Hamburger Woche der Pressefreiheit: Zwischen Dialog und Filterblasen
Die Hamburger Woche der Pressefreiheit hat am Sonntag mit einer Matinée im Rolf-Liebermann-Studio des NDR begonnen. Ingo Zamperoni diskutierte mit Maja Göpel, Juli Zeh, Johanna Weinhold und Georg Mascolo über Meinungsfreiheit, die Spaltung der Gesellschaft - und Möglichkeiten zur Überwindung.
"Was hält uns noch zusammen?" Diese Frage stand als Motto über der Auftakt-Matinée von NDR Info zur Hamburger Woche der Pressefreiheit. Angesichts von gezielten Desinformationskampagnen und Filterblasen in Social Media diskutierte Moderator Ingo Zamperoni in der Live-Sendung am Sonntag über mögliche verbindende Elemente in der Gesellschaft.
Juli Zeh: "Einigkeit fußt nicht auf Meinungs-Konformität"
Die Schriftstellerin Juli Zeh sagte, sie würde die Frage am liebsten umformulieren, weil sie nicht viel von der Spaltungs-Idee halte. Man sollte nicht zu sehr auf das Thema Polarisierung setzen oder von vornherein davon ausgehen, dass das etwas Schlechtes sei. "Einigkeit muss nicht auf Meinungs-Konformität fußen." Das sei "so gar nicht die Idee von Demokratie", sagte Zeh, die auch Verfassungsrichterin in Brandenburg ist. Vielmehr sei Meinungsvielfalt gut und kein Ausdruck von Spaltung. Auch extreme Meinungen hätten im Diskurs ihre Berechtigung. "Die Frage ist, wie schaffen wir uns zu verständigen? Wie können wir verschiedene Meinungen so miteinander aushandeln, ohne dass wir uns hassen oder aufeinander losgehen?"
Journalistin im Erzgebirge: Dialog nur bedingt möglich
Das Aufeinanderlosgehen hat Journalistin Johanna Weinhold selbst hautnah erlegt. Sie hatte einen Selbstversuch gestartet, zog mit ihrer Familie von Leipzig in ein Dorf im Erzgebirge. Dort wollte sie ins Gespräch kommen mit Dorfbewohnern, stieß aber rasch auf Ablehnung. Sie erlebte Filterblasen, großes Misstrauen der Dorfbevölkerung und sagte bei der Matinée: "Dialog ist nur bedingt möglich."
Sie habe über Stunden mit den Leuten zusammengesessen und geredet, etwa über das Thema Ausländer. "Man kann da auch mit Fakten kommen, dass der Anteil 4,2 Prozent im Landkreis beträgt und es im Dorf keinen einzigen gibt", erzählte Weinhold. "Ja, ist egal", sei die Antwort gewesen. "Da kommt man auch nicht weiter. Die bleiben in ihrer Bockigkeit verhaftet." Mitunter wurde es auch sehr grob auch im Umgang. Weinhold legte ihren Twitter-Account still, weil sie nicht mehr ertragen habe, was sie dort an Schmähnachrichten erhalten hatte.
Göpel: Nicht zu sehr kategorisieren
Maja Göpel, Politökonomin und Expertin für Transformationsforschung, warnte davor, Menschen und ihre Einstellungen zu sehr zu kategorisieren. Das gefährde einen offenen Diskurs. "Wir packen Label drauf und kategorisieren. Das schafft auch Misstrauen. Da müssen wir aufpassen", sagte Göpel.
Gleichwohl gelte es auch bei verhärteten Meinungsfronten ein Mindestmaß an Umgangsformen zu wahren. "Das nennt sich zivilisatorischer Fortschritt und nicht Diktatur", so Göpel.
Mascolo: "Meinungsfreiheit ist keine Freiheit für Hetze"
"Robust zu streiten ist etwas, was jede Gesellschaft aushalten muss, aber es gibt keine Freiheit für Hass", sagte Georg Mascolo, ehemaliger "Spiegel"-Chefredakteur und Investigativjournalist. "Es gibt Meinungsfreiheit, aber keine Freiheit für Hetze."
Ein großes Thema bei der Auftaktveranstaltung waren die Auswirkungen von Social Media auf den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. "Die Technik will nichts, die ist weder gut noch böse", sagte Mascolo. "Es ist die Frage, wie sie angewandt und programmiert wird." Die großen Tech-Konzerne hätten sich entschieden, gar keine Verantwortung zu übernehmen. Belohnt würde in den Netzwerken, was emotionalisiert. Das erschwere einen sachlichen Diskurs.
Mascolo plädierte dafür, im Journalismus auf eine transparente Fehlerkultur zu setzen. Zudem sprach er sich für die "konsequente Trennung von Nachrichten- und Meinungsjournalismus" aus.
Pressefreiheit - "ein existenzieller Wert für die Demokratie"
Zum Auftakt der Matinée hatte Moderator Ingo Zamperoni mit NDR Intendant Joachim Knuth sowie den Stiftungsvorständen Manuel Hartung und Lothar Dittmer über aktuelle Herausforderungen gesprochen. Joachim Knuth betonte den "existenziellen Wert der Pressefreiheit". Diese müsse jeden Tag neu verteidigt werden und daher sei der NDR bei der Hamburger Woche der Pressefreiheit "gerne dabei - und mit voller Intensität".
Manuel Hartung von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS verwies auf die wachsende Bedeutung der Veranstaltung in Hamburg: "Ich glaube, daraus entsteht eine echte Bewegung für die Verteidigung der Pressefreiheit." Lothar Dittmer von der Körberstiftung brachte einen weiteren Aspekt in die Debatte ein: Es müsse über den Vertrauensverlust der Medien gesprochen werden. Dafür gelte es, das Gespräch mit Hörern, Zuschauern und Nutzern zu suchen - aber auch Selbstreflexion zu üben. "Wir müssen darüber nachdenken, wie das Band, das ein Stück weit zerschnitten worden ist, wieder gekittet werden kann."
Bis Freitag vielfältiges Programm zum Thema Pressefreiheit
Bis Freitag bietet die Hamburger Woche der Pressefreiheit ein vielfältiges Programm mit internationalen Gästen und kostenlosen Angeboten für Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrkräfte sowie Bürgerinnen und Bürger. Die Hamburger Woche der Pressefreiheit ist eine Initiative der Körber Stiftung und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. NDR Info ist mit seinem umfangreichen Angebot zentraler Partner.