Auschwitz-Überlebende Erna de Vries 2015. © picture alliance / Geisler-Fotopress Foto: Uli Glockmann

Erna de Vries: Eine Zeugin der Gräuel von Auschwitz

Stand: 22.04.2022 15:40 Uhr

Im Alter von 19 Jahren kam Erna de Vries in das Konzentrationslager Auschwitz. Jahrzehntelang berichtete die Holocaust-Zeugin über ihre Erlebnisse und wurde mehrfach dafür ausgezeichnet. Am 23. Oktober 2021 ist die Emsländerin aus Lathen gestorben.

Das heute unvorstellbare Grauen, das Töten in den Gaskammern, die Erschießungen, die Vernichtung durch Arbeit, all das endet auch für Erna de Vries am 27. Januar 1945. An diesem Tag befreien Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Mehr als eine Million Menschen sind bis zu diesem Zeitpunkt in der Todesfabrik der Nationalsozialisten ermordet worden, die wenigsten Gefangenen überleben. Auch die Emsländerin de Vries hat die Hölle von Auschwitz zwei Monate lang erlebt. In der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen hat sie oft von ihren Erlebnissen berichtet.

Erna de Vries kommt mit der Mutter nach Auschwitz

Als Erna de Vries 1943 mit ihrer Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wird, ist sie 19 Jahre alt. Die Halbwaise fühlt sich für ihre Mutter verantwortlich, packt mit ihr die Koffer, obwohl für sie selbst noch kein Deportationsbefehl vorliegt. Was Auschwitz bedeutet, davon hat sie eine vage Vorstellung aus den Berichten im englischen Radio, die sie heimlich gehört haben. Die Realität in dem Lager im Süden des von den Deutschen besetzten Polens ist ungleich entsetzlicher.

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Ausgemergelte Männer liegen dicht an dicht in Holzkojen - Aufnahme von 1944 aus einer Gefangenen-Baracke in Auschwitz. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

Konzentrationslager:"Alltag" in der Hölle

Das Leben im KZ war ein Martyrium für die Gefangenen. Der Willkür der SS vollkommen ausgeliefert endete es oft mit dem Tod. mehr

Ausgekaute Kartoffelschalen zum Essen

Schon die Deportation nach Auschwitz ist ein Martyrium. Fünf Tage bei glühender Hitze habe die Fahrt im Viehwaggon gedauert, berichtet Erna de Vries. Viele Menschen hätten die Strapazen der Deportation nicht überstanden und seien gestorben. Auf der Rampe in Auschwitz geht das Sterben weiter. Etliche Überlebende werden erschossen. Erna de Vries übersteht die Selektion durch die SS. "Ich war zwei Jahre im Lager und davon zwei Monate in Auschwitz. Und wenn ich vom Lager spreche oder an ein Lager denke, denke ich nur an Auschwitz", sagt die zierliche Frau. "Das fing schon bei der Nahrung an. Das Essen war so in den ersten Tagen: Ich erinnere mich nur an ausgekochte Kartoffelschalen. Die lagen unten mit Sand in der Schüssel. Und wir waren ganz entsetzt, als Häftlinge, ganz abgemagerte Mädchen, dass wir unsere ausgekauten Kartoffelschalen noch mal da raus nahmen und versuchten, da noch was rauszuholen."

Als "Mischling" ins Frauenlager Ravensbrück verlegt

Der Kriegsüberlebenden Erna de Vries wurde im Konzentrationslager Auschwitz eine Nummer auf den Arm tätowiert. © NDR Foto: Hedwig Ahrens
Brandmal der Nationalsozialisten: In Auschwitz wurde Erna de Vries ihre Häftlingsnummer in den Arm tätowiert.

Erna de Vries ist nur noch eine Nummer im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau: Häftling 50462. Nach drei Monaten ist die junge Frau von harter Arbeit und mangelnder Hygiene so krank, dass sie in den Todesblock aussortiert wird. Hier gibt es kein Essen mehr. Vor der Gaskammer kauert sie nackt und betend in einem Innenhof. Sie hat nur noch einen Wunsch: Sie möchte noch einmal die Sonne sehen.

Da wird ihre Nummer ausgerufen: Eigentlich bedeutet das in Auschwitz den sicheren Tod in der Gaskammer, doch für sie ist es die Rettung. Weil ihr Vater Christ war, bezeichnen die Nationalsozialisten sie als "Mischling", sie wird deshalb vom Vernichtungslager in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verlegt. Dort überlebt sie die Zwangsarbeit und einen sogenannten Todesmarsch am Kriegsende. Ihre Mutter wird Erna de Vries nie wieder sehen, sie wird von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet.

"Du wirst leben und erzählen, was mit uns passiert ist"

Beim Abschied in Auschwitz muss sie ihrer Mutter ein Versprechen geben. "Du wirst überleben, du wirst erzählen, was man mit uns gemacht hat", sagt ihr ihre Mutter damals. Diesen Auftrag hat Erna de Vries sehr ernst genommen: Seit 1998 berichtete sie als Zeitzeugin regelmäßig in Schulen und Vorträgen von ihren Erlebnissen. Vor Gericht sagte sie im Februar 2016 in Detmold mit 92 Jahren als Zeugin gegen einen ehemaligen Wachmann im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz aus.

Tod von Erna de Vries ein "Riesenverlust"

Ihren letzten öffentlichen Auftritt absolvierte Erna de Vries im Februar 2020 im Schulzentrum Emlichheim in der Grafschaft Bentheim. Zwei Tage nach ihrem 98. Geburtstag ist die Lathenerin am 23. Oktober 2021 gestorben. Ihr Tod sei ein Riesenverlust für die Familie, aber auch für die jüdische Gemeinde Osnabrück, sagte deren Vorsitzender Michael Grünberg NDR Niedersachsen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Osnabrück | 25.10.2021 | 11:30 Uhr

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