Hansa Rostock und immer wieder Fan-Gewalt - Randale ohne Ende?
Provokationen, Gewalt, Zerstörungen: Im Umfeld von Fußball-Drittligist FC Hansa Rostock hat es zuletzt schwere Ausschreitungen durch Anhänger gegeben - mal wieder. Wie ticken die Fans? Warum bekommt der Club die Probleme nicht in den Griff? Wie ist die Rolle der Politik? Und wie könnten Lösungen aussehen? Fragen an NDR Reporter Jan Didjurgeit, der den FC Hansa seit 33 Jahren begleitet.
Die Attacke auf einen Fan-Zug von Rot-Weiss Essen, Randale im Heimspiel gegen Dynamo Dresden, Zerstörungswut bei der Auswärtspartie bei Alemannia Aachen - drei Vorfälle der Gewalt aus dem Umfeld des FC Hansa aus den vergangenen fünf Monate. Es sind drei Beispiele, die stellvertretend für die über die Jahre wiederkehrenden Ausschreitungen und Grenz-Überschreitungen von einem Teil der Anhänger des Clubs stehen.
Jan Didjurgeit, erleben wir in puncto Gewalt im Umfeld des FC Hansa Rostock im 60. Jahr des Bestehens des Clubs gerade die dunkelste Phase?
Jan Didjurgeit: Das würde ich so nicht sagen, denn es ist kein Problem der vergangenen Monate. Das Problem besteht seit sehr vielen Jahren. Es gab einen Knackpunkt im Februar 2006, als Hansa-Anhänger rund um ein ausgefallenes Auswärtsspiel in Braunschweig den Bahnhof in Stendal verwüstet haben. Bis dahin war eigentlich über zehn Jahre (es waren die durchgehenden Jahre in der Fußball-Bundesliga, d.Red.) weitestgehend Ruhe in der Fanszene. Dieses Ereignis in Stendal hat aber für einen Wendepunkt gesorgt.
Seitdem gehört Hansa wieder, nachdem es Anfang der 1990er-Jahre ja auch zum Teil sehr schwierig gewesen ist, zu den Problem-Vereinen in Sachen Ausschreitungen und Randale. Seit 2006 ist es halt immer schlimmer geworden und bewegt sich jetzt seit einigen Jahren konstant auf einem unerträglichen Niveau. Was sich zuletzt durchaus verändert hat - in den letzten zwei bis drei Jahren - ist der Vandalismus. Das Zerstören von Sanitäreinrichtungen oder das Verwüsten von Zügen hat in der Tat eine neue Dimension erreicht.
Kurz zurück nach Stendal, zu dem Wendepunkt: Was ist da passiert - und warum?
Didjurgeit: Wenn es nicht da passiert wäre, wäre es später irgendwo anders passiert. Ich glaube, dass es damit zu tun hat, dass sich rund um die Jahrtausendwende die Fanszene insgesamt deutschlandweit verändert hat über die Ultra-Bewegungen. Die sind über einen langen Zeitraum - auch in Rostock - sehr stiefmütterlich behandelt worden. Bei vielen Clubs, so auch bei Hansa, wurde es verpasst, diese Fangruppierung mitzunehmen. Stattdessen hat man sie lange Zeit nicht ernst genommen, sehr schnell waren sie dann aber größer als zum Beispiel der Anteil der klassischen Kuttenträger.
Über ein paar Jahre hinweg hat sich - sicherlich auch aus dem Frust heraus, dass man nicht wirklich ernst genommen wurde - dann möglicherweise da auch ein neues Gewaltpotenzial entwickelt. Stendal war damals tatsächlich der "Startschuss" für eine neue Ära der Gewalt. Dieses Ereignis wird übrigens von der radikalen Szene auch gefeiert, das ist für die ein Datum.
Wer ist denn da bei Hansa unterwegs?
Didjurgeit: Zunächst muss man festhalten, dass dieser Verein mit seinen Fans etwas Besonderes ist. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern steht so geschlossen hinter dem Club wie es das sonst vielleicht nur in Bremen gibt (mit dem SV Werder, d.Red.). Das geht ganz tief rein in die Gesellschaft. Auch wer mit Fußball nichts anfangen kann, drückt Hansa die Daumen. Die Unterstützung - zu Hause oder auswärts - ist herausragend. Aber es meinen eben nicht alle gut.
