Graphic Novel: Das, was im Kopf zwischen zwei Bildern passiert
Literatur als anspruchsvoller Comic - aktuell zu erleben im Hamburger Literaturhaus, wo noch bis einschließlich Donnerstag die "11. Hamburger Graphic Novel Tage" laufen. Über diese höchst erfolgreiche Kunstform des Erzählens hat Jens Büchsenmann mit der erzählenden Zeichnerin Isabel Kreitz gesprochen.
Graphic Novels sind in Buchläden nicht mehr aus den Auslagen wegzudenken. Denn diese bilderreiche Art des Erzählens wird zunehmend attraktiver - als eine Art Erwachsenen-Comics. Längst decken Graphic Novels alle Formen des Erzählens ab, die wir aus dem Roman, dem Sachbuch kennen oder als Kinderbücher. In Hamburg wird diese Kunst aktuell gefeiert, mit den "Graphic Novel Tagen", die in diesem Jahr zum elften Mal stattfinden und gerade begonnen haben. Isabel Kreitz ist eine der erfolgreichsten und vielseitigsten Künstlerinnen dieses Genres.
"Wenn Bilder die Erzählung stören, müssen sie raus"
Kann es einen schöneren Platz zum Arbeiten geben als hoch über der Elbe, mit direktem Blick auf den Fluß, auf riesige Containerfrachter, die elbauf- oder abwärts ziehen? Auf Kreuzfahrer und Luxusyachten, die auf der Werft Blohm & Voss überholt werden. Hier oben auf dem Pinnasberg steht das Atelier von Isabel Kreitz. Im Kirchenbüro der St.Pauli-Kirche, einem alten Fachwerkhaus. Wo der Pastor Predigten schreibt, zeichnet sie. Mit dieser besonderen Ökonomie, die typisch ist für den Comic: "Wenn man eine Geschichte erzählen will, und kriegt es hin, einen Witz in drei Bildern zu erzählen, dann ist das ein wunderbarer Handwerkskasten. Und wegschmeißen auch! Also nicht an Bildern festklammern, die man irgendwie mag. Wenn sie die Erzählung stören, müssen sie raus. Das ist das Handwerkszeug des Comic-Zeichners", sagt Isabel Kreitz.
Romane von Uwe Timm und Erich Kästner als Graphic Novel
So gelingen ihr Comicalben wie "Die Entdeckung der Currywurst". Nur 64 höchst anschauliche Seiten braucht sie für Uwe Timms Nachkriegsroman, und nicht viel mehr für Erich Kästners "Doppeltes Lottchen". Aber schon viel dicker wurde ihre Graphic Novel über den Massenmörder Haarmann, und über 300 Seiten zählt ihr liebevoll detailliert gezeichneter St-Pauli-Roman "Rohrkrepierer". "Ich arbeite inzwischen auch schon vier fünf sechs Jahre an einem Buch. Ich mache das halt nebenher, weil ich damit nichts verdiene. Sobald ein Job kommt der mich ernährt, muss ich unterbrechen. Und ich meine, den meisten Belletristen geht es ähnlich."
Dass sich selbst die Spitzentalente des Genres schwertun mit dem Geldverdienen, liegt wohl auch daran, dass sie nicht in den Bestsellerlisten der Hauptkategorien Belletristik und Sachbuch auftauchen. Graphic Novels werden eher auf Comic- und Manga-Fan-Seiten gefeiert. Also macht Isabel Kreitz, um leben zu können, wieder das, was sie studiert hat: Illustration und Gebrauchsgrafik - Handbücher und Bedienungsanleitungen.
Botschaften, die zu schwierig für Texte waren
"Im Grunde genommen ging’s darum, Botschaften an Leute zu vermitteln, die Spaß an Bildern haben oder an Bilderzählungen oder sogar Botschaften an Leute zu vermitteln, die zu schwierig waren in Textform vermittelt zu werden." Übertragen auf das fiktionale Genre heißt das: anschaulich im Wortsinn! Gleichzeitig pointiert und ökonomisch. Sequenzielles Erzählen nennt das die Graphic Novel-Künstlerin.
Leben von den Zwischenräumen, die der Kopf schafft
"Das lebt von den Zwischenräumen. Das ist ja inzwischen eine Binsenweisheit. Das, was im Kopf passiert zwischen zwei Bildern. Das ist ja was den Comic so spannend macht. Dieses interaktive Teilnehmen, Ergänzen aus der eigenen Bilderfahrung. Weißraum zwischen zwei Panels heißt das, oder Bildern."
Isabel Kreitz hat gleich ein Beispiel parat - sozusagen das Minimalschema des Erzählens mit grafischen Mitteln. "Ganz blöd gesagt: Mann geht Straße entlang - Mann ist weg. Ja was ist passiert. War da ein Loch in der Straße? Das sind die Sachen, die ergänzen Sie als Leser ganz persönlich. Und jeder anders. Das macht es toll - und spannend."
Später Eintritt in den deutschen Markt
Im Kino kennen wir ‚Cliffhanger‘, die die Erwartung steigern. Reduktion also als Appell an die Vorstellungskraft des Betrachters. Graphic Novels nutzen filmische wie literarische Formen des Erzählens. Und sind dabei ebenso grenzenlos frei, was Stoff und Handlung angeht. Im europäischen Vergleich hat das Genre den deutschsprachigen Raum erst spät erreicht. Immerhin erobern die sprechenden Bilderbücher die Programme von Verlagen, Buchhandel und Literaturhäusern. Und immer mehr Bücherregale zuhause.