Ocean Race: Herrmanns Traum wird wahr - Malizia gewinnt 3. Etappe
Skipper Boris Herrmann und sein Team Malizia haben beim Ocean Race die Königsetappe von Kapstadt nach Itajai in Brasilien gewonnen. Für den Hamburger hat der Triumph auf dem mit 12.750 Seemeilen historisch längsten Teilstück der wichtigsten Mannschaftsregatta des internationalen Segelsports eine besondere Bedeutung. In der Gesamtwertung verbessert sich die Malizia auf Rang zwei hinter Spitzenreiter Holcim.
Am Ende der strapaziösen Dreiviertelrunde um die Südhalbkugel der Welt hatten die Elemente ein Einsehen. Ließen die Malizia und ihre ebenso euphorische wie erschöpfte Crew bei acht Knoten Windstärke und ruhiger See um 2.20 Uhr Ortszeit nach 34 Tagen, 17 Stunden, 10 Minuten und 28 Sekunden die Ziellinie kreuzen. Das gesamte Team war an Deck und feierte, auch Co-Skipperin Rosalin Kuiper, die eine Woche zuvor in peitschender See aus der Koje geschleudert worden war und sich eine Platzwunde, Prellungen sowie eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Nun tanzte die unverwüstliche Niederländerin dem ersehnten Etappensieg entgegen, bevor sie später an Land medizinisch durchgecheckt wird.
"Wir haben es geschafft! Itajai, wir kommen." Rosalin Kuiper
Trotz nachtschlafener Zeit wurden die Sieger von einer begeisterten Menge empfangen. "Unglaublich, wie viele Leute mitten in der Nacht gekommen sind, es war eine fantastische Zielankunft. Wir sind unheimlich glücklich", sagte Boris Herrmann, dem der Rummel jedoch auch sichtlich zusetzte. Und so wünschte er sich bei der Siegerehrung vor allem einen "Moment absoluter Stille", den er seinem Boot widmete, bevor auf der Bühne die Champagnerkorken knallten.
"Es ist ein unglaubliches Gefühl, ein Traum wird wahr. Wenn ich eine Etappe gewinnen wollte, dann diese. Ich bin so stolz auf das gesamte Team", jubelte Co-Skipper Will Harris. "Wir haben gezeigt, dass wir wirklich stark sind. Jetzt wollen wir sehen, ob wir Holcim - PRB im Kampf um die Spitzenposition herausfordern können." Rund 60 Prozent der Ocean-Race-Punkte sind auf den verbleibenden vier Etappen, die deutlich kürzer sein werden, noch zu haben.
Kuiper gönnte sich einen tiefen Schluck aus der Pulle und stieß vor allem auf ihre Kollegen an: "Wir sind so ein tolles Team. Ich bin froh, an Land zu sein, aber auch traurig, unsere Bubble zu verlassen." Wenn sie einen Wunsch frei hätte, so die 27-Jährige, "dann würde ich direkt wieder aufs Boot gehen und nach Kapstadt zurücksegeln. Es bringt das Beste in mir hervor."
Malizia besteht den Härtetest
Nach 34 Tagen an Bord der Malizia - Seaexplorer hatten Herrmann und Co. am frühen Sonntagmorgen endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Der 41-Jährige erfüllte sich mit dem Sieg auf der schwersten und längsten Prüfung der Weltumsegelung einen Herzenswunsch. Zeigte sich auf der fordernden Reise durchs Südmeer doch, dass der scheinbar gewagte Plan des Skippers aufgegangen ist.
Der mit Blick auf die Vendée Globe 2024 nach Herrmanns Wünschen bewusst robust konstruierte Neubau bestand die Feuerprobe in rauen Bedingungen und stellte eindrucksvoll die erhofft guten Starkwind-Eigenschaften unter Beweis. "Es ist das ideale Boot für die Vendée Globe. Es ist extrem sicher und kommt gut durch die See", bilanzierte der gebürtige Oldenburger.