Und man muss unterscheiden: In den 1990er-Jahren war das eine komplett andere Situation als heute. Damals, unmittelbar nach dem Mauerfall, gab es im gesamten Fußball-Osten zum Teil eine Art Anarchie bei Fußballspielen mit diversen Gewaltexzessen. Auch bei Hansa Rostock war das zum Teil wirklich schlimm und zu der Zeit waren große Teile der Fanszene auch politisch sehr im rechten Spektrum einzuordnen. Das hat sich im Laufe der 90er-Jahre aber verändert - speziell in der Zeit zwischen 1995 und 2005, als Hansa durchgehend Bundesliga gespielt hat. Das war, was das Thema Gewalt angeht, eine eher ruhige und harmlose Zeit. Nach 2006 hat es sich dann wieder in eine andere Richtung entwickelt.
Wie ist die Szene denn politisch einzuordnen?
Didjurgeit: Über die Jahre der Entwicklung der Ultra-Szene ist die Hansa-Fanszene eher unpolitisch gewesen. Auch heute spielt Politik keine so große Rolle, auch wenn es mittlerweile wieder mehr Rechte gibt als etwa vor 15 oder 20 Jahren. Im Ostseestadion gibt es zwei Bereiche, wo Ultras beheimatet sind: Die Südtribüne als größter Ultrabereich und zusätzlich die Ecke Nordost. Auf der Südtribüne sind diejenigen, die eher unpolitisch oder auch dem linken Spektrum zuzuordnen sind. Für Viele stehen prominennte Hansa-Fans wie Monchi (Sänger von Feine Sahne Fischfilet, d.Red.) oder Marteria dort hoch im Kurs.
Im Fanblock Nordost hat sich in den vergangenen Jahren ein separater Ultra-Block etabliert. Mit eigenem Vorsänger. Dort finden sich dann auch diejenigen, die sich eher dem rechten Spektrum zugehörig fühlen.
Und woher kommen die Krawallmacher?
Didjurgeit: Provokationen und Vandalismus sind quasi politisch spektrumübergreifend, da ist der "Auftrag", als Gruppe für Aufsehen zu sorgen, erst einmal größer. Da steht der Verein über allem. Wenn es darum geht, irgendjemanden zu provozieren, zu ärgern, zu reizen, dann spielen persönliche Interessen eine untergeordnete Rolle. Dann ist man gemeinsam in der schlechten Sache unterwegs.
Da zeigt sich eine sehr unschöne Seite des Vereins: dass das zahlenmäßige Verhältnis zwischen "Normalos" und Krawallmachern bei Hansa eben anders ist als bei anderen Clubs. Da gibt es zu viele Chaoten, und zwar auch unter denen, die in der Szene dann die Ansagen machen.
So sind 19 Jahre nach den Verwüstungen von Stendal sowohl im Ostseestadion als auch bei Auswärtspartien immer wieder sehr ähnliche Bildern zu sehen. Wie kann das sein?
Didjurgeit: Es traut sich niemand der handelnden Personen mit Nachdruck an dieses Problem heran. Nicht die Führung des FC Hansa, die in den vergangenen Jahren sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand nie wirklich glaubhaft den Eindruck erweckt hat, dass man Maßnahmen ergreifen will, die nachhaltig was bringen und die wehtun.
Aber auch von der Politik kommt eigentlich nichts außer Lippenbekenntnissen, wenn irgendwas Schlimmes passiert. Dann hört man die üblichen Betroffenheitsbekundungen. "Das geht so nicht weiter", heißt es dann - und dass man mit dem FC Hansa jetzt aber mal sehr deutlich reden müsse. Aber dann passiert wieder nichts bis zum nächsten Vorfall und das Ganze geht von vorne los.
Wie groß ist denn diese "Gruppe" Gewaltbereiter? Kai-Uwe Theede, Präsident des Oberlandesgerichts, hatte jüngst von "einigen Hundert" gesprochen.
Didjurgeit: Eine genaue Zahl kann man nicht nennen. Und die ist auch nicht immer gleich, das verändert sich. Es scheiden immer mal wieder welche aus von den Krawallfans und von unten wächst dann was nach.
Aber "einige Hundert" trifft es schon ganz gut. Es sind ja auch nicht immer alle dabei. Aber die Anzahl derer, die gewaltbereit sind, ist schon deutlich größer als bei den meisten anderen Clubs dieser Größenordnung.
Dennoch: Zu den Heimspielen von Hansa kommen in dieser Saison im Schnitt fast 24.000 Menschen ins Ostseestadion. Die "normalen" Fans sind klar in der Überzahl. Wie kann man sich das Verhältnis zu den Krawallmachern vorstellen?
