Woche der Pressefreiheit 2023: Journalisten berichten über Verfolgung

Stand: 11.09.2023 18:45 Uhr

Die 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit hat mit einer Auftakt-Veranstaltung beim NDR begonnen. In der Live-Sendung "Angriffe, Drohungen, Zensur - der Kampf um die Pressefreiheit" sprach Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni mit Gästen über die Gefahren der Berichterstattung in Russland, der Türkei - aber auch in Deutschland.

von Katharina Preuth

"Pressefreiheit ist die permanente Sauerstoff-Zufuhr für Demokratien", sagte NDR Intendant Joachim Knuth zum Auftakt der Veranstaltung. "Meinungsvielfalt ist wichtig, damit Menschen sich ein Bild machen können, wie sie am Ende demokratisch entscheiden."

Auf diesen Grundsatz konnten sich die Gäste an diesem Tag alle einigen. Klar wurde in der Gesprächsrunde auch: Wie unterschiedlich die Arbeit von JournalistInnen ist, hängt in erster Linie von den politischen Systemen ab, in denen sie tätig sind. "Es ist die allergrößte Leistung, sich gegen Autokratien zu behaupten. Das erfordert einen unglaublichen Mut", betonte Knuth.

Muratow: Geschichte des unabhängigen Journalismus ist vorbei

Der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow ist so ein mutiger Mensch. Um über seine Arbeit als Chefredakteur und Herausgeber der größten unabhängigen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" erzählen zu können, kam er mit Personenschützern nach Hamburg. Denn seit dem Jahr 2000 wurden sechs JournalistInnen und MitarbeiterInnen der Zeitung getötet.

Dmitri Muratow und Anton Troianovski im Gespräch über die Pressefreiheit in Russland © Jann Wilken Foto: Jann Wilken
Dmitri Muratow und Anton Troianovski im Gespräch über die Pressefreiheit in Russland

"Die Geschichte des unabhängigen Journalismus ist vorbei", erklärte Muratow mit Blick auf sein Heimatland. Dutzende von Redaktionen seien ausgewandert, 664 PolitikerInnen und JournalistInnen seien als ausländische Agenten eingestuft worden. Und auch heute betont Muratow, dass er außerhalb Russlands nur sehr eingeschränkt Kritik am Kreml äußern dürfe, wenn er wieder zurück nach Moskau reisen wolle.

Wer kritisch über Russland berichtet, muss mit Konsequenzen rechnen. Was schon länger für russische JournalistInnen galt, ist auch für ausländische BerichterstatterInnen Realität geworden. "Es ist sehr gefährlich, daher berichten viele ausländische Journalisten aus dem Exil", sagt Anton Troianovski, Russland-Korrespondent der "New York Times". Er selbst arbeitet mittlerweile aus Berlin.

Anton Troianovski "The Wall Street Journal"
AUDIO: Troianovski: Die schlechte Lage der Pressefreiheit in Russland (7 Min)

Dündar: Journalismus in der Türkei durch Angst geprägt

Can Dündar im Gespräch mit Ingo Zamperoni © Jann Wilken
Der türkische Exil-Journalist Can Dündar musste nach Deutschland fliehen.

Welche Auswirkungen autokratische Systeme auf die Pressefreiheit haben können, zeigt auch das Beispiel der Türkei. Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", erklärte, dass immer weniger ReporterInnen das Risiko eingehen würden, für freie Berichterstattung ins Gefängnis zu gehen. Diese Vorsicht, diese Angst führe dazu, dass sich der Journalismus in der Türkei insgesamt verändert habe.

Er selbst berichtet aus Deutschland über den Zustand in seinem Land. Für seine Recherchen arbeitet Dündar mit KollegInnen in der Türkei zusammen. "Alles, was ich schreibe, könnte ihr Leben gefährden."

Pressefreiheit auch in Deutschland in Gefahr

Doch selbst in demokratischen Ländern wie Deutschland ist die freie Berichterstattung bedroht. Der NDR ist auch deshalb Partner der Woche der Pressefreiheit, um zu zeigen, "dass Pressefreiheit nicht nur dann in Gefahr gerät, wenn Krieg herrscht, wenn Menschenleben bedroht sind, wenn Journalisten in Diktaturen hinter Gitter sitzen", erklärt NDR Chefredakteur Adrian Feuerbacher. Das beginne viel früher, auch vor körperlichen Angriffen, das beginne im Kleinen.

So würden Ministerien monatelang Informationen verweigern und erst nach der Androhung einer Klage reagieren. Anwaltskanzleien von Unternehmen oder Künstlern würden juristisch gegen den NDR vorgehen, um Berichterstattungen zu verhindern.

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So wird Investigativ-Reportern die Arbeit erschwert

Ein Beispiel, wie große Anwaltskanzleien journalistische Arbeit beeinflussen wollen, ist die Berichterstattung um Till Lindemann, den Sänger der Band Rammstein. In dem Recherche-Verbund aus "Süddeutscher Zeitung" und NDR hat unter anderem der Investigativ-Journalist Daniel Drepper über Missbrauchsvorwürfe von Frauen gegen den Sänger berichtet. "In der Rammstein-Recherche hat sich die Kanzlei von Till Lindemann immer wieder sehr aktiv in Pressemitteilungen und auch in Interviews geäußert. Dort hat sie unter anderem auch rechtliche Verfahren gegen Einzelpersonen angekündigt - also gegen Frauen, die von ihren Erfahrungen berichten. Das hat natürlich Menschen, die darüber nachgedacht haben, mit uns zu sprechen, unter Druck gesetzt", erklärt Drepper. "Meine Arbeit als Investigativjournalist wäre ohne Pressefreiheit nicht möglich. Alle unsere Recherchen haben das Ziel, Dinge aufzudecken, die andere nicht aufgedeckt sehen wollen."

Im Anschluss an die Live-Sendung fanden zum Auftakt Workshops statt, in denen unter anderem Daniel Drepper über seine Rammstein-Recherchen berichtete.

Der NDR ist Partner der 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit. Initiatoren sind die Körber-Stiftung und die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 11.09.2023 | 11:30 Uhr

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