Die Zeit der Scham ist vorbei: Glitzer macht glücklich
Jahrelang hat unsere Kollegin ihre Liebe zu allem, was glitzert, geheim gehalten. In der Schule hieß es, unauffällig zu sein, später galt Glitzer als frivol. Doch damit ist jetzt Schluss. Eine Liebeserklärung.
Unauffälligsein – das war während meiner Schulzeit die Devise auf dem inoffiziellen Laufsteg der Oberstufen-Flure. Da musste der paillettenbesetzte grüne Gürtel im Schrank bleiben, genauso das goldene Portemonnaie und die silber-schimmernde Winterjacke. All das: tabu. Obwohl ich diese Dinge mit hüpfendem Herzen im Laden ausgesucht oder mir gewünscht hatte – ich erkannte: Die Leute sind nicht reif für Glitzer. Zwölftklässler schon gar nicht. Sie reagierten mit verknautschter Stirn, gerümpfter Nase oder mitleidigem Blick.
Und wie das so ist, wenn man noch jung und auf der Suche nach sich selbst ist: Die plumpen Vorurteile der anderen werden flott zu Zweifeln im eigenen Kopf. Ich geb’s zu: Ich war Glitzer-Leugnerin.
Die Diktatur der Glitzer-Verweigerer
Ja – Glitzer zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Partikel, die das Licht reflektieren, dadurch scheinbar funkeln. Glitzer ruft: Einmal bitte herschauen!
Die Modetheorie sagt: Im Ursprung soll das Ganze an Juwelen und Metalle erinnern – und somit Reichtum und Macht demonstrieren. Könnte man tatsächlich behaupten: Diamonds are a girl’s best friend, wie Marilyn Monroe die Gier protziger Ladys besingt? Frech ist das. Egozentrisch auch. Angeberei.
Lang ist deshalb die Liste an Vorurteilen gegenüber Menschen, die glänzende Dinge mögen. Weil sie dem simplen Effekt des schönen Schimmers verfallen, könnte ja schließlich auch ihr Geist simpel gestrickt sein. Banaler Instinkt. Elster-Style quasi.
Glitzer - nur für Kinder und Prostutuierte?
Glitzer hat ein Image-Problem. Wer schimmernde Mode trägt, dem haftet ein Stempel des Frivolen oder Gewollt-Frivolen an. Oder ein ganz anderer Vorwurf: Glitzer erinnert an Feenstaub und Märchenmagie und gehört deshalb in Kinderzimmer und nicht auf Klamotten und Gesichter infantiler Erwachsener. Die geduldete Zielgruppe ist seltsam inhomogen: Nur für Kinder. Nur für Prostituierte.
Und die gewisse Portion Fröhlichkeit, die Pailletten, Strass, Gold, Silber und Co. verbreiten, ist sowieso einigen erstmal suspekt. Glitzerfans können doch bestimmt nur Party – und interessieren sich nicht für Politik, das Klima oder das Weltgeschehen.
Das große Funkeln
Verpöntheit hin oder her – als Erwachsene stehe ich heute zum Glitzer. Und ich bin in guter Gesellschaft. Auch in der Geschichte gibt es immer wieder Bekenntnisse zum Glanz: Kleopatra, die Taylor Swift des Alten Ägyptens, ließ ihrer königlichen Schminke Glitzerpartikel beimischen, aus gemahlenen Käfern wohlgemerkt. Getanzt wurde in Lametta-Fransen in den Goldenen Zwanzigern oder im Glitzerfummel während der Disco-Ära der 70er Jahre.
Und nicht zuletzt sind die bunten Teilchen nun auch Statement gegen Frauenfeindlichkeit und Homophobie – seit mehr als zehn Jahren zünden in den USA Protestierende sogenannte Glitzerbomben vor politischen Gegnern. Harmlos, aber effektvoll und nervig für die Beglitzerten. Denn wer’s einmal erlebt hat, weiß Bescheid: Das Zeug verkriecht sich hartnäckig in Hautfalten und Gehwegritzen.
Stichwort Ökologie: Getüftelt wird seit Jahren an biologisch abbaubaren Varianten. Noch ohne überzeugenden Erfolg. Das Zeug ist ambivalent.
Glänzend emanzipiert
Gerade in düsteren, krisenhaften Zeiten brauchen wir Funkeln. Das macht uns noch lange nicht ignorant. Die Feministin Margarete Stokowski schrieb neulich im Magazin "Der Spiegel" kämpferisch über Aufmerksamkeiten zum Valentinstag: "Frauen sollten alles haben können: Gold, Glitzer und Gleichberechtigung.“ Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Glitzer gehört weder zum Frausein, noch Kindsein oder Queersein – Glitzer ist für alle da. Wer glitzert, lebt.
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