Junge Leute sitzen in von der Decke eines Raumes hängenden Plastikblasen und hören etwas über Lautsprecher an. © Forum Wissen Universität Göttingen Foto: ATELIER-BRUECKNER_Michael-Reiner

Forum Wissen: "Was hat Wissenschaft mit mir zu tun?"

Stand: 20.12.2024 13:48 Uhr

Das Wissensmuseum im Forum Wissen der Universität Göttingen vermittelt, reflektiert und diskutiert Wissen. Außerdem erprobt und evaluiert es in einem Modellprojekt, wie Wissenschaft vermittelt werden kann.

Im Interview mit NDR Kultur erläutert Museumsleiterin Sandra Potsch, welche Herausforderungen es bei der Kommunikation von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen gibt und warum die Wissenschaftsvermittlung eine wichtige Arbeit für die Demokratie ist.

Welche Berührungsängste beobachten Sie, wenn es um das Thema "Wissenschaft" geht? Und wie wollen Sie diesen begegnen?

Sandra Potsch: Typischerweise kommunizieren WissenschaftlerInnen ihre Forschungsergebnisse in Fachartikeln oder in Vorträgen auf wissenschaftlichen Konferenzen. Dabei verwenden sie oft eine Fachsprache, die für NichtwissenschaftlerInnen nicht immer leicht zu verstehen und zu verdauen ist. Häufig geht es um sehr spezifische Details, deren Zusammenhang zur Lebenswirklichkeit der meisten Menschen sich nicht direkt erschließt. Dazu kommt, dass es WissenschaftlerInnen bei ihrer Forschungsarbeit um die Ermittlung von Tatsachen geht. Das heißt: Sie machen Feststellungen, leiten daraus aber keine Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft ab. Hier eine Verbindung herzustellen zwischen den Fakten, die die WissenschaftlerInnen im Rahmen ihrer Forschungsarbeit ermitteln, und der Lebensrealität der Menschen, sehe ich als eine ganz wichtige Aufgabe der Wissenschaftskommunikation. Es geht darum, zu vermitteln, was bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis, für den Alltag der Menschen, bedeuten. Es geht um die Antwort auf die Frage: Was hat das mit mir zu tun?

Sandra Potsch vom Forum Wissen © Forum Wissen Universität Göttingen Foto: Marius Böttcher
Sandra Potsch leitet das Wissensmuseum im Forum Wissen der Universität Göttingen.

Das Wissenschaftsbarometer, eine regelmäßige repräsentative Bevölkerungsumfrage zur Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung, hat ermittelt, dass das Vertrauen in Wissenschaft in Deutschland aktuell allgemein recht hoch ist, je nach Bildungsniveau zwischen 31 und 79 Prozent. Als Gründe für Misstrauen wurden die Befürchtungen genannt, dass Wissenschaft zu abhängig von Geldgebern sein könnte, dass sie ihre Ergebnisse an ihre eigenen Erwartungen anpassen würden oder dass WissenschaftlerInnen Fehler unterlaufen. Indem wir im Forum Wissen in unseren Ausstellungen und Veranstaltungen die Prozesse des wissenschaftlichen Arbeitens transparent und nachvollziehbar machen, versuchen wir, diese Befürchtungen zu widerlegen.

Auf der anderen Seite gibt es einen recht hohen Anteil an Personen, die meinen, Politik sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und die Wissenschaft sollte öffentlich kommunizieren, wenn politische Entscheidungen Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen würden. Auch das versuchen wir im Forum Wissen zu verstärken, indem wir in unseren Veranstaltungen und Debatten VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft miteinander in Austausch bringen.

Gibt es Versäumnisse bei der Kommunikation und Vermittlung von Forschungsergebnissen und wie wollen Sie diese schließen?

Potsch: Dazu wählen wir einen ganz neuen Ansatz der Wissenschaftskommunikation: Wir übersetzen wissenschaftliche Forschungsprojekte in Ausstellungen. Dabei geben wir Einblicke in die Prozesse, in denen wissenschaftliches Wissen gewonnen wird, und arbeiten gemeinsam mit VertreterInnen aus der Gesellschaft, zum Beispiel mit Vereinen, Schulklassen, AGs, Kulturinitiativen oder Nachbarschaftszentren heraus, was das mit unserem Alltag zu tun hat.

In Ausstellungen kann man Inhalte auf äußerst vielfältige Weise vermitteln: indem man materielle Objekte zeigt, Fotos oder Videos, Illustrationen, Installationen, Spiele oder Experimente anbietet und Themen auch räumlich, emotional und sinnlich erlebbar macht. Ausstellungen bieten damit viel mehr Zugänge an, als die bloße sprachliche Ebene. Neben dem Verstand wird auch die emotionale und sinnliche Wahrnehmung angesprochen.

