Sendedatum: 10.09.2012 22:45 Uhr

Faustkampf im KZ

von Thorsten Mack
KZ-Häftlinge gezeichnet von Reinhard Kleist. © Reinhard Kleist / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Für die Zeichnungen hatte Reinhard Kleist lediglich ein paar persönliche Fotos von Hertzko Hafts Sohn als Vorlage.

Es ist eine düstere Geschichte, der sich der Graphic-Novel-Autor Reinhard Kleist angenommen hat - und leider auch eine wahre. Es ist die Geschichte des 1925 in Polen geborenen Juden Hertzko Haft. Während des Zweiten Weltkriegs kam Haft nach Auschwitz und wurde von seinen Bewachern zum Faustkampf gezwungen. Er musste vor den Wachmannschaften an Kämpfen - buchstäblich - auf Leben und Tod teilnehmen: Der jeweilige Verlierer wurde unmittelbar nach dem Kampf von den Nazis ermordet. 76 Kämpfe und den Naziterror überlebte Haft so und startete nach dem Krieg in den USA eine Karriere als Profiboxer. Die Graphic Novel "Der Boxer" erzählt nun eindrücklich von dieser Lebensgeschichte.

Bilder aus dem Innern einer gepeinigten Seele

"Die eigentliche Faszination bei Comics und Graphic Novels ist, dass man dort Bilder findet, für die es eigentlich keine Bilder gibt", sagt Reinhard Kleist. Für "Der Boxer" hat er Bilder aus dem Inneren einer gepeinigten Seele gezeichnet. "Allerdings gibt es da halt Punkte, bei denen ich erst mal zurückgeschreckt bin, bei denen ich festgestellt habe: Das ist ein Stoff, der mir eigentlich zu heftig ist. Dann habe ich aber gemerkt, dass genau diese Punkte mich nicht in Ruhe losgelassen haben."

Eine unbekannte Geschichte des Holocausts

In der Graphic Novel geht es um Faustkämpfe auf Leben und Tod. "Es ist in dieser absoluten Perversion von dem Ganzen noch mal ein Stein drauf, wo wahnsinnig viele Sportler in diesen KZs nicht nur umgebracht wurden, sondern noch benutzt wurden, für irgendwelche perversen Spiele. Das hat mich ganz schön geschockt", erzählt der Zeichner.

KZ-Häftlinge gezeichnet von Reinhard Kleist. © Reinhard Kleist / Carlsen Verlag, Hamburg 2012
Reinhard Kleist hat die Hölle von KZs als Zeichnung aufs Papier gebracht.

"Er hat sich sein ganzes Leben lang durchgeschlagen", so Kleist. "In den Konzentrationslagern hat ihm das nachher geholfen, aber es hat ihn noch weiter verhärtet. Er ist ein unheimlich harter Mensch geworden danach. Und man muss in seiner ganzen Geschichte auch noch sehen: Er hat nicht nur überlebt, sondern ein ganz großer Teil von ihm ist abgestorben in dieser Zeit." Die Hölle von Auschwitz, die Vernichtung von Menschen: Reinhard Kleist schnitzt das förmlich ins Papier - kunstvoll, emotional, erschreckend.

Sohn hat Lebensgeschichte von Hertzko Haft veröffentlicht

Für die Zeichnungen gab es fast keine Vorlagen. Persönliche Fotos kamen von Hertzko Hafts Sohn Alan. Er hatte die Lebensgeschichte seines inzwischen verstorbenen Vaters veröffentlicht. Reinhard Kleist stieß zufällig auf das wenig bekannte Buch - der bislang schwierigste Stoff für Deutschlands bekanntesten Zeichner, der auch international erfolgreich ist.

Reinhard Kleist. © privat
Reinhard Kleist erhielt für seine Comics bereits mehrere Preise.

"Der Sohn von dem Boxer, der die Romanvorlage geschrieben hat, hat mir gesagt, er möchte, dass die Geschichte seines Vaters möglichst bekannt wird in der Welt", erzählt Kleist. Und Alan hat ihm unter anderem ein Foto von einer Preisverleihung gegeben - von einem Boxkampf kurz nach der Befreiung, bei dem jüdische Sportler gegeneinander angetreten sind.

Boxkampf für "Heimatvertriebene Juden"

Es war das Turnier für "Heimatvertriebene Juden". Im Ring stand Hertzko Haft. Die Aufnahmen zeigen, mit welch roher Aggressivität Haft den Sieg errang. Dieser Erfolg ist 1946 sein Ticket nach Amerika. Auch dort will er sich durchboxen und kämpft schließlich gegen den größten Boxer seiner Zeit: Rocky Marciano. Hafts Leben spiegelt sich in diesem Kampf wieder, die schrecklichen Erinnerungen kommen hoch, erschlagen ihn förmlich. Hertzko Haft verliert und ist ein gebrochener Mann, der seinen Frust an anderen auslässt.

"Er war ein ganz schwieriger Mann, der nach allen Seiten ausgeteilt hat", so Kleist. "Er ist ja auch ein ziemlicher Arsch gewesen, auch seiner Familie gegenüber, also überhaupt kein Sympathieträger. Er gibt in der Geschichte selbst auch zu, dass er Menschen umgebracht hat, und dass er - um zu überleben - quasi kollaboriert hat."

Der so verstörende wie glänzend gezeichnete Comic "Der Boxer" erzählt von kaum beachteten Schicksalen des Holocausts, wie todgeweihte Sportler zum sadistischen Zeitvertreib missbraucht wurden und welche Spuren das in ihrem Leben hinterließ. Kleist würdigt damit die Lebensgeschichte des Hertzko Haft - ein Meisterwerk.

Der Boxer

von Reinhard Kleist
Seitenzahl:
176 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Carlsen
Bestellnummer:
978-3551786975
Preis:
16,90 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 10.09.2012 | 22:45 Uhr

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