Extremsegler Herrmann: Rückkehr so knifflig wie ein Ocean Race
Nach sechs Monaten Ocean Race hat Hochseesegler Boris Herrmann endlich wieder Zeit für seine Familie und das Klima-Bildungsprojekt mit Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann. Aber das Einleben daheim in Hamburg hat auch seine Tücken.
Die Familie hat ihn endlich wieder, ganz ohne Wasser geht es offenbar aber nicht. Erst ein paar Tage ist Extremsegler Boris Hermann zurück in Hamburg - nach sechs Monaten auf See, in sieben Etappen und 55.000 Seemeilen beim legendären Ocean Race rund um den Globus. Doch die Alster lockte; und so schipperte der erfolgreiche Hochseesegler kurzentschlossen mit Ehefrau Birte, Tochter Marie-Louise und Hündin Lilly über das beliebte Binnengewässer im Zentrum der Hansestadt. Frei nach dem Motto: Früh übt sich … obwohl "Malou" doch erst drei Jahre alt ist.
Bildungsprojekt: Klimakrise
Ein paar Tage wohl würde es Birte Lorenzen-Herrmann auch auf der Rennyacht "Malizia - Seaexplorer" aushalten. "Um die Welt würden sie mich aber nicht kriegen", sagt sie dem NDR. Gut gelaunt und sichtlich glücklich darüber, dass ihr Mann endlich und vor allem wohlbehalten zurück ist, erzählt sie an seiner Seite von der kniffligen Aufgabe, sich nach der langen Auszeit wieder aneinander zu gewöhnen.
Aber auch über ihr Projekt "My Ocean Challenge", das sie für Schulen konzipiert haben. Ein illustriertes Bildungsprogramm über die Klimakrise, über die "Ausbeutung der Ozeane", wie ein Kapitel des (Lehr-)Buchs heißt, das "nicht nur für Kinder, sondern für die ganze Familie gedacht ist", so Birte Lorenzen-Herrmann.
Birte Lorenzen-Herrmann: Unterricht im Township
"Wir hoffen, dass wir Kinder inspirieren, neugierig zu sein, in ihrem eigenen Leben verrückte Dinge zu tun", sagt sie. "Aber dass sie auch lernen, wie der Ozean und das Klima zusammenhängen." Für die neue Aufgabe hat sich die Lehrerin für Kunst und Mathematik beurlauben lassen.
Während Boris mit den Kindern von hoher See aus seine Erfahrungen teilt, reist ihm Birte von Zeit zu Zeit hinterher und spricht wie in den Townships von Kapstadt mit Kindern, die "vom Klimawandel noch nie etwas gehört haben". Weltweit können sich Lehrer und Interessierte die Programme herunterladen.
Von Klima-Aktivistin Thunberg gelernt
Die Initialzündung für das Projekt mag 2019 die Überfahrt mit der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg gewesen sein, die Boris Herrmann zum UN-Klima-Gipfel nach New York gesegelt hat. "In 13 Tagen auf dem Atlantik lernt man sich ganz gut kennen", und gelernt habe er dabei auch einiges über die Klimakrise.
Der segelnde Klimaschützer Herrmann liefert wertvolle Daten etwa von der CO2-Belastung der Ozeane für die Wissenschaft, beispielsweise das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. "Es ist ein Rennen gegen die Zeit. Wir müssen Lösungen finden, um den Klimawandel zumindest zu verlangsamen", sagt Herrmann. "Sonst können wir das Rennen nicht gewinnen." Hitze, Feuer und Überschwemmungen aktuell auch in Europa sind Zeugen der ernsten Entwicklung.
Siege, Rekorde und royaler Besuch
Vom Gewinnen und Verlieren könnte Herrmann stundenlang berichten. Wie er mit dem Malizia-Team die letzte der sieben Etappen sowie die ebenso bedeutende wie traditionsreiche "Roaring Forties Trophy" gewann - für die schnellste Zeit bei der Überquerung des Südpolarmeers von Kapstadt nach Kap Hoorn. Von den zwei siegreichen In-Port-Rennen und dem triumphalen Empfang beim Fly-By in Kiel. Wie sie den König und die Königin der Niederlande an Bord begrüßen konnten und auch Fürst Albert von Monaco.
Ein begnadeter Erzähler über Wind, Wellen und Wissenschaft ist Herrmann sowieso. Aber da sind auch die Entbehrungen, die vor allem die Familie daheim umtreiben - und mitunter sogar die Grundfesten einer Beziehung auf die Probe stellen können.
