Edeltraud und Peter Raspe: "Wie gut, dass wir uns haben"
Ihre Lebensgeschichte beginnt mit Krieg und Flucht. Inzwischen können Edeltraud und Peter Raspe auf fast 80 gemeinsame Jahre zurückblicken. Ein Jahrhundertleben.
Edeltraut und Peter Raspe erinnern sich beide noch ganz genau an ihr erstes Zusammentreffen im März 1945. Sie teilen von Anfang an die Naturverbundenheit. "Traute" ist bis heute glücklich, dass Peter ausgerechnet sie, das "Flüchtlingsmädchen" zur Freundin genommen hat.
Edeltraut hatte sehr liebevolle Eltern
Traute wird am 22. Dezember 1928 in Masuren, Ostpreußen geboren. Sie ist das neunte von zehn Kindern. Ihre älteren Geschwister wollen nichts mit ihr zu tun haben, sie haben die Nase voll von Babys. Die Familie lebt ein Selbstversorgerleben: Milch, Essen, Wolle - alles wird selbst hergestellt. Ihre Eltern sind sehr liebevoll, Schläge gibt es zu Hause nicht. Besondere Erinnerungen verbindet Edeltraut Raspe mit dem Winter: "Da kam das Landleben zur Ruhe. Alle saßen in der Stube, während draußen minus 30 Grad herrschten."
Flucht in den Westen
Als die Nazis an die Regierung kommen, ändert sich zum ersten Mal was für die Kleinbauern: Es gibt mehr Unterstützung, außerdem Kindergeld. Im Alter von zehn Jahren kommt Traute zum Jungvolk. Sie erinnert sich an Völkerball und Schnitzeljagden.
Ihre Eltern sehen, dass die Front näher kommt und bereiten heimlich Panjewagen - einfache Holzkarren - für die Flucht vor. Edeltraut flieht mit ihrer Schwester Hilde, einigen Kriegsgefangenen und zwei Pferden Richtung Westen. Ein Soldat rettet ihnen das Leben und schickt sie Richtung Norden. Den geschenkten Kompass hat sie heute noch. Bei der Reise übers Haff bricht eines der Pferde ein. Ihre Schwester Hilde muss es mit ihrer Pistole erschießen. Nach zweimonatiger Flucht kommen sie in Parin in Nordwestmecklenburg an. Traute trifft dort auf Peter, den Sohn des Gutspächters.
Peter wird mehrere Jahre in einem Kinderheim untergebracht
Peter, geboren am 5. Oktober 1928, ist ein uneheliches Kind einer Pastorentochter und eines Mecklenburgers. Er kommt in London zur Welt, weil er dort von einem Ehepaar adoptiert werden soll. Dieses aber wollte ein Mädchen haben, keinen Jungen. Deshalb reist Peters Mutter nach der Entbindung mit ihm zurück nach Deutschland, nach Hamburg. Peter wird über mehrere Jahre in einem Kinderheim untergebracht. Seine Eltern besuchen ihn regelmäßig. Die Sommer verbringt er auf dem Gut seiner Eltern. Sie holen ihn im Alter von zehn Jahren ganz nach Parin. Dort geht er in der Natur auf und verbringt seine Kindheit in Feldern und Wiesen.
Seinen Vater erlebt Peter als jähzornig und aufbrausend. Bis heute hat er nicht verstanden, wieso seine Eltern nicht geheiratet haben, als er unterwegs war. 1940 erkrankt der Vater an Diphterie - und stirbt daran. Peter hat nur ein Jahr mit ihm zusammengelebt.
Peters Mutter stirbt mit 40 Jahren - Familie wird enteignet
Im Herbst 1945 bekommt Peter Typhus und liegt monatelang isoliert im Krankenhaus. Seine Mutter erkrankt ebenfalls. Als er zurückkommt, ist seine Familie enteignet, das gesamte Inventar des Gutshofs geplündert von Flüchtlingen und Einheimischen. Im Dezember 1945 stirbt Peters Mutter, mit nur 40 Jahren. Und seiner Familie wird untersagt, sich dem Gut in einem Umkreis von 100 Kilometern zu nähern. Daraufhin geht Peter nach Hamburg, Traute bleibt in Parin. Er überquert die Grenze in die Ostzone aber immer wieder schwarz und besucht seine Traute.
Gemeinsam die Ostzone verlassen
Im Januar 1947 fliehen sie gemeinsam in den Westen. 1954 heiratet das Paar. Im selben Jahr kommt Tochter Petra zur Welt, neun Jahre später Christa. Sie bauen sich in verschiedenen Städten ein gemeinsames Leben auf. Traute arbeitet als Kontoristin, Peter als Gartenmeister.
Großes Glück als Paar
Seit fast 79 Jahren sind Edeltraut und Peter inzwischen ein Paar und bezeichnen es als größtes Glück, "wenn wir uns abends bei den Händen fassen und sagen: 'Wie gut, dass wir uns haben'. Und wer kann das schon mit 95?"
Tochter bringt Buch über ihre Eltern heraus
Tochter Petra hat 2022 ein Buch über das Leben ihrer Eltern veröffentlicht. Der Titel lautet "Die Botschaft der Lerche. Vom ostpreußischen Masuren über das Gut Parin in Mecklenburg nach Hamburg. Zwei Zeitzeugen erzählen ihre Lebens- und Liebesgeschichte 1928 bis heute". Der NDR durfte für die Doku "Jahrhundertleben" auf dieses Werk und die detailreichen Aufzeichnungen sowie entsprechende historische Fotos zurückgreifen.