Das dunkle Erbe des Kolonialismus
Es sind beklemmende Fundstücke aus der Kolonialzeit: 75 Schädel lagern in den Archiven des Hamburger Universitätsklinikums (UKE), darunter Gebeine von Angehörigen des Volkes der Herero aus Namibia, seinerzeit die Kolonie "Deutsch-Südwestafrika". Dort haben deutsche "Schutztruppen" 1904 die Herero-Schädel verladen. Der Medizinhistoriker Philipp Osten vermutet, dass die Schädel direkt aus dem Genozid an den Herero stammen könnten, denn "teilweise steht dabei: Unterkiefer fehlt - Hinterhaupt defekt."
Herero-Nachfahren verklagen Deutschland
Der Völkermord von 1904 an den Herero wurde in Deutschland lange verdrängt, der deutsche Kolonialismus verharmlost und kaum erforscht. Ein Beispiel: Verantwortlich für den Genozid an den Herero war der Generalleutnant Lothar von Trotha. Er wurde für die Nationalsozialisten zum Vorbild, geriet aber später in Vergessenheit.
Aber das wird so nicht mehr gehen: Die Herero-Nachfahren haben in New York eine Klage auf Entschädigung eingereicht. "Unsere Forderung ist eigentlich sehr bekannt, auch im Bundestag, in der Politik", sagt Herero-Aktivist Israel Kaunatjike. "Unsere Forderung ist: Entschuldigung. Anerkennung. Und der dritte Punkt ist, dass wir über Reparationen noch mal diskutieren."
Wie viele Leichenteile lagern noch in deutschen Archiven?
Jahrelang hatten die Hereros das Gespräch gesucht und auf "Wiedergutmachung" gehofft - vergeblich. Deutschlands Antwort hieß immer nur "Entwicklungshilfe". Die Verhandlungen eskalierten. Jetzt steht die Bundesregierung in New York international am Pranger. "Wir wissen ja noch gar nicht, wie viele dieser 'human remains', dieser Leichenteile, menschlichen Überreste noch in deutschen Archiven, Magazinen und Kliniken liegen", sagt Historiker Jürgen Zimmerer.
In puncto Täter-Glorifizierung scheint unser "blinder Fleck" jedenfalls recht ausgeprägt. So schmückt der Völkermörder Lothar von Trotha - unkommentiert - ein Gebäude in der Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Jenfeld, wo heute die Universität der Bundeswehr sitzt. Und gleich daneben, im "Tansania-Park", findet sich das "Ehrenmal für deutsche Kolonialtruppen in Afrika". Den Park hat der Senat allerdings vorläufig geschlossen und Jürgen Zimmerer beauftragt, Hamburgs Kolonialgeschichte zu erforschen.
"Es geht nicht um Schuldgefühle", sagt der Historiker und Afrikawissenschaftler. "Nur: Die Fakten über den Kolonialismus liegen nicht auf dem Tisch, sondern, wo er überhaupt wahrgenommen ist, liegt so eine nostalgische Patina darüber. Aber die Verbrechen des Kolonialismus, die Ausbeutung des Kolonialismus sind ausgeblendet, wie auch der Beitrag des kolonialen Systems für den Wohlstand und die Kultur Europas."
Denkmäler verdrehen Fakten
Und die "Askari-Reliefs" im "Tansania Park" verdrehen die Fakten, fand Jürgen Zimmerer heraus: Es wirke so, als würden die afrikanischen Söldner die deutschen Kolonialherren freiwillig unterstützen. Doch das war reine Propaganda. Hiesige Geschäftsleute sollten vertrauensvoll in die Kolonien ziehen. Und das hat auch funktioniert. So hat die Reederei im "Afrika-Haus" während des Herero-Völkermordes ihre Handelsfahrten in die Kolonie verdoppelt. Die Hamburger Handelskammer begrüßte die neuen, lukrativen Geschäfte und so manch ein Profiteur zeigte stolz, woher der neue Reichtum kam.
Der Kolonialismus hat auch die Schatzkammern der Völkerkunde-Museen gefüllt - mit Kriegsbeute und Raubkunst. Zusammen mit Doktoranden aus den ehemaligen Kolonien rückt Zimmerers Forschungsprojekt vieles in ein neues Licht: in Hamburg und Bremen, wo jetzt rekonstruiert werden soll, wie die Objekte hierher kamen.
Verantwortung der ehemaligen Kolonien gegenüber
Wie viel Blut klebt an den Exponaten? Wiebke Arndt, Leiterin des Überseemuseums in Bremen, hat einen "kulturellen Leitfaden" herausgebracht. Zentrale Fragen darin: Was ist zu beachten bei der Rückgabe von Schädeln, rituellen Objekten und Raubkunst an die Herkunftsländer? "Es hat mich überrascht, wie wenig wir darüber wissen, wie dieser Handel zwischen Europäern und Afrikanern eigentlich gelaufen ist", sagt sie. "Gerade in den ehemaligen deutschen Kolonien stehen wir in einer Verantwortung gegenüber unserer eigenen Geschichte, und diese Verantwortung müssen wir tragen und ernst nehmen."
Ein zutiefst rassistisches Kapitel der deutschen Geschichte
Der neue Umgang mit dem Kolonialismus ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts - auch in Berlin, wo aktuell das Humboldt-Forum entsteht. Hier sollen Sammlungen aus aller Welt gezeigt, aber vorher gründlich geprüft werden. Das bietet auch eine Chance, sich neu mit der Welt zu vernetzen. "Wenn man das nicht aufgeben will, dann muss man sich irgendwann mit dem Kolonialismus auseinandersetzen", so Zimmerer. "Zum einen als Vorgeschichte der Verbrechen des Nationalsozialismus und zum zweiten als zutiefst rassistisches Kapitel der deutschen Geschichte."
Ein Fenster zur Welt, wie sie wirklich war und ist, ist aktuell im Altonaer Museum zu sehen, wo die Masken des afrikanischen Künstlers Joe Sam-Essandoh unser nostalgisches Geschichtsmodell vom Handel zwischen Hamburg und Afrika ergänzen.