Feindbild Fußball-Fan? Forscher rät Politik und Polizei zu mehr Zurückhaltung
Randale bei Hansa Rostock gegen Dresden, Pyro-Proteste und Entgleisungen beim Niedersachsenderby in Hannover: Gehört ein Unsicherheitsgefühl zum Stadionbesuch mittlerweile dazu? Politik und Polizei wollen hart durchgreifen, Fan- und Fußballforscher Harald Lange rät derweil zur Besonnenheit.
"Aufseiten der Politik sollte man das aufgebaute Feindbild gegenüber Fans in weiten Teilen revidieren oder mindestens überdenken", sagt Lange im Gespräch mit dem NDR und adressierte dabei auch explizit Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD). "Man sollte etwas leisere Töne anschlagen, das ganze runterkochen und nicht sofort mit Stadionverboten, Wasserwerfern und Hundertschaften kommen."
"Keine der beiden Seiten, Polizei und aktive Fanszene, ist in der Lage, diesen Konflikt zu deeskalieren." Fan- und Fußballforscher Harald Lange
Behrens ("Bei den organisierten Fanszenen sind bislang leider keine Selbstreflexion und Abkehr von Gewalt und Randale zu erkennen") will härter durchgreifen und ist damit für die eigentlich rivalisierenden Fangruppen aus Hannover und Braunschweig zu einem gemeinsamen Feindbild geworden. Während des jüngsten Derbys hielten 96-Anhänger ein Plakat mit dem Konterfei der Politikerin im Fadenkreuz hoch. Die Polizei ermittelt. Zudem flogen Rauchtöpfe und Tennisbälle aufs Spielfeld und sorgten für Unterbrechungen.
"Die Fans haben die Muskeln spielen lassen und gezeigt, welche Macht, welchen Einfluss aufs Spiel sie haben", erklärt Professor Lange von der Universität Würzburg. "Wenn sich die Fanszene provoziert fühlt, reagiert sie mit noch mehr Provokation."
Innenministerin Behrens nimmt Clubs in die Pflicht
Für den Forscher liegt der Ball eher auf der Seite von Politik und Polizei: "Würde die Polizei ein bisschen defensiver agieren, dann würde man vor allem die Fans ein Stück weit gewinnen, die nur so am Rande stehen und nicht genau wissen, welchem Lager sie sich zugehörig fühlen."
Für Behrens kein probates Mittel, denn ihre Kritik und ihr drastisches Vorgehen richten sich gegen "eine gewaltbereite Minderheit, für die es vor allem darum geht, Randale zu verüben", so die SPD-Politikerin, die sich damit dem Vorwurf der Kollektivstrafe ausgesetzt sieht. Sie möchte auch die Clubs in die Pflicht nehmen, die dieser Gruppe "zu viel Spielraum lässt. Gewalt und Randale gehören niemals zur Fankultur".
Wie sicher ist ein Stadionbesuch?
Und sind doch ein großes Thema im Fußball. Gehört etwa mittlerweile ein Unsicherheitsgefühl zum Stadionbesuch dazu? Eine repräsentative Umfrage der Sport-Marketingagentur "ONE8Y" im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt einmal mehr, dass es keine klare und einfache Antwort gibt.
25 Prozent der befragten Fußball-Interessierten äußerten "große Bedenken", ein sogenanntes Hochrisikospiel zu besuchen. Bei 43 Prozent hat sich diese Bereitschaft nicht verändert. Und fast drei Viertel der Befragten fühlen sich bei einem Stadionbesuch mit Kindern immer noch sehr sicher (22 Prozent) oder eher sicher (47 Prozent).
Daniel Brinkmanns Gefühlslage war unlängst nach dem Dresden-Spiel mit 53 Verletzten eine andere. "Mein Sohn saß über dem Spielertunnel und hat geweint, weil er Angst hatte", sagte der Trainer von Hansa Rostock. "Fußballstadien sind Orte, wo sich die Leute wohlfühlen sollen. Wo man sich auch mal beleidigen kann, aber es darf nicht gefährlich werden. Es war aber gefährlich - und das ist nicht gut."
Eine Lösung, ein Aufeinander zugehen, ist auch mit Blick auf die jüngsten Vorfälle nicht in Sicht. Die Fronten sind verhärtet und "keine der beiden Seiten ist in der Lage, diesen Konflikt zu deeskalieren", sagt Lange. Keine rosigen Aussichten für den Fußball.
