Deutscher Chorwettbewerb: "Das Niveau wird sehr gut sein"
Nach langer Pause findet in Hannover endlich wieder der Deutsche Chorwettbewerb statt. Cornelius Trantow, Professor für Chorleitung in Hamburg, ist Jurymitglied. Im Interview spricht er über das Niveau der Chöre nach Corona und den Sinn des Wettbewerbsgedankens.
Herr Trantow, es sind ja Amateur-Chöre, die bei dem Wettbewerb teilnehmen. Was für ein Niveau erwarten Sie in diesem Jahr?
Cornelius Trantow: Das Niveau wird sehr gut sein, wie jedes Jahr. Die Teilnehmerzahl ist nicht so hoch wie sonst. Corona hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht, sodass viele Chöre noch nicht auf Wettbewerbsniveau sind. Aber die Chöre, die zum Chorwettbewerb kommen, sind erste Preisträger von Landes-Chorwettbewerben. Das heißt, das Niveau wird gleich bleiben.
Die Pandemie hat die Chorszene ziemlich ausgebremst. Singen mit anderen war über einen langen Zeitraum gar nicht erlaubt. Wie hat sich die Chorszene davon erholt?
Trantow: So wie ich das beurteilen kann, erholen wir uns. Meine Chöre funktionieren wieder super, die haben die Pandemie überlebt, durch Online-Proben oder auch nur Online-Treffen. Sowohl der Chor in der Hochschule als auch mein Kammerchor Ensemble vocal sind beide wieder auf dem Niveau wie vorher. Aber es gibt Chöre, die aufgegeben haben, und es gibt auch Chöre, die noch nicht wieder auf dem Niveau singen, um an einem Chorwettbewerb teilzunehmen.
Nun hat Singen ganz viel mit Persönlichkeit zu tun. Wie beurteilen Sie das als Jurymitglied, was für Kriterien legen Sie an?
Trantow: Das ist eine ganz schwierige Sache als Jury, denn Chormusik, so wie alle Kunst, hat viele Aspekte, die man nicht messen kann. Es ist also anders als im Sport, wo man einfach die Weitsprungweite messen kann. Wir haben kein objektives Kriterium, wonach wir das entscheiden können. Es geht also viel über ein Gesamtbild. Natürlich kann man gucken, ob der Chor rhythmisch präzise oder intonationsmäßig sauber ist - das sind Sachen, die man wirklich messen kann. Aber das, was die Botschaft, der Ausdruck ist, das ist oft Geschmackssache. Deswegen ist es auch wichtig, dass die Jury international und vielfältig besetzt ist. Ein einzelner Juror wäre da nicht gut beraten, eine Bewertung zu machen. Aber dadurch, dass es tolle Kolleginnen und Kollegen sind, kommt man immer zu einem Ergebnis - was aber auch viel mit nicht Messbarem zu tun hat.
Es sind immerhin etwa 4.000 Sängerinnen und Sänger, die in Hannover zusammenkommen werden. Wie behalten Sie da den Überblick? Machen Sie sich Notizen, während die singen? Haben Sie ein Punktesystem?
Trantow: Wir sind als Jury in den verschiedenen Kategorien aufgeteilt. Ich bin in der A1-Kategorie - das sind die gemischten Kammerchöre. Da gibt es 16 Chöre, aus jedem Bundesland einen. Das ist also schon etwas überschaubarer als diese Gesamtzahl von 4.000 Sängerinnen und Sängern. Wir haben nach vier Chören immer eine Jury-Beratung, bei der wir uns austauschen. Wir haben ein Punktesystem, aber Ziffern sind ein ziemlich totes Medium. Wir sprechen also über die Chöre und gewinnen so eine Einschätzung. Wir machen ein Ranking der vier Chöre und im nächsten Block die nächsten vier, die wir dann einordnen. So wird innerhalb der zwei Tage ein Ranking aus den 16 Chören gebaut.
Das ist ein Wettbewerb - es sind aber Amateurchöre, also Leute, die in erster Linie Spaß am Singen haben. Wie passt das zusammen - Spaß am Singen und dieser Wettbewerbsgedanke?
Trantow: Der Wettbewerb ist dazu da, dass die Chöre eine Chance haben, ihre Leistung zu steigern. So habe ich das mit meinen Chören, wenn ich an Wettbewerben teilgenommen habe, immer erlebt. Man hat die Möglichkeit, bei nur 20 Minuten Programm, die wirklich auf Topniveau zu bringen - das ist der Ansporn. Es geht also gar nicht darum, ob ich dritter oder vierter Platz bin, sondern dass ich mit meinem Chor meine Leistung steigere, meine Grenzen erweitere.
Das zweite, was für mich auf der anderen Seite wichtig sein wird, ist die Beratung durch die Juroren - das ist ein ganz wichtiges Kriterium. Man kriegt nicht nur eine Ziffer an den Kopf geworfen, sondern hat ein 15-minütiges Beratungsgespräch mit der kompletten Jury, wo fünf Juroren kompetent zu dem Stellung nehmen, was man da abgeliefert hat. Das hat mich immer total weitergebracht, was da als Feedback kam.
Christian Wulff ist Präsident des Deutschen Chorverbandes. Er hat gegenüber der "HAZ" gesagt, es fehle den Sängerinnen und Sängern eine starke Lobby, die das Potenzial, aber auch die Probleme der Szene ins Rampenlicht rücke. Wie sehen Sie das, fehlt diese Lobby?
Trantow: Chorsingen hat in Deutschland - im Vergleich zu anderen, vor allem skandinavischen Ländern - den Nimbus des Laienhaften. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Chorszene. Als Chorsängerin und Chorsänger muss man keine Ausbildung haben, man kann einfach mitmachen. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es aber auch Chöre, die im internationalen Vergleich absolut mithalten können: Das ist professionelle Musik mit professioneller Qualität. Das immer wieder zu betonen, ist sicherlich nötig.
Wie steht es um den Nachwuchs? Kommt da genug nach? Ist das Interesse für Chorgesang in der Jugend da? Oder merken Sie, dass das abnimmt?
Trantow: Es war durch Corona tatsächlich zu merken, dass in vielen Schulen Chöre aufgegeben haben, weil sie nicht singen durften. Es wäre tatsächlich nötig, dass die Kinder im Schulalter schon Kontakt zu Chormusik bekommen. Ich glaube, das Potenzial ist da, denn Singen ist Lebensäußerung, das betrifft jeden Menschen. Aber es muss die Gelegenheit bestehen, die Schülerinnen und Schüler müssen in Kontakt mit Chören kommen. Deshalb ist es total wichtig, dass an jeder Schule vernünftige Schulchöre existieren. Da gibt es noch Luft nach oben. Dieses Jahr wird in Hamburg der Landesjugendchor neu gegründet. Das wird eine Chance sein, zu zeigen, dass Chorsingen auch auf hohem Niveau für Jugendliche eine echte Chance ist.
Das Interview führte Friederike Westerhaus.