Didjurgeit: Wie bei anderen Vereinen auch sind diejenigen, die sich der aktiven Fanszene zugehörig fühlen, extrem präsent. Und unter denen - das ist ja immer nur ein Teil, das ist wichtig, das auch immer noch mal herauszustellen - sind dann doch auch gewaltbereite Anhänger. Einige 'normale Fans' stellen sich auch schon mal dagegen, wenn es kracht, aber letztlich doch nur vereinzelt.
Da braucht man schon ein ziemlich breites Kreuz, das muss man sich gut überlegen, ob man sich mit denen anlegt. Am Ende geht es bei jedem, der es gut meint, ja auch um Selbstschutz.
Gibt es auch Leute, die sagen, dass ihnen ein Besuch im Ostseestadion gerade zu heikel ist?
Didjurgeit: Das gibt es vereinzelt. Ich habe solche Leute getroffen, die gesagt haben: "Mit meiner Familie gehe ich nicht ins Ostseestadion." Das muss jeder für sich abwägen, aber ich kann jeden verstehen, der das so sieht.
Meine Erfahrung - und ich bin im Normalfall immer bei den Heimspielen - ist, dass über weite Strecken der Besuch im Ostseestadion eigentlich sicher ist. Es gab im vergangenen Dreivierteljahr zwei Spiele, wo das nicht der Fall war: Paderborn am Ende der vergangenen Saison (der FCH stieg an dem Tag von der 2. in die 3. Liga ab, d.Red.), als ein Feuerwerk abgebrannt worden ist, wie ich es im Ostseestadion so noch nicht erlebt habe.
Und das zweite Spiel war kürzlich gegen Dresden, als ich auch Familien habe rausrennen sehen und weinende Kinder, die einfach nur noch das Stadion verlassen wollten. Das war eine Situation, die war wirklich beängstigend - eben auch für normale Zuschauer, die sich auf der Osttribüne in einem Sitzplatzbereich aufgehalten haben und damit rechnen mussten, da eine Rakete abzubekommen. Das hat bei einigen Wirkung zeigt, die für sich dann entscheiden: 'Für mich ist das Thema Ostseestadion erst einmal gestorben.'
Tut der Verein denn genug, um so etwas zu verhindern?
Didjurgeit: Die Wahrnehmung ist, dass der Verein nicht genug dafür tut und dass das Entgegenwirken nur sehr halbherzig geschieht. Den Eindruck haben bei Fragen der Bekämpfung von Gewalt und Beleidigungen ganz viele Menschen.
Als aktuelles Beispiel kann der jüngste Maßnahmenkatalog nach den Ausschreitungen in Aachen herhalten. Erst wird durch markige Worte wie "Es kotzt mich an" der Eindruck vermittelt, dass der Verein jetzt ganz hart durchgegriffen wird. Und dann folgt ein Maßnahmenkatalog, der letztlich nur heiße Luft ist.
Dass etwa nun bei Auswärtsspielen nur ein Ticket pro Vereinsmitglied abgegeben wird, ist doch keine harte Sanktion.
Das suggeriert zum einen ja, dass Vereinsmitglieder für die Randale generell gar nicht verantwortlich sind. Und zum anderen kann das Vereinsmitglied, wenn es eine Karte kauft, ja mit dieser Karte machen, was es will, etwa sie an andere Personen weitergeben. Außerdem ist die Szene auch so gut organisiert, dass sie durchaus schon die Leute in den Block bekommt, von denen sie will, dass sie reinkommen.
Vom Verein hört man immer wieder das Totschlagargument, man könne das Problem nur zusammen mit den Fans lösen. Natürlich wäre das der allerbeste Weg, das ist doch völlig unstrittig. Wenn das aber bedeutet, dass quasi alles ausgeschlossen wird, was dann auch mal wehtut, dann wird man nicht vorankommen.
Woran liegt das? Zumal ja der Eindruck besteht, dass nicht alle im Club dieselben Ziele verfolgen.
Didjurgeit: Natürlich ist man bemüht, von allen Seiten der Führungsebene, Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen durchzuziehen, die auf einem breiten Konsens fußen. Dass das mitunter in bestimmten Situationen schwierig ist, liegt auf der Hand.
Was in der Frage des Gewaltproblems das Durchgreifen das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat betrifft: Da wird es eine schnelle und kurzfristige Lösung nicht geben. Da ist auch niemand so blauäugig, das zu glauben. Solange nicht alle Führungsgremien bereit sind, auch härtere Maßnahmen wie etwa den Verzicht oder die eingeschränkte Abgabe von Kartenkontingenten bei Auswärtsspielen gegebenenfalls auch mal durchzusetzen, wird es schwierig sein, sich der Lösung des Problems überhaupt zu nähern. Und da kann ich mir vorstellen, dass es in den verschiedenen Gremien des Clubs sehr verschiedene Ansichten gibt - in Teilen der Fanszene sowieso.
