Ein Mann mit einer weiß-blauen Kippa auf dem Kopf. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen
Ein Mann mit einer weiß-blauen Kippa auf dem Kopf. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen
Ein Mann mit einer weiß-blauen Kippa auf dem Kopf. © dpa-Bildfunk Foto: Peter Steffen
AUDIO: Jüdische Gemeinden im Norden blicken sorgenvoll nach Israel (5 Min)

Jüdische Gemeinde Hannover im Schockzustand

Stand: 13.10.2023 12:35 Uhr

Eine junge Jüdin traut sich nicht mehr den Davidstern zu tragen, andere bangen um die Solidarität der Deutschen, und die Angst um Freunde und Verwandte ist groß, wie ein Besuch in der jüdischen Gemeinde Hannover zeigt.

von Michael Hollenbach

Shalom Aleichem – Friede sei mit dir. So wird traditionellerweise der Schabbat am Freitagabend eingeleitet. Doch momentan denken auch hierzulande fast alle Jüdinnen und Juden an den Krieg in Israel.

Freunde und Familie in Israel

"Ich habe Freunde in Israel, die jetzt Reservisten sind in der Armee. Da ist es hart, mit der Realität umzugehen, ob man Leute jemals wieder sehen wird“, sagt Ruth Regnier. Auch ihre gesamte Familie mütterlicherseits lebe in Israel.

Immer wieder blickt die 22-Jährige auf ihr Smartphone, um die aktuellen Nachrichten in Chats und sozialen Medien zu verfolgen. Der Krieg hat auch Auswirkungen auf ihren Alltag hier in Deutschland. Sie ist vorsichtiger geworden.

Viele Freunde sind schon tot

„Ich trage normalerweise immer eine Davidsternkette“, erzählt sie. Jetzt aber hat sie sie abgenommen. „Man bekommt in Deutschland viele Kommentare, wenn man offen mit einer Davidsternkette herumläuft. Und das ist mir gerade zu viel“, sagt sie.

Auch andere Jüdinnen und Juden verfolgen genau, was in Israel geschieht. Yefgen Bruckmann aus Hannover checkt immer wieder die neuesten Posts. "Mittlerweile sehe ich bei vielen meiner Freunde in Israel, dass sie über Freunde posten, die tot sind“, sagt der 25-Jährige, der sich in der liberalen-jüdischen Gemeinde engagiert.

"Orte wie die Gemeinde sind extrem wichtig. Da sind Menschen, die auf vielen verschiedenen Ebenen dieselben Ängste haben wie wir", sagt Yefgen Bruckmann. Zudem wisse man, dass man an diesen Orten Ruhe habe und bedingungslosen Trost finde.

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Breite Unterstützung erfahren jüdische Gemeinden derzeit auch in der Öffentlichkeit. In zahlreichen Kundgebungen wurde einstimmig der brutale Überfall der Hamas verurteilt. Auf Plakaten und Transparenten war zu lesen: "Wir stehen an der Seite Israels."

"Das sind Solidaritätsbekundungen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Das ist schon unglaublich", sagt Michael Fürst, der seit mehr als vier Jahrzehnten Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen ist.

Stimmung darf nicht umschwenken

"Die Unterstützung, die wir derzeit erleben, ist gewaltig. Andererseits kenne ich meine deutschen Mitbürger und ich sehe die Gefahr, wenn es noch einige Wochen andauert und mit vielen Leichen verbunden sein wird, dass dann auf einmal die Stimmung umschwenken kann", befürchtet Michael Fürst. Die Deutschen kehrten dann zur Normalität zurück und denken: Nun können die Israelis, nun können die Juden endlich mal aufhören.

Zu diesem deutsche Normalzustand gehört die Erfahrung, dass der Antisemitismus sich hierzulande immer dann besonders aggressiv zeigt, wenn der Konflikt im Nahen Osten eskaliert. Ruth Regnier befürchtet deshalb eine Zunahme des Antisemitismus in den kommenden Wochen.

Angst vor zunehmendem Antisemitismus

"Ich weiß, dass es kommen wird, aber das macht es nicht einfacher. Es ist wirklich sehr traumatisch, zu sehen, wie offen genozidale Sprache gegenüber Jüdinnen und Juden verwendet wird", sagt die 22-Jährige. Es sei sehr erschreckend, auch dass einem das immer wieder vor Augen führe, dass es sehr viele Menschen gibt, denen ihr Leben sehr wenig Wert sei.

Michael Fürst weiß um die Sorgen und Ängste in den jüdischen Gemeinden. Er wünscht sich, dass die breite politische Solidarität andauert und dass die deutsche Staatsräson, die noch gar nicht so recht definiert ist, sich nun mit Inhalt füllt. "Was gehört dazu? Was ist, wenn die Israelis nicht nur Waffen, sondern auch Soldaten erbitten würden von Deutschland?", fragt er. "Diese deutsche Staatsräson gegenüber Israel muss andauernd sein."

 

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