Andreas Dresen © picture alliance/dpa Foto: Michael Bahlo
Andreas Dresen © picture alliance/dpa Foto: Michael Bahlo
Andreas Dresen © picture alliance/dpa Foto: Michael Bahlo
AUDIO: Gerhard Gundermann zum 70. (4 Min)

Dresen über Gerhard Gundermann: "Eine ganz besondere Persönlichkeit"

Stand: 21.02.2025 06:00 Uhr

Vor genau 70 Jahren wurde Gerhard Gundermann geboren, ein widersprüchlicher Künstler zu DDR-Zeiten. Der Regisseur Andreas Dresen hat ihm 2018 einen Film gewidmet. Im Interview spricht er über die "Stimme des Ostens".

Tagsüber Baggerfahrer, abends Musiker: Gerhard Gundermann baggerte die Natur ab - und zeigte sich in seinen Liedern davon betroffen. In den 80er-Jahren galt er als Sprachrohr der Menschen im Lausitzer Braunkohlerevier. 1998 ist er mit 43 Jahren gestorben. Heute hätte er seinen 70. Geburtstag gefeiert.

Weitere Informationen
Gerhard Gundermann justiert das Mikro und lacht auf der Bühne © picture-alliance / ZB | Rainer Weisflog Foto: Rainer Weisflog

Gerhard Gundermann zum 70.: Leben zwischen Arbeit, Musik und Stasi

Der Musiker und Baggerfahrer war hauptsächlich in Ostdeutschland bekannt. Am 21. Februar 2025 wäre Gerhard Gundermann 70 Jahre alt geworden. mehr

Herr Dresen, für Ihre Filmbiografie, aber auch schon viele Jahre zuvor, haben Sie sich mit der Figur Gundermann beschäftigt. Was fasziniert an Gerhard Gundermann?

Andreas Dresen: Gerhard Gundermann war eine ganz besondere und sehr vielschichtige Persönlichkeit. Ich bin vor allen Dingen Fan seiner Musik und seiner Lyrik. Damit bin ich im Prinzip sozialisiert, weil ich schon sehr früh seine ersten Platten gehört habe und bei seinen Konzerten war. Persönlich kennengelernt habe ich ihn leider nicht.

Dadurch, dass er nicht nur Künstler war, sondern auf der anderen Seite auch im Tagebau gearbeitet hat, auch als er schon große Konzerte vor vielen hundert Leuten gespielt hat, hatte er immer was ganz Bodenständiges. Das macht auch einen Großteil seiner Lyrik aus. Das ist so, als ob er mit den Füßen im Schlamm der Braunkohle steht und mit dem Kopf in den Wolken - das fand ich immer sehr schön.

Es ist faszinierend, dass Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, kaum etwas von ihm gehört haben.

Dresen: Nun war Gundermann auch in der DDR kein Superstar. Ihn kannten Leute, die sich für diese Art Musik interessiert haben. Er war auch ein bisschen Underground, weil er sehr aufmüpfig gewesen ist. Er war provokant, eine ganz besondere Persönlichkeit. Auf der anderen Seite hat er auch in den 1970er-Jahren ein paar Jahre für die Stasi gearbeitet - auch das macht die Widersprüchlichkeit seines Charakters aus.

Wir haben 2018 den Film über ihn rausgebracht, um damit auch so ein bisschen zu zeigen, wie zerrissen und wie komplex so ein System ist wie in der DDR, und was es bedeutet, darin zu leben. Seitdem haben auch einige Menschen im Westen davon Kenntnis genommen, wer Gundermann war. Ich spiele auch in einer Band mit Alexander Scheer, und wir singen nach wie vor seine Lieder - mittlerweile auch zunehmend im Westen.

Mussten sie beim Film, was die Darstellung angeht, Rücksicht auf Hinterbliebene nehmen?

Dresen: Nein, ganz im Gegenteil. Conny Gundermann, seine Witwe, und auch seine Tochter Linda haben uns total ermutigt und die ganze Zeit geholfen. Insbesondere Conny hat immer gesagt: Zeigt meinen Liebsten so, wie er gewesen ist: als eine komplexe, zerrissene, widersprüchliche Persönlichkeit, wie wir alle sind. Sie hatte überhaupt kein Interesse daran, dass wir ihren Mann da auf irgendeinen Heldensockel heben.

Was haben die Songs an Zeitgeschichte zu bieten, und was haben sie uns heute noch zu sagen?

