Dresen über Gerhard Gundermann: "Eine ganz besondere Persönlichkeit"
Vor genau 70 Jahren wurde Gerhard Gundermann geboren, ein widersprüchlicher Künstler zu DDR-Zeiten. Der Regisseur Andreas Dresen hat ihm 2018 einen Film gewidmet. Im Interview spricht er über die "Stimme des Ostens".
Tagsüber Baggerfahrer, abends Musiker: Gerhard Gundermann baggerte die Natur ab - und zeigte sich in seinen Liedern davon betroffen. In den 80er-Jahren galt er als Sprachrohr der Menschen im Lausitzer Braunkohlerevier. 1998 ist er mit 43 Jahren gestorben. Heute hätte er seinen 70. Geburtstag gefeiert.
Herr Dresen, für Ihre Filmbiografie, aber auch schon viele Jahre zuvor, haben Sie sich mit der Figur Gundermann beschäftigt. Was fasziniert an Gerhard Gundermann?
Andreas Dresen: Gerhard Gundermann war eine ganz besondere und sehr vielschichtige Persönlichkeit. Ich bin vor allen Dingen Fan seiner Musik und seiner Lyrik. Damit bin ich im Prinzip sozialisiert, weil ich schon sehr früh seine ersten Platten gehört habe und bei seinen Konzerten war. Persönlich kennengelernt habe ich ihn leider nicht.
Dadurch, dass er nicht nur Künstler war, sondern auf der anderen Seite auch im Tagebau gearbeitet hat, auch als er schon große Konzerte vor vielen hundert Leuten gespielt hat, hatte er immer was ganz Bodenständiges. Das macht auch einen Großteil seiner Lyrik aus. Das ist so, als ob er mit den Füßen im Schlamm der Braunkohle steht und mit dem Kopf in den Wolken - das fand ich immer sehr schön.
Es ist faszinierend, dass Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, kaum etwas von ihm gehört haben.
Dresen: Nun war Gundermann auch in der DDR kein Superstar. Ihn kannten Leute, die sich für diese Art Musik interessiert haben. Er war auch ein bisschen Underground, weil er sehr aufmüpfig gewesen ist. Er war provokant, eine ganz besondere Persönlichkeit. Auf der anderen Seite hat er auch in den 1970er-Jahren ein paar Jahre für die Stasi gearbeitet - auch das macht die Widersprüchlichkeit seines Charakters aus.
Wir haben 2018 den Film über ihn rausgebracht, um damit auch so ein bisschen zu zeigen, wie zerrissen und wie komplex so ein System ist wie in der DDR, und was es bedeutet, darin zu leben. Seitdem haben auch einige Menschen im Westen davon Kenntnis genommen, wer Gundermann war. Ich spiele auch in einer Band mit Alexander Scheer, und wir singen nach wie vor seine Lieder - mittlerweile auch zunehmend im Westen.
Mussten sie beim Film, was die Darstellung angeht, Rücksicht auf Hinterbliebene nehmen?
Dresen: Nein, ganz im Gegenteil. Conny Gundermann, seine Witwe, und auch seine Tochter Linda haben uns total ermutigt und die ganze Zeit geholfen. Insbesondere Conny hat immer gesagt: Zeigt meinen Liebsten so, wie er gewesen ist: als eine komplexe, zerrissene, widersprüchliche Persönlichkeit, wie wir alle sind. Sie hatte überhaupt kein Interesse daran, dass wir ihren Mann da auf irgendeinen Heldensockel heben.
Was haben die Songs an Zeitgeschichte zu bieten, und was haben sie uns heute noch zu sagen?
Dresen: Die Songs haben eine zeitlose, fast volksliedhafte Schönheit. Die sind zwar in ihrer politischen Substanz in der Zeit verwurzelt, in der sie entstanden sind. Aber die Lyrik ist so zeitlos, dass die Songs tatsächlich heute auch noch funktionieren. Das merken wir bei den Konzerten: Die Leute singen die Songs mit, sie wollen sie auch explizit live hören. Auch Leute, die aus dem Westen kommen, können sich die Songs auf ihre Lebensrealität übersetzen. Das finde ich total spannend. Das ist wahrscheinlich auch der Kern von wirklich guter Lyrik, dass jeder sie sich überziehen kann und passend machen kann wie ein eigenes Kleid. Das ist bei den Songs von Gundermann ganz besonders der Fall.
Das heißt, die Songs wirken, auch ohne dass Menschen die Lebensgeschichte und die Umstände kennen?
Dresen: Komplett, ja. Das hat wirklich etwas Volksliedhaftes. Die Songs sind tatsächlich größer als ihr Autor und auch größer als die Zeit, in der sie entstanden sind. Es gibt mittlerweile viele Künstler, auch internationale Künstler, die ihn entdecken - ich habe mich gerade mit einem nordirischen Liedermacher beschäftigt, der mit seiner Band Gundermann-Songs covert. Es ist faszinierend, wie die Songs nach und nach ihre Reise um die Welt beginnen. Das zeigt auch, was für einen unglaublichen Songwriter wir da haben. Der "Rolling Stone" hat damals geschrieben, als der Film rauskam, dass das wahrscheinlich einer der größten Singer/Songwriter in Deutschland ist. Das merken immer mehr Leute, und das ist schön.
Sind die Zeiten gerade zu turbulent, vielleicht auch zu kurios, um Lieder mit politischem Inhalt zu machen?
Dresen: Es ist auf jeden Fall sehr schwer, politische Lieder zu machen. Ich glaube, die besten politischen Songs sind die, die auch über ihre Zeit hinaus reichen. Wenn man zu alltagspolitisch wird - das bezieht sich übrigens auch auf die Filmbranche -, wenn man zu sehr im politischen Alltag herumwühlt, sind die Dinge, die man herstellt, häufig ganz schnell überholt. Von daher sollte man nicht mit einer politischen Ambition der Zeit hinterherlaufen, sondern versuchen, eine künstlerische Form zu finden, die die Zeit übersetzt in eine Poesie, die möglichst auch noch in zehn oder zwanzig Jahren ihre Gültigkeit hat.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.
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Rock und Pop
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