"Ich empfinde das Ankommen fast als die größte Herausforderung, wenn zwei so unterschiedliche Welten aufeinanderprallen", sagt Birte Lorenzen-Hermann im "Spiegel"-Interview. "Während ich vielleicht im Alltag bin, kommt Boris erschöpft oder auch total geistig angeregt von einem großen Abenteuer wieder. Da in den gemeinsamen Flow zu kommen ist, als würden zwei Wellen aufeinandertreffen, die sich erst langsam einpendeln müssen."
Etappen-Pause für die Familie
Eine partnerschaftliche Herausforderung. "Ich glaube, wenn einer eine Leidenschaft hat oder einen Traum, und der Lebenspartner versucht, diesen Traum zu stoppen, zu bremsen oder auszureden, dann muss eine Beziehung zwangsläufig zerbrechen", sagt Boris Hermann und schlussfolgert: "Entweder man findet einen Weg, dass es zusammengehen kann, oder es ist schwierig."
Beide haben ein Rezept gefunden: "Jetzt beim Rennen habe ich gebeten, dass nicht alle Etappen mitgesegelt werden, damit wir als Familie auch die Chance haben, wieder zusammenzukommen", erzählt Birte. "Aber ich würde nicht sagen: Du sollst nicht mehr Segler sein. Bleib hier! Dann würde ich einen Teil seiner Persönlichkeit wegschneiden und das geht nicht."
2024 startet Herrmann wieder bei der Vendée Globe
Dass aus einer Etappenpause gleich zwei wurden, lag schließlich aber an einem missglückten Kochversuch bei rauer See. Als Herrmann die Trockennahrung mit heißem Wasser aufgießen wollte, verbrühte er sich übel die Haxen.
Krankenhaus, Zwangspause - ein Fauxpas mit Folgen. Dabei hatte er das Segeln im Team gerade schätzen gelernt, weil es so viel inspirierender sein kann, als in 80 Tagen allein und ohne Hafenstopp die Welt zu umrunden. Trotz der Einsamkeit ("Dagegen habe ich noch kein Patentrezept") will er im kommenden Jahr aber wieder bei der Vendée Globe starten.
Zynische Gedanken hoch oben im Mast
Missgeschicke passieren schließlich hier wie dort. Wenn der Mast Schaden nimmt, muss auch ein höhenkranker Einhandsegler tätig werden und die 29 Meter hochklettern. "Ich hatte dabei etwas zynische Gedanken und habe mein Handy mitgenommen", erzählt Herrmann im "Spiegel": "Wenn ich da oben festhänge und nicht mehr runterkomme, dann kann ich wenigstens Tschüs sagen."
So weit musste es im Südpolarmeer nicht kommen. Die "angstbefreiten" Rosalin Kuiper und Co-Skipper Will Harris nahmen ihm Aufstieg und Reparatur ab. "Ein episches Teamwork", so der Ocean-Race-Skipper: "Das schweißt noch mehr zusammen."
Ein Jahr nach Stapellauf im Heimathafen
Selbst schwere Stürme, Rückschläge und letztlich der knapp verpasste Sieg konnten der internationalen Crew nichts anhaben. Keinen Streit habe es gegeben, sagte Hermann nach dem Etappensieg auf dem letzten Teilstück und Platz drei in der Endabrechnung. Bei der Rückkehr der "Malizia - Seaexplorer" im bretonischen Lorient war er aber nicht dabei.
Genau ein Jahr nach dem Stapellauf am 19. Juli 2022 machte die Imoca-Yacht wieder im französischen Heimathafen fest. "Ein wirklich schöner Zufall, dass das Boot genau an diesem Tag zurück in den Hafen von La Base gelangte", so der Skipper.
"Ich habe meinen eigenen Film im Kopf." Boris Herrmann
"Es ist großartig, darüber nachzudenken, was wir in einem Jahr erreicht haben", sagt Boris Herrmann und erinnert sich, wie das Boot pünktlich zum vier Monate zuvor angekündigten Datum zu Wasser gelassen und dann in Hamburg getauft wurde. Wie er im vorigen Jahr die Route du Rhum gesegelt ist, als erstes Solo-Rennen seit der Vendée Globe, die er ohne die Kollision mit einem spanischen Fischkutter ("Ein Schockmoment") womöglich gewonnen hätte.
Jetzt könnte die Zeit zum Träumen sein. Aber der Realist lässt die Geschehnisse in seiner Art Revue passieren, ohne die atemberaubenden TV-Bilder: "Es dauert, bis man wieder Lust darauf hat", sagt er. "Ich habe meinen eigenen Film im Kopf."