, der Türkei und in Deutschland. mehr

Logo einfach.Medien

einfach.Medien: Das Medienkompetenz-Portal für Schulen

Unterrichtsmaterial für Lehrer*innen, Workshops und Wettbewerbe für Schulklassen, Videos, Audios und Glossar zu Medien-Trends und -Begriffen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 13.10.2024 | 11:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Journalismus

Pressefreiheit

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Mitglieder der Partei Freie Wähler stehen in Hamburg an einem Wahlkampf-Stand. © NDR Info Foto: Anina Pommerenke

Neuwahl schon im Februar: "Das ist ein riesiger Kraftakt"

Die vorgezogene Bundestagswahl macht vor allem kleineren Parteien zu schaffen - auch im Norden. Wie gehen sie mit den Herausforderungen um? mehr