Jugendliche erforschen ihre Dorfgeschichte: "LandHelden" in Bollewick
Beim Projekt "LandHelden" in Bollewick in Mecklenburg-Vorpommern sprechen Schülerinnen und Schüler mit Zeitzeugen und tauchen tief in die Archive ein. Zur Zeit beschäftigen sie sich mit dem Nationalsozialismus in ihrer Region.
In der Chronik stecken gut 100 Jahre Dorfgeschichte. "Hier haben wir Bilder von der Scheune zur NS-Zeit", erklärt ein Schüler. "Man sieht hier eine Menschenmenge vor der Scheune und ein Hakenkreuz im Hintergrund. Darauf steht: Bollewick."
Die Teenager haben in alten Fotoalben, Zeitungen und Chroniken geforscht. Sie alle sind freiwillig nach der Schule in der Geschichtswerkstatt dabei. Auch Maren Heinemann, die Projektleiterin, macht das ehrenamtlich. Ihre Grundidee und Motivation dafür war, die Geschichte nicht zu vergessen, erzählt sie: "Daraus ist die Idee entstanden, hier ein Projekt ins Leben zu rufen, um mit den Kindern die Geschichte aufzuarbeiten, zu dokumentieren und die Menschen zu fragen: 'Wie war das damals? Was habt ihr erlebt?' Das wollen wir festhalten. Was können wir aus der Geschichte mit in die Zukunft nehmen?"
"LandHelden" arbeiten die regionale NS-Geschichte auf
Der Zweite Weltkrieg sei eine Zeit, über die man viel redet, meint Joos Heinemann. "Aber wenn man einzelne Personen fragt, wollen diese oft nicht darüber reden. Ich finde, deshalb ist es sehr wichtig, dass man darüber aufklärt und diese Zeit erarbeitet."
Im Fokus der "LandHelden" standen bisher die Verbrechen der Nazis, besonders die Konzentrationslager, sagt Maren Heinemann: "Eines war hier bei uns in der Nähe. Das war das KZ Ravensbrück. Das war hauptsächlich ein Frauenlager. Ravensbrück ist ungefähr 50 Kilometer von hier entfernt. Ganz in der Nähe gab es auch sogenannte Außenlager, eins in Retzow. Das ist 15 Kilometer entfernt."
Im April 1945 wurde das Lager geräumt und mehrere Marschkolonnen setzen sich in Bewegung in Richtung Nordwesten. "Was an dem Todesmarsch so erschütternd war: dass die KZ-Häftlinge natürlich extremst geschwächt waren. Wer nicht mehr weiter konnte, wer hingefallen ist, wurde erschossen.", berichtet Maren Heinemann. "Es gibt über den Todesmarsch, logischerweise - die hatten ja keine Fotoapparate dabei - wenig Bildmaterial, aber KZ-Häftlinge haben viele Bilder gemalt. Dies sind düstere Bilder, die die Menschen gemalt haben."
Die Bevölkerung hier muss das mitbekommen haben: "Ich habe schon einmal mit meinen Großeltern darüber gesprochen als wir Bilderalben durchgeguckt haben", sagt der Schüler Carl Grabow.
Flüchtlingsversteck in Bollewick
Ein beeindruckendes Projekt: Hier wird Geschichte direkt vermittelt - und die hält auch Überraschungen bereit, erzählt Maren Heinemann: "Im September habe ich eine Anfrage aus Prag bekommen, von einem Professor, von Herrn Kunstert. Seine Mutter war von 1941 bis 1945 im KZ Ravensbrück. Ich habe auch ein Foto von ihr mitgebracht. Das zeigt Miroslava im Alter von 19 Jahren. Miroslava konnte damals aus dem Todesmarsch-Treck flüchten und wurde in Bollewick von einer Familie versteckt."
Die Jugendlichen wollen dieser Geschichte genauer nachgehen. "Wir haben eine Ahnung, [wo sie gewohnt haben könnte,] es ist aber nicht gesichert, weil sie ja geheim untergebracht worden ist", erklärt Bertolt Meyer. "Die Frau wurde ja verfolgt. Dass da alle gesagt haben: 'So, wir haben einen Flüchtling aufgenommen, die kam aus dem KZ', hätte schiefgehen können."
Vermutlich wurde Miroslava nicht mitten im Ort, sondern in einem Bauernhof am Dorfeingang versteckt. "Hier vermuten wir, dass die Flüchtlinge untergekommen sind", sagt Joos Heinemann. Das war ganz schön gefährlich. "Jeder, der geholfen hat, Leute zu verstecken, wurde bestraft."
Geschichtswerkstatt gegen das Vergessen
"Haben Sie mal davon gehört, dass da drüben eventuell mal jemand versteckt wurde?", fragt Julia Westlake die Nachbarin Frau Gebauer. "Das kann ich nicht sagen, aber meine Großmutter hat oft erzählt, dass hier Flüchtlinge, als der Todesmarsch hier durch ging, von den Bauern verköstigt wurden, dass sie aber die Nahrung nicht vertragen haben. Die waren ja ausgehungert. Es ist nur schade, dass die Alten nicht mehr sind, die das erzählen können."
Doch jetzt gibt es Junge, die sich intensiv damit befassen, weil diese Geschichten auch heute noch wichtig sind: die "LandHelden". Ein Projekt, das größere Kreise ziehen sollte, findet Julia Westlake.