Die Welt ist eine große Bühne und das Leben nur eine geschickte Inszenierung. So sieht es Donatien Alphonse Francoise Marquis de Sade. Auf seinem Schloss lässt der bekennende Atheist Dramen über untreue Ehemänner aufführen. Die Rolle der gehörnten Gattin besetzt er mit Geliebten.
Auch sonst scheut de Sade keine Provokation. Mit allen Autoritäten seiner Zeit legt er sich an, Kirche und König verspottet er. Seine Romane "Justine" (1791), "Juliette" (1796) und "Die 120 Tage von Sodom" (posthum 1905) stellt er in den Dienst von Sex und Schmerzen. Und verleiht so nicht zuletzt dem "Sadismus" seinen wissenschaftlichen Namen.
Wegen Blasphemie verurteilt
Geboren wird de Sade 1740 als Spross einer alten Adelsfamilie in Paris. Der Vater versucht, als heißblütiger Liebhaber in den Betten des Hofes Karriere zu machen. Als er mit fünf Jahren in die Obhut seines Onkels kommt, ändert sich am sexuell aufgeladen Klima seiner Umgebung nichts. Zwar ist sein neuer Vormund Geistlicher. Aber er holt sich gerne käufliche Damen auf sein Schloss. Seine zweite Leidenschaft gilt der Literatur und Philosophie.
In dieser Atmosphäre reift de Sades Vorstellung von der betrügerischen Religion, aber auch seine dichterische Neigung und seine experimentelle Phantasie. Von seinen lästerlichen Aktionen prahlt er gerne. 1763 erzählt er einer Prostituierten, in einen Altarkelch masturbiert zu haben, ohne dafür von Gott gestraft worden zu sein. Auch von Analverkehr und Auspeitschungen berichtet er – und gerät so immer wieder ins Visier der Polizei. 1777 wird de Sade vom König wegen Blasphemie verhaftet und für zwölf Jahre unter anderem in die Bastille gesperrt.
Die dunkle Legende
In Gefangenschaft schreibt de Sade seine Romane, von denen "Justine" kurz nach der Französischen Revolution veröffentlicht wird – eine Zeit, in der es de Sade bis zum Richter bringt, fast aber auch wegen revolutionsfeindlicher Gesinnung hingerichtet wird. Gemeinsam mit seinem Pendant "Juliette" erzählt "Justine" anhand der Lebensgeschichte zweier ungleicher Schwestern von der Nutzlosigkeit der Moral und der Tugend in einer grausamen, gottlosen Welt. Orgien, Vergewaltigung und schlimmste Verbrechen bestimmen die Texte. Wegen ihnen wird de Sade 1801 erneut verhaftet und verbringt seinen Lebensabend in der Irrenanstalt Charenton.
In den Armen von sechs Frauen wolle er einstmals sterben, jede "schöner als der Tag". So hat es sich de Sade in einem seiner frühen Werke ausgemalt. Tatsächlich stirbt er am 2. Dezember 1814 im Charenton im Beisein eines Medizinstudenten, der aus der Erinnerung den eher einsamen Tod seines bereits zur dunklen Legende gewordenen Patienten festhält. De Sades Werk verschwindet im Giftschrank – und wird erst später von Schriftstellern wie Edgar Allan Poe oder Charles Baudelaire, vor allem aber von den Surrealisten im20. Jahrhundert neu entdeckt. "Die 120 Tage von Sodom" werden 1975 von Pier Paolo Pasolini verfilmt.