Entertainerin und Autorin Mimi Fiedler beim Roten Sofa von DAS! © Screenshot

Frauen und Alkoholsucht: Trinken gehört zum Alltag

Stand: 12.04.2023 11:59 Uhr

Während der gesundheitlich riskante Alkoholkonsum bei Männern in den vergangenen Jahren abgenommen hat, bleibt er bei Frauen gleich oder steigt sogar. Hintergründe zum Thema.

von Alexandra Friedrich

Deutschland ist ganz vorn dabei beim Trinken: In der Rangliste beim Pro-Kopf-Verbrauch von Reinalkohol liegen wir auf Platz vier innerhalb Europas, auch weltweit rangieren wir in den Top Ten. Die überwiegende Zahl der betroffenen Frauen, bei denen der riskante Alkoholkonsum gleich geblieben oder sogar gestiegen ist, sind dabei nicht etwa gesellschaftliche Außenseiterinnen, sondern Frauen, die mitten im Leben stehen.

Schauspielerin Mimi Fiedler über das Gesicht von Alkoholismus

Schauspielerin Mimi Fiedler verkörperte im "Tatort" zehn Jahre die Kriminaltechnikerin Nika Banovic. "Schön gemachte Nägel, rote Lippen, tolle Haare, immer fancy angezogen. Mein Leben sah von außen betrachtet immer tipptopp aus. Ich war von außen die Schauspielerin, eine Kroatin, die es ins Fernsehen geschafft hat: Gastarbeiter-Eltern, ein Vorzeige-Mädel."

Entertainerin und Autorin Mimi Fiedler beim Roten Sofa von DAS! © Screenshot
"Ich war 30 Jahre lang Trinkerin", erzählt die Schauspielerin und Entertainerin Mimi Fiedler.

Was das Publikum damals nicht ahnt. Mimi Fiedler trinkt sich regelmäßig bis in den Blackout, heimlich im Hotelzimmer, kommt schwer verkatert zum Dreh, hat Panikattacken am Set - heute spricht sie offen über dieses kräftezehrende Doppelleben. "Die Zeit beim 'Tatort' ist für mich die schlimmste Zeit, wenn ich daran zurückdenke. Der desolate Zustand nach so einem Dreh war der Horror. Wenn mal so ein Tatort läuft im Dritten Programm und ich zufällig reinzappe, muss ich sofort wieder wegschalten, weil ich dann denke: Oh Gott!"

Mimi Fiedler über "Trinkerbelle: Mein Leben im Rausch"

2020 - zwei Jahre nach ihrem "Tatort"-Ausstieg outet sich Schauspielerin Mimi Fiedler als Alkoholikerin, gerade hat sie ein Buch darüber veröffentlicht "Trinkerbelle: Mein Leben im Rausch".

Tatsächlich sind gerade beruflich erfolgreiche Frauen erstaunlich oft von der Sucht betroffen. Die Idee von "work hard, play hard". Sinngemäß: "Wer hart arbeiten kann, kann auch feste feiern", soll auch für weibliche Karrieristen gelten. Das meint Journalistin und Autorin Eva Biringer, die selbst zu den emanzipierten und gebildeten Frauen gehört, die "ein Ding mit Alkohol" haben: "Das sind die Frauen, die eigentlich total auf sich achten. Die Sport machen. Die irgendwelche Diäten oder wenigstens irgendeine Art von Essens-Regime haben. Die total hinter allem her sind. Und die trinken ausgerechnet so viel und machen damit wieder alles zunichte?"

Food-Journalistin Eva Biringer: Trinken gehört zum Alltag

Porträt der Journalistin und Autorin Eva Biringer © Florian Reimann / Harper Collins Foto: Florian Reimann
Autorin Eva Biringer schreibt in "Unabhängig" über ihren Weg aus der Alkoholsucht

Ihren eigenen Weg in die Sucht und heraus beschreibt Eva Biringer schonungslos in "Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen". Für die Food-Journalistin gehört das Trinken lange zum Alltag. Nicht nur im beruflichen Kontext und immer wieder mit bösem Erwachen. Ohne Erinnerung an den letzten Abend, mit fremden Männern und Verletzungen am Körper.