Kann eine solche Veränderung in der jetzigen Konstellation denn überhaupt herbeigeführt werden von Seiten des Clubs?
Didjurgeit: Wenn der Verein das will, dann kann da auch was gehen. Wenn sich jetzt, wie ja jüngst geschehen, die Vereinsführung auch mit sehr drastischen Worten über den aktuellen Vandalismus beschwert, dann nehme ich denen das schon ab. Aber wer nicht konsequent und mit Nachdruck gegen Gewalt und Beleidigungen vorgeht, der darf sich auch nicht wundern, wenn Krawallmacher dann immer wieder einen Schritt weiter gehen wollen.
Und trotzdem glaube ich nicht, dass der Verein machtlos ist, wenn man sich einig ist, gewisse Dinge auch so anzugehen, dass sie nachhaltig etwas bringen. Dann kann man schon Veränderungen herbeiführen, aber halt nicht kurzfristig. Das wird lange dauern.
Wie sieht es mit Externen aus, etwa der Politik. Was können sie zur Lösung des Problems beitragen?
Didjurgeit: Es ist schon sehr erstaunlich, dass sich die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern so defensiv verhält. Immer wieder darauf zu verweisen, dass der Club seine Probleme in erster Linie selbst lösen muss, ist natürlich sehr bequem. Aber pro-aktiv mit konkreten Vorschlägen für mögliche Maßnahmen auf den Verein zuzugehen - aus dieser Richtung kommt so gut wie nichts.
Das Gewaltproblem bei Hansa Rostock ist für die Politik natürlich ein sehr unattraktives. Wenn man sich tatsächlich auch mit sehr harten Maßnahmen wie das beispielsweise in Niedersachsen passiert (Innenministerin Daniela Behrens, d.Red.) gegen bestimmte Vorgänge in den Fanszenen stellt, dann macht man sich sehr stark angreifbar und muss dann auch in der Öffentlichkeit sehr viel aushalten.
Auch für die Politik gilt: Die Problematik bei Hansa ist nicht schnell zu lösen. Das ist ein langer Weg, den man da geht. Politiker sind aber nun mal nicht so fürchterlich lange gewählt. Bis man einen Effekt hat und wirklich merkt, dass sich was bessert, wird das dauern. Und das in Angriff zu nehmen, ohne einen kurzfristigen Erfolg zu sehen, ist nicht so fürchterlich dankbar.
Dennoch: Was kann oder sollte die Politik tun?
Didjurgeit: Die Politik muss schnellstmöglich dafür sorgen, dass sich der Eindruck, man sei gegen die Gewalttäter machtlos und würde nichts unternehmen, nicht noch mehr verfestigt. Und man sollte klar benennen, dass der Verein das Problem offensichtlich allein nicht lösen kann.
Es würde sicherlich helfen, wenn sich der Innenminister für einen Maßnahmenkatalog stark machen würde, der keine Interpretationsspielräume zulässt. Wichtig ist, dass etwas Verbindliches kommt. Und vielleicht ist die Aufgabe der Politik tatsächlich, jetzt da auf den Verein so viel Druck aufzubauen und von ihm einzufordern, dass es diesen Maßnahmenkatalog gibt.
Der sollte bestenfalls natürlich in Absprache mit der Fanszene erarbeitet werden. Aber man muss sich bei Verstößen eben auch daran halten. Als vielleicht etwas drastisches Beispiel: Wenn etwa Toiletten zertrümmert werden, dann gibt es beim nächsten Auswärtsspiel weniger oder keine Gästekarten mehr. Und eine solche Verabredung muss dann nicht für zwei Spiele oder bis Saisonende gelten, sondern dauerhaft. Es darf eben keine Warnschüsse mehr geben. Davon gab es in der Vergangenheit genug.
Die Politik hat die Möglichkeit, auf den Verein so viel Druck auszuüben, dass in dem Bereich auf jeden Fall etwas passieren kann. Mit der mittlerweile möglichen Umlegung von Polizeikosten bei Hochrisikospielen auf die Vereine, ist nun ein Druckmittel dazugekommen. Der Innenminister bezeichnete diese Maßnahme als "letztes Mittel". Wenn sich aber nicht zeitnah etwas positiv verändert, dann kommen wir diesem Mittel sicherlich sehr schnell näher.