Dresen: Die Songs haben eine zeitlose, fast volksliedhafte Schönheit. Die sind zwar in ihrer politischen Substanz in der Zeit verwurzelt, in der sie entstanden sind. Aber die Lyrik ist so zeitlos, dass die Songs tatsächlich heute auch noch funktionieren. Das merken wir bei den Konzerten: Die Leute singen die Songs mit, sie wollen sie auch explizit live hören. Auch Leute, die aus dem Westen kommen, können sich die Songs auf ihre Lebensrealität übersetzen. Das finde ich total spannend. Das ist wahrscheinlich auch der Kern von wirklich guter Lyrik, dass jeder sie sich überziehen kann und passend machen kann wie ein eigenes Kleid. Das ist bei den Songs von Gundermann ganz besonders der Fall.

Weitere Informationen
Filmplakat: "Gundermann"

"Gundermann": Denkmal für einen Kult-Musiker

Gerhard Gundermann galt als "Dylan des Tagebaus", der gegen das System der DDR ansang - aber er war selbst Stasi-Spitzel. mehr

Das heißt, die Songs wirken, auch ohne dass Menschen die Lebensgeschichte und die Umstände kennen?

Dresen: Komplett, ja. Das hat wirklich etwas Volksliedhaftes. Die Songs sind tatsächlich größer als ihr Autor und auch größer als die Zeit, in der sie entstanden sind. Es gibt mittlerweile viele Künstler, auch internationale Künstler, die ihn entdecken - ich habe mich gerade mit einem nordirischen Liedermacher beschäftigt, der mit seiner Band Gundermann-Songs covert. Es ist faszinierend, wie die Songs nach und nach ihre Reise um die Welt beginnen. Das zeigt auch, was für einen unglaublichen Songwriter wir da haben. Der "Rolling Stone" hat damals geschrieben, als der Film rauskam, dass das wahrscheinlich einer der größten Singer/Songwriter in Deutschland ist. Das merken immer mehr Leute, und das ist schön.

Sind die Zeiten gerade zu turbulent, vielleicht auch zu kurios, um Lieder mit politischem Inhalt zu machen?

Dresen: Es ist auf jeden Fall sehr schwer, politische Lieder zu machen. Ich glaube, die besten politischen Songs sind die, die auch über ihre Zeit hinaus reichen. Wenn man zu alltagspolitisch wird - das bezieht sich übrigens auch auf die Filmbranche -, wenn man zu sehr im politischen Alltag herumwühlt, sind die Dinge, die man herstellt, häufig ganz schnell überholt. Von daher sollte man nicht mit einer politischen Ambition der Zeit hinterherlaufen, sondern versuchen, eine künstlerische Form zu finden, die die Zeit übersetzt in eine Poesie, die möglichst auch noch in zehn oder zwanzig Jahren ihre Gültigkeit hat.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

Weitere Informationen
Schriftstellerin Anna Seghers (m), von 1952 bis 1978 Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR, im Januar 1965 mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht (r) und Erich Honecker. © picture alliance / akg-images | akg-images

Kulturpolitik der DDR: Das "Kahlschlag-Plenum" der SED 1965

Eigentlich sollte sich das ZK-Plenum der SED 1965 mit Wirtschaftsfragen beschäftigen. Doch es geriet zur Abrechnung mit liberaler Kultur. mehr

Die fünf Bandmitglieder der Gruppe Karat stehen nebeneinander beim Schlussbild auf der Bühne. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Matthias Wehnert Foto: Matthias Wehnert

Band Karat: 50 Jahre und kein bisschen leise

Vor genau 50 Jahren spielten Karat ihr erstes Konzert. Pünktlich zum Jubiläum ist das neue Album "Hohe Himmel" erschienen. mehr

Leif Tennemann und Toni Krahl im Hörfunkstudio des Landesfunkhauses Schwerin. © NDR Foto: NDR

Toni Krahl hautnah: Offen wie nie über City, DDR und sein neues Leben

Mit 75 Jahren startet der DDR-Rocker jetzt seine Solokarriere. Im Kunstkaten spricht Toni Krahl über sein neues Projekt "KINX vom Prenzlauer Berg". mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 21.02.2025 | 09:10 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rock und Pop

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Hanjo Kesting sitzt hinter einem Mikro im NDR Hörfunkstudio © NDR Foto: Wolf-Rüdiger Leister

Literaturkritik mit schelmischem Lächeln - Trauer um Hanjo Kesting

Er war Radiomann, Buchautor, Kritiker - und prägte die Literaturredaktion von NDR Kultur. Nun ist er mit 82 in Hamburg gestorben. Ein Nachruf. mehr