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Außerdem ermöglichen wir begleitend zu den Ausstellungen Begegnungen, bei denen WissenschaftlerInnen und unsere BesucherInnen auf Augenhöhe in Kontakt kommen können. Beispielsweise bei einem "Dinner with Scientists", einem gemeinsamen Abendessen oder bei den "Salon-Debatten", bei denen kontroverse Themen wie etwa Waldnutzung oder Tierversuche diskutiert werden.

Es gibt regelmäßig Berichte über Kampagnen, die gezielt Forschende diskreditieren. Was bekommen Sie davon mit und wie bewerten Sie diese? 

Potsch: Das Forum Wissen ist ja ein Teil der Universität Göttingen und die Universität wirkt gerade in Göttingen sehr stark in die Stadt hinein. Dadurch bekommen wir immer solche Skandalisierungen und Kampagnen mit.

Bei einer Kontroverse, an die ich mich erinnere, stand eine Vertreterin der Fakultät für Agrarwissenschaften im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie sich zu den Bauernprotesten geäußert hatte. Die Emotionen schaukelten sich schnell hoch. Die Wissenschaftlerin hat sich hier aktiv darum bemüht, ihre Position klarzustellen. Sie wurde dabei von der Öffentlichkeitsarbeit der Universität und der bundesweiten Anlaufstelle Scicomm-Support eng begleitet, die ihr auch juristischen Beistand verschafft hat.

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Eine Frau hält ein Transparent auf der Weltklimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschan, darauf steht: Trillions not Billions for Climate Change. © Yasmin Appelhans / NDR Foto: Yasmin Appelhans

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Insofern erlebe ich, dass die WissenschaftlerInnen sehr bemüht sind, Missverständnisse aufzuklären, zu kommunizieren und sogenannten alternativen Fakten evidenzbasierte Forschungsergebnisse gegenüber zu stellen. Wir erleben auch, dass WissenschaftlerInnen mitunter sehr mutig sind. Sie stellen sich kontroversen Themen und versuchen, darüber aufzuklären.

Was fehlt, sind allerdings häufig die passenden Formate und Infrastrukturen für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Genau dafür ist das Forum Wissen da: es gibt sehr viele WissenschaftlerInnen, die ihre Forschung mit der Öffentlichkeit teilen und in Austausch drüber kommen möchten - und die melden sich dann meist bei uns und fragen an, was wir dazu gemeinsam entwickeln können.

Warum ist die Vermittlung von Wissen - der Zugang zur Wissenschaft in Ihren Augen so relevant? 

Potsch: Weil Wissen uns alle verbindet. Uns Wissen anzueignen, uns mit Dingen, die uns interessieren, auseinanderzusetzen, neues Wissen zu erwerben und vorhandenes Wissen zu erweitern, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, das uns Menschen weltweit vereint. Wir wollen die Welt im Ganzen besser verstehen. Dafür sind wissenschaftliche Erkenntnisse ganz zentral.

Ebenso wichtig ist es, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu kennen und zu verstehen, damit wir unser Handeln danach ausrichten können. Sehr eingängige Beispiele sind der Klimawandel oder die Corona-Pandemie, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wie sich unsere Gesellschaft und Kultur entwickelt oder was wir aus der Geschichte lernen können, helfen uns, unsere Gesellschaft und die Rolle jedes Einzelnen darin besser zu verstehen.

Gerade angesichts von Fake News auf Social Media, Falschaussagen aus der Politik oder KI-generierten Inhalten ist eine Wissenschaft wichtig, die ihre Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit teilt. Wir im Forum Wissen sehen es als unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass Menschen verstehen, wie wissenschaftliches Wissen gewonnen wird und was Wissenschaft von diesen alternativen Wissensformen unterscheidet.

Welchen Stellenwert haben Wissen und Wissenschaft Ihrer Meinung nach für die Demokratie?

Potsch: Zunächst einmal hilft uns die Wissenschaft dabei, zu evaluieren, wie es gerade um die Demokratie steht. Zum Beispiel erstellen Forschende der Uni Göttingen regelmäßig den Niedersächsischen Demokratie-Monitor.

Wir sehen in den aktuellen Studien, dass sich die Gesellschaft immer stärker segmentiert in Gruppierungen, die nicht mehr miteinander sprechen, keine gemeinsame Basis haben. Da können wir als WissensvermittlerInnen einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir Menschen dazu bringen, miteinander über Themen ins Gespräch zu kommen, die alle verbinden - sei es über gemeinsam erlebte Geschichte, über Krankheiten, Interesse an Kunst, Kultur, an der Natur oder am Universum.

Zudem ist der wissenschaftliche Forschungsstand zu aktuellen Themen ein wichtiger Faktor, der gerade bei politischen Entscheidungen dringend mit einbezogen werden sollte, um verheerenden Fehlentscheidungen zu vermeiden.

Die Fragen stellte Anina Pommerenke. Das Forum Wissen ist Kulturpartner von NDR Kultur.

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