Flicks WM-Kader im Datencheck - eine überraschende Top-Elf
Das deutsche Aufgebot für die Fußball-WM in Katar umfasst 26 Spieler. Wen sollte Bundestrainer Hansi Flick spielen lassen und welche Asse hat er im Ärmel? Der Datencheck offenbart eine überraschende Top-Elf.
Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Thomas Müller oder Jamal Musiala - nicht zuletzt der insgesamt sieben Spieler starke Block vom FC Bayern war bei der Nominierung gesetzt. Ebenso Spieler wie Antonio Rüdiger von Real Madrid oder Manchester Citys Ilkay Gündogan.
Flick präsentierte am Donnerstag aber auch einige Spieler, die bisher gar nicht oder kaum über Nationalmannschaftserfahrung verfügen: zum Beispiel Armel Bella Kotchap (Southampton), Youssoufa Moukoko (Dortmund), Christian Günter (Freiburg) und Niclas Füllkrug (Bremen).
Fest steht, dass der Kader viele Facetten hat - und viel Qualität. Die Daten zeigen: Gleich zwölf Spieler im Aufgebot verkörpern nach ihrem aktuellen GSN-Index Weltklasse, 13 weitere Spieler haben internationale Klasse.
Die Daten werfen aber auch die Frage auf, ob das Aufgebot wirklich gut zusammengestellt worden ist. Auf den Außenverteidiger-Positionen, wo die Auswahl ohnehin eingegrenzt ist, fällt die Klasse deutlich ab. Neben Stärken gibt es also auch Schwächen - die womöglich mit der Nominierung anderer Spieler hätten aufgefangen werden können.
Seit der WM 2018 ist viel passiert
Zehn Spieler stehen im Flick'schen Kader, die vor eineinhalb Jahren bei der EM noch nicht dabei waren. Im Vergleich zur WM 2018 sind es sogar 15 neue Spieler, wobei unter den elf Spielern, die wieder dabei sind, alle drei Torhüter sind. Die deutsche Nationalmannschaft als Ganzes hat sich in den vergangenen Jahren also sehr verändert.
Weil nach dem Ende der Bundesliga-Hinrunde am Sonntag und vor dem ersten WM-Spiel in Katar am 23. November gegen Japan nicht viel Zeit liegt, ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass der Bundestrainer vor allem auf Bewährtes setzt.
Neben Torhüter Neuer, dem Bundestorwarttrainer Andreas Kronenberg schon vorab eine Stammplatzgarantie gegeben hat ("Es gab keine Überlegung, einen offenen Zweikampf auszurufen"), dürfte in der Stammelf fast der gesamte Bayern-Block stehen. Einzig dem zuletzt angeschlagenen Thomas Müller würde zunächst die Rolle als Joker bleiben.
Prominentestes Opfer des Bayern-Blocks wäre Gündogan
Das Zentrum mit Kimmich und Leon Goretzka ist genauso eingespielt wie die Dreierreihe davor mit Serge Gnabry, Musiala und Leroy Sané - und das auf höchstem Level. Die Leistung stimmt sowohl in der Bundesliga als auch in der Champions League. Laut Performance-Score gehören alle Fünf zur besten Elf.
Kimmich (71,32), Goretzka (67,58), Musiala (70,83), Sané (69,58) und Gnabry (65,09) setzen auf ihren Positionen Maßstäbe. Und auch wenn Gündogan mit seinem GSN-Index von 88,11 eigentlich in der Startelf stehen müsste, hat Flick angesichts der Münchner Performance gute Gründe, den gebürtigen Gelsenkirchener zunächst draußen zu lassen. Sechs Startelfplätze wären damit bereits vergeben.
Mittelstürmer: Beste Chancen für Havertz
Über keine Position ist den vergangenen Wochen und Monaten so diskutiert worden wie über die des Mittelstürmers. Kein Wunder: Hat Deutschland in der Vergangenheit auf internationaler Ebene geglänzt, dann immer auch mit oder dank (mindestens) eines Weltklassestürmers. Und ein solcher wird seit einigen Jahren schmerzlich vermisst.
Nach den Verletzungen von Timo Werner und Lukas Nmecha war Flicks Auswahl zusätzlich überschaubarer. Mit Füllkrug, Karem Adeyemi und Moukoko nominierte der Bundestrainer drei auf internationaler Ebene weitgehend unbeschriebene Blätter.
Füllkrug bringt Körperlichkeit und Wucht mit, die sonst im Kader fehlen. Moukoko gilt als Jahrhundertalent. Der 17-Jährige ist dribbelstark, wendig und technisch versiert. Er bringt alles mit, um ein Weltklassestürmer zu werden. Mit seinen spektakulären Toren im BVB-Trikot hat der gebürtige Kameruner zuletzt genau zur rechten Zeit auf sich aufmerksam gemacht. Sein Dortmunder Teamkollege Adeyemi besticht mit einem extremen Tempo.
Doch das Trio eint, dass es eben neu im Team ist. Ihre Zeit dürfte im Turnier kommen - wenn je nach Spielverlauf ihre Qualitäten gebraucht werden. Doch wie schon zuletzt dürfte Flick im Sturmzentrum Kai Havertz vom FC Chelsea vertrauen. Auch wenn der 23-Jährige eigentlich ein geborener Spielmacher ist. Nach Neuer (94,03) und Sané (91,35) weist der GSN-Index Havertz (91,28) als den drittbesten deutschen Spieler aus.
Baustelle Abwehr - Viererkette wackelt
Ebenfalls ein Dauerthema ist die Besetzung der Viererkette. Das letzte Pflichtspiel ohne Gegentor war das 9:0 in der WM-Qualifikation gegen Liechtenstein vor genau einem Jahr. Gegen eine Nation, die nun auch in Katar dabei ist, ist Deutschland letztmals am 6. September 2018 ohne Gegentreffer geblieben - beim 0:0 in der Nations League gegen Frankreich.
Nicht von ungefähr hat der Bundestrainer in der Abwehr in dieser Nations-League-Saison stets durchgewechselt. Ein neuer Verteidiger stand im Vergleich zum vorangegangenen Spieltag immer in der Startformation. Meist waren es zwei oder drei Neue. Überzeugt hat Flick also offenbar noch keine Besetzung.
Für die drei in der Innenverteidung eingesetzten Antonio Rüdiger (GSN-Index 87,84), Nico Schlotterbeck (78,88) und Niklas Süle (85,44) gibt es eigentlich nur zwei Positionen. Wobei für Schlotterbeck spricht, dass er der einzige Linksfuß ist.
Wohl ein positionsfremder Spieler rechts hinten
Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass alle Drei Platz in Flicks 4-5-1 oder 4-2-3-1 finden. Denn Süle dürfte als Rechtsverteidiger erste Wahl sein - so wie zuletzt auch schon einige Male in Dortmund.
Leipzigs Lukas Klostermann ist der einzige nominelle Rechtsverteidiger im Kader - und laut GSN-Index (70,74) der zweitschwächste Spieler im Kader. Auch Jonas Hofmann (74,18) hat schon gezeigt, dass er rechts hinten spielen kann. Anders als Süle hat der Gladbacher auf der Position jedoch keine Routine. Interessanterweise hat Flick sich gegen den - vom Papier her - stärksten deutschen Rechtsverteidiger entschieden: Der Wolfsburger Ridle Baku (82,02) hat keine Einladung bekommen.
David Raum "extrem gehyped", aber "generell überschätzt"
Das gilt auch für Italien-Legionär Robin Gosens (84,43/Inter Mailand) auf der anderen Seite. Flick hat den bei ihm anscheinend gesetzten David Raum (71,61/Leipzig) sowie Christian Günter (68,24/Freiburg) gewählt.
Raum tritt starke Standards und so mancher sagt, er schlage die besten Flanken Deutschlands. Allerdings hat der Senkrechtstarter der vergangenen Jahre nach wie vor Schwächen in der Defensive. Laut GSN wurde Raum "extrem gehyped, wird aber generell überschätzt". Hinzu kommt, dass Raum keine besonders gute Saison spielt, wie der Performance-Score zeigt.
Raum kommt bei 23 Spielen in dieser Saison in allen Wettbewerben auf 1.783 Minuten. Seine Performance wird mit 56,61 Punkten bewertet. Zum Vergleich: Gosens, der in Mailand ein schwieriges Jahr hat, und bei seinen 18 Einsätzen lediglich 837 Minuten spielte, kommt bei seiner Performance auf 58,35.
Für welche Aufstellung entscheidet sich Flick?
Am Ende steht eine wahrscheinliche Startelf für die Partie gegen Japan. Sie zeigt die nach GSN-Index besten Spieler im Kader, die Flick nominiert hat.
Nach aktuellem GSN-Index: Neuer (94,03) - Süle (85,44), Rüdiger (87,84), Schlotterbeck (78,88), Raum (71,61) - Kimmich (90,07), Goretzka (87,92) - Gnabry (88,91), Musiala (86,52), Sané (91,35) - Havertz (91,28).
Gleich vier Wechsel würde es allerdings geben, wenn der Bundestrainer nur nach Leistung in dieser Saison aufstellen würde - also nach dem Performance-Score. Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona, die Freiburger Günter und Matthias Ginter sowie Werders Füllkrug würden reinrücken. Doch es wäre schon eine große Überraschung, wenn überhaupt einer von ihnen im ersten Gruppenspiel von Beginn an auf dem Platz stehen würde.
Nach Performance-Score: ter Stegen (62,34) - Süle (63,59), Ginter (65,08), Rüdiger (63,60), Günter (61,10) - Kimmich (71,32), Goretzka (67,58) - Gnabry (65,09), Musiala (70,83), Sané (69,58) - Füllkrug (62,35)