Die 34-Jährige gehört zu der eher kleinen Gruppe der Frauen, die "hedonistisch" trinken, sucht im Alkohol vermeintlich den Glamour, das Abenteuer. Ganz nach dem Vorbild einer New Yorker Frauen-Clique, die sich gerne mal "ein Gläschen" genehmigt. Eva Biringer wurde mit der US-Serie "Sex and the City" sozialisiert. "Vier coole Karrierefrauen. Die haben tolle Jobs, die sehen toll aus und Trinken macht einen zentralen Bestandteil ihres Lebens aus", sagt Biringer. "Sie treffen sich zum Bloody Mary-Brunch, zum Champagner-Dinner, pipapo. Und es ist so eine bestimmte Art von Trinken, dieses vermeintlich lebenslustige, glamouröse, Sich-was-gönnen-Trinken."

Risikogruppe alleinerziehende Mütter

Ein Großteil der Alkoholikerinnen konsumiert nicht mal vorgeblich zum Vergnügen, sondern um sich zu betäuben, abzuschalten, gegen Schmerz und gegen den Druck, vermeintlich immer funktionieren zu müssen. Das trifft vor allem auch auf alleinerziehende Mütter zu: Bei ihnen hat der riskante Konsum von Alkohol in der Pandemiezeit drastisch zugenommen.

"Kein Wunder, weil das oft so die einzige Zeit, der einzige Moment des Tages ist, an dem die Mutter mal Zeit für sich hat. Und das ist dann eben das Glas Wein. Und aus dem Glas wird ganz schnell eine Flasche", sagt Eva Biringer.

Titilayo Bornmann: "Dann geht der Stress weg"

Titilayo Bornmann kennt diese Situation zu gut: Die 47-Jährige beginnt schon als Teenager zu trinken und - abgesehen von einer zweijährigen Abstinenzphase - "zieht" sie das über Jahrzehnte "durch", wie sie es formuliert. Kurz nach der Geburt ihres Sohnes scheint alles den Bach runter zu gehen: massive Probleme mit ihrem Partner, mit dem sie damals ein Restaurant betreibt. Jede Menge Arbeit und viele Geldsorgen.

Titilayo Bornmann im Porträt © Titilayo Bornmann
Titilayo Bornmann bietet "Sober Retreats" in Portugal an.

Die damals 23-Jährige fühlt sich allein, überfordert. "Dann habe ich abends meine ein, zwei Flaschen Wein getrunken, um das einfach aushalten zu können. Ich glaube, dass ich mich tagsüber, wie sehr, sehr viele Eltern da draußen sehr zusammengerissen habe, aber abends war es wie so ein Zusammensacken und einfach so: Oh, jetzt kann ich was trinken. Dann geht der Stress weg", sagt Bornmann.

Ein Teufelskreis beginnt, aus dem Bornmann endgültig erst vor etwa vier Jahren herausfindet. Sich Hilfe zu suchen, fällt schwer, groß ist die Scham. Diesen Schritt will Bornmann anderen Betroffenen erleichtern. Im Podcast "Medium Dry" erzählt sie gemeinsam mit ihrem Co-Host Saad von ihren Erfahrungen als trinkende Frau und Mutter.

"Wir holen das Thema aus seiner Schmuddelecke. Lasst uns einfach offen und ehrlich darüber sprechen." Podcast "Medium Dry"

"Also ich hatte gar keine Angst, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es war mir eine Herzensangelegenheit, darüber zu sprechen. Irgendjemand muss ja mal anfangen. Ich denke immer, wenn einer Person geholfen wird, dann war es schon richtig, ja?", so Bornmann.

Titilayo Bornmann hat ihren Podcast inzwischen aufgegeben und pendelt heute zwischen Hamburg und Portugal. Dort bietet sie sogenannte "Sober Retreats" an. Menschen mit Suchtproblemen finden Erholung und Entspannung in geschützter Atmosphäre und frei von Alkohol im "Offline Hotel".

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 12.04.2023 | 06:40 Uhr

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