Deniz Yücel: Ich war im Kampfmodus und das wird Imamoglu auch sein
Seit Tagen protestieren Zehntausende in der Türkei für die Freilassung von Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu. Autor und Journalist Deniz Yücel hat selbst ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft gesessen und erinnert sich an die große Solidarität.
"Bei mir hatte die Solidarität aus Deutschland eine ganz andere Dimension, aber selbst mich hat sie unglaublich bestärkt", sagte er im Interview auf NDR Info. Die große Solidarität werde auch Imamoglu in seiner Haft stärken, erklärte Yücel. "Ich habe keine Sekunde resigniert, ich war im Kampfmodus und das wird Imamoglu auch sein." Er dürfe aber nicht vergessen, dass die Menschen, die auf den Straßen protestieren, große Gefahren auf sich nehmen, so Yücel weiter.
Trotz Verbots und eines harten Vorgehens der Polizei reißen die Demonstrationen in der Türkei seit Tagen nicht ab. Zehntausende protestieren gegen die Inhaftierung und vorläufige Absetzung des Istanbuler Oberbürgermeisters Imamoglu, der als bedeutendster Konkurrent von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gilt. Imamoglu werden Vorwürfe im Zusammenhang mit Korruptions- und Terrorismusermittlungen gemacht.
Yücel: Die Türkei ist nicht Russland
Den Protestierenden gehe es aber nicht nur um die Freilassung Imamoglus, sondern um ihre Zukunft, um ein besseres Leben, erklärte Yücel. "Imamoglu ist das Symbol für ein besseres Land geworden."
"Die Proteste, die trotz der Festnahmen weitergehen, stimmen mich optimistisch, dass nicht das Ende der Demokratie in der Türkei bevorsteht. Die Türkei hat ein demokratisches Bewusstsein, sie ist nicht Russland. Eine Diktatur hat es in der Türkei schwerer", ist Yücel überzeugt. "Wenn es Erdogan nicht gelingt, eine Diktatur zu installieren, bin ich davon überzeugt, dass Imamoglu der nächste Staatspräsident wird."
Als Journalist und Berichterstatter schmerze es ihn gerade besonders, nicht in Istanbul sein zu können und die Ereignisse vor Ort mitverfolgen zu können, erzählte er. Yücel befand sich von Februar 2017 bis Februar 2018 fast ein Jahr lang wegen angeblicher Terrorpropaganda in türkischer Untersuchungshaft - über 290 Tage davon saß er in strenger Einzelhaft. Nachdem er aus der Haft entlassen wurde, kehrte er direkt nach Deutschland zurück - und wurde in seiner Abwesenheit von der Großen Strafkammer in Istanbul zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen verurteilt. Sobald er in die Türkei zurückkehrt, muss er ins Gefängnis.
