Bernhard Pörksen © Albrecht Fuchs
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AUDIO: Die Kunst des Zuhörens - Gespräch mit Bernhard Pörksen (26 Min)

Die Kunst des Zuhörens - Gespräch mit Bernhard Pörksen

Stand: 01.02.2025 06:00 Uhr

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen stellt in unserer Gesellschaft Zuhör-Defizite fest. Angesichts der zahlreichen Krisen weltweit funktioniere im allgemeinen Rauschen das Zuhören nicht mehr.

"Ich bin kein besonders guter Zuhörer", bekennt Bernhard Pörksen. "Ich höre viel zu oft nur mich selbst. Gefangen im eigenen Ego, den eigenen Urteilen oder auch Vorurteilen." Deutschlands prominentester Medienwissenschaftler sagt das nicht etwa aus Eitelkeit, sondern meint, er sei da "wie viele andere Menschen".

In seinem Buch "Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen" beschreibt der Tübinger Medienprofessor, dass der Nachrichten-Überdruss auch mit den Veränderungen in der Medienlandschaft zu tun habe: "War es früher schwer zu senden, ist es heute schwer Gehör zu finden." Dieser Mechanismus von Senden und Empfangen werde jetzt gesteuert von "Zuckerberg, Musk und Co.", sei also, so Pörksen, maximal profitorientiert. Im Gegenzug fordert der Wissenschaftler: "Man muss das Zögern lernen. Man muss dem Flüstern, dem Murmeln hinterherhören."

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Cover von "Zuhören" von Bernhard Pörksen © Hanser

"Zuhören": Bernhard Pörksen lauscht nach den leisen Tönen

Der Medienwissenschaftler zählt zu den bekanntesten Kritikern der Medien und hat schon mit vielen Veröffentlichungen für Diskussionen gesorgt. mehr

Sie zeigen in Ihrem Buch, wie eminent wichtig das Zuhören für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft ist und wie schwer wir uns damit tun. Sie untersuchen das anhand verschiedener Beispiele und Geschichten, und es wird deutlich, dass Sie nicht nur wahnsinnig viel gelesen, sondern auch mit sehr vielen Menschen gesprochen haben. Ist Ihnen das Zuhören manchmal schwer gefallen?

Bernhard Pörksen: Absolut. Ich würde sogar sagen, ich bin - wie viele andere Menschen nebenbei bemerkt - kein besonders guter Zuhörer. Ich höre viel zu oft nur mich selbst, gefangen im eigenen Ego, den eigenen Urteilen oder auch Vorurteilen. Diese Zuwendung zum Anderen, diese Öffnung gegenüber dem Anderen - ich betrachte Zuhören als eine Metapher, ein Bild für Offenheit - hat mich schon seit Jahren fasziniert. Manchen Menschen habe ich über einen Zeitraum von zehn Jahren immer wieder zugehört, sie immer wieder besucht, sie immer wieder befragt, um idealerweise wirklich zu verstehen, was sie umtreibt, wann sie wie was gehört haben, und wie sie versuchen, sich Gehör zu verschaffen in einer immer lauteren Welt.

Haben Sie verstanden, wie Zuhören funktioniert?

Pörksen: Es bleibt natürlich immer ein Rest Geheimnis. Ich würde sagen, man muss das Zögern lernen. Der plakative, der laute Standpunkt ist gar nicht mal der entscheidende. Man muss dem Flüstern, dem Murmeln hinterherhören, das plötzliche Schweigen befragen, etwas suchen, was unter oder zwischen den Worten liegt. Man braucht Zeit, und jedes glückende Zuhören ist von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig. Mal entsteht in der Gesellschaft - Stichwort Missbrauch an der katholischen Kirche - plötzlich so etwas wie kollektive Zuhörbereitschaft. Dann wieder sind da ungeheuer mutige Betroffene, die bereit sind, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Dann ändern sich die Medienverhältnisse: Auf einmal kann man sich vernetzen, können Menschen einander Kraft geben, ihre eigene Geschichte erzählen und so dann Gehör finden. Worauf ich hinaus will: Kommunikative Wahrheit ist immer konkret. Wer ein Rezeptbuch erwartet, sollte sich mein Buch auf keinen Fall besorgen.

Brauchen wir schlichtweg wieder weniger Kommunikation, weniger Kakophonie im öffentlichen Raum, weniger Bewegung auf unseren Smartphones, um das Flüstern wieder besser hören zu können?

Pörksen: Wenn ich mal einen Moment groß träumen darf, dann würde ich sagen, wir brauchen vor allem ein anderes Anreizsystem in sozialen Netzwerken. Im Moment sind wir dabei, unsere öffentlichen Debatten und Diskurse nach den Prinzipien der Werbeindustrie zu reorganisieren. Das ist das, was das Silicon Valley macht: Die verdienen Geld auf ihren Plattformen, wenn sie die Aufmerksamkeit binden und dann Datenprofile erstellen, die sie meistbietend an die Werbeindustrie verkaufen. Das heißt, die Ursünde der Diskurstransformation im negativen Sinne ist das Werbeprinzip.

Ich war ein paar Sommer lang im Silicon Valley und habe dort die ersten Online-Gemeinschaften der Welt erforscht, auch für dieses Buch, weil mich eines fasziniert hat: ganz kleine Gruppen, oft in den Landkommunen, gescheiterte Hippies, geprägt von psychedelischen Erfahrungen, die diese Erfahrung der Verbundenheit in die neue, die digitale Zeit transportieren wollten. Und interessanterweise hat es geklappt: Die hatten ihre Online-Gemeinschaften aus manchmal 5.000 bis 15.000 Menschen, sie haben sich aber auch wieder getroffen, sogenannte "flesh meets" gehabt, direkte Begegnungen. Vor allem gab es aber keine Werbung, kein Data Mining, kein Bling-Bling, sondern Mini-Abo-Gebühr. Es gab keine Anonymität, es gab maximale Liberalität, aber gleichzeitig exzessive Moderation. Und da entstand ein anderes Kommunikations- und Zuhör-Klima. Diese Online-Gemeinschaften bestehen zum Teil heute noch, und hier in die Geschichte einzutauchen mit den Moderatoren und Moderatorinnen von einst zu sprechen, ihre Enttäuschung über die sozialen Netzwerke eines Plattformbetreibers wie Mark Zuckerberg zu erkennen, das hat mir sehr geholfen.

Nichts ist in unserer Kommunikationsrealität alternativlos, wir müssen uns um Gottes Willen nicht in die digitale Steinzeit zurückbomben, der Informationsreichtum der digitalen Welt ist ein ungeheures Geschenk. Aber die gegenwärtige Situation - Wenige haben ganz viel Macht und verkaufen ihre Userinnen und User meistbietend an die Werbeindustrie - ist in der Tat unerträglich.

Das Gespräch führte Katja Weise. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 02.02.2025 | 15:00 Uhr

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