Herrmann und Co. meistern viele Schwierigkeiten
Zumindest teilweise mithalten konnte da nur der erfahrene Skipper Kevin Escoffier mit Holcim - PRB. Das Schweizer Team, dessen Boot sich als starker Allrounder erweist, hatte die erste Wertung der Königsetappe vor der Malizia gewonnen und verbuchte damit bereits zum dritten Mal die volle Punktzahl. Nach überwundenen Problemen - erst ging ein Vorsegel verloren, das erst in Itajai repariert werden kann, dann musste in einer aufwändigen Reparaturaktion ein langer Riss im Mast geflickt werden, zudem streikte die Lichtmaschine - startete die Malizia eine gelungene Aufholjagd und umrundete als erstes Boot das legendäre Kap Hoorn.
Abschütteln ließ sich Holcim aber nicht. Im Südatlantik duellierte sich das Spitzenduo teilweise in Sichtweite, erst am letzten Tag vor der Ankunft in Brasilien konnte sich das Team Malizia zusehends absetzen. Am Ende betrug der Vorsprung im Ziel knapp 80 Seemeilen auf den Zweiten. Auch, weil der Hamburger mit seinem "4 Wheel Drive"-Boot (Herrmann) von den Ausläufern eines Tiefs profitierte, das den Crews in der Nacht zum Sonnabend noch einmal alles abverlangt hatte.
"This is the final, push!"
Die Sturmfront mit 50 Knoten Windstärke stellte Mensch und Material, beides ohnehin ausgelaugt und arg strapaziert, ein letztes Mal hart auf die Probe, Herrman und Co. verloren ein weiteres Vorsegel. "This is the final, push! Push, push, push", trieb der nunmehr vollbärtige Herrmann sich und seine Crew an, den ersehnten Sieg vor Augen. Schon seit Tagen steckten ihm und Harris zu diesem Zeitpunkt Extra-Schichten in den Knochen. Kuipers Versuche, noch einmal seglerisch einzugreifen, scheiterten. Die Niederländerin benötigte Ruhe und versuchte sich "unter den denkbar schlechtesten Voraussetzungen" (Harris) inmitten der auch nach Kap Hoorn weiterhin aufgewühlten Elemente zu erholen.
"Diese Etappe ist ein bisschen wie ein Märchen, das wahr geworden ist. Weil wir am Anfang sogar überlegt hatten, mit einem großen Riss im Mast aufzugeben. Am Ende hier zu gewinnen, das hätten wir uns nie träumen lassen." Boris Herrmann
Brenzlige Situation bei Holcim
Die Holcim legte sich nach einem Strömungsverlust am Ruder minutenlang auf die Seite, Escoffier und seine Mannschaft kämpften hart darum, die Kontrolle über die Imoca-Yacht wiederzuerlangen. Biotherm wurde von einem nicht identifizierten Objekt im Wasser getroffen, der Aufprall beschädigte ein Foil und den Rumpf, wodurch Wasser eintrat. Das Boot konnte das Rennen aber fortsetzen und wird ebenso wie 11th Hour deutlich nach der Malizia in Itajai erwartet. Das amerikanische Team ist rund 500, Biotherm knapp 650 Seemeilen zurück.
Am 23. April geht es weiter
Guyot environnement - Team Europe als fünftes Team hatte bereits früh nach dem Start wegen eines Rumpfschadens vorsichtig nach Kapstadt zurücksegeln müssen, gab die Etappe auf und überführte das Boot nach gelungener Reparatur auf direktem Weg nach Brasilien. Dort startet die Flotte am 23. April in die vierte Etappe, die über 5.550 Seemeilen nach Newport/USA führt. Herrmann wird dann wohl nicht an Bord sein. Er hat einen Heimataufenthalt geplant. Kuiper dagegen brennt auf die nächste Herausforderung und ist zuversichtlich, bis zum Start wieder ganz genesen zu sein.