Tugba Tekkal © picture alliance/dpa | Federico Gambarini

Ex-Fußballerin Tekkal zu Katar: Eine WM auf dem Rücken von Toten

Stand: 14.11.2022 10:19 Uhr

Neun Jahre lang spielte Tuğba Tekkal in der Bundesliga der Frauen, unter anderem für den HSV. Heute engagiert sich die 37-Jährige für Menschenrechte, insbesondere für die Rechte von Mädchen und Frauen. Im NDR Interview erklärt sie, warum die Fußball-WM in Katar ein Fehler ist und was sie von Spielern und DFB erwartet.

Tuğba Tekkal, mit welchem Gefühl blicken Sie auf die WM in Katar?

Tuğba Tekkal: Mit sehr gemischten Gefühlen. Weil ich auf der einen Seite den Fußballsport sehr liebe und er mir auch sehr viel gebracht hat in meinem Leben. Auf der anderen Seite reden wir hier über eine Weltmeisterschaft, die in einem Land stattfindet, das Menschenrechte nicht als höchste Priorität hat. Und unter was für Bedinungen diese Weltmeisterschaft in dieses Land gekommen ist, ist nicht vereinbar mit dem, wie ich mir das vorstelle.

Sie haben die WM-Vergabe in dieses Land schon früh kritisiert...

Tekkal: Es geht vor allem um die Stadien, die auf dem Rücken von Toten, von Arbeitsmigrantinnen gebaut worden sind. Es geht darum, dass diese Arbeitsmigrantinnen keine wirklichen Rechte haben. Es geht darum, dass sie keine Stellen haben, wo sie sich melden können, wenn ihnen Unrecht widerfährt. Es geht darum, dass sie zu acht, zu neunt oder zehnt in einem sehr kleinen Raum zusammenwohnen. Es sind die ganz offensichtlichen Dinge Menschenrechtsverletzungen vor Ort, die mich umtreiben.

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Die WM wird trotz aller Kritik ausgetragen. Kämpfen Sie gegen Windmühlen?

Tekkal: Es fühlt sich auf jeden Fall sehr anstrengend an. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir so kurz vor der WM viel zu spät darüber sprechen, was da alles schiefgelaufen ist. Warum es eigentlich nicht stattfinden sollte in diesem Land. Ich glaube, diese Frage hätten wir uns schon vor zehn, zwölf Jahren stellen müssen, wenn nicht sogar noch früher. Es beginnt mit der Vergabe und mit einem Verband, der vorher wusste, was da passiert und das alles in Kauf genommen hat.

Jetzt sagt ja auch ein Sepp Blatter, es war ein Fehler, diese Weltmeisterschaft nach Katar zu geben. Dasselbe hatten wir 2018 in Russland und bei den Olympischen Spielen in China. Es braucht mehr, als hinterher Fehler zuzugeben. Es muss bei der Vergabe schon geguckt werden, wie das Austragungsland zu unseren Werten steht. Das ist mir persönlich wichtig.

Wie sehen Sie die Rolle des DFB bei dieser WM?

Tekkal: Die Rolle des DFB ist in allererster Linie Haltung zu zeigen. Ich wünsche mir natürlich Haltung von Spielern und wünsche mir, dass sie lauter sind. Aber sie ordnen sich ja am Ende auch nur unter. Ich kann junge Spieler schon verstehen, dass sie Ängste haben und nicht so richtig wissen, darf ich mich äußern, wie kann ich mich äußern? Da würde ich mir vom DFB eine Vorbildfunktion wünschen. Dass sie vorangehen und eine Richtung vorgeben. Im Moment sind sie mir viel zu leise und das muss man anprangern. Wer schweigt, stimmt zu.

Es gibt auf Sportlerseite diese Zerrissenheit zwischen sportlichem Reiz und Moral. Das müssten Sie als ehemalige Fußballerin ja eigentlich besonders gut verstehen?

Tekkal: Das kann ich absolut nachvollziehen. Und deswegen brauchen junge Spieler eben ein Vorbild. Wie vom DFB: Das ist unsere Haltung und das können die Spieler mittragen. Und dennoch ist jeder Spieler selbst verantwortlich. Ich sage nicht, dass sie die WM boykottieren sollen und nicht hinfahren - das kann ich von einem jungen Spieler nicht erwarten. Was ich mir aber wünsche: aufzustehen und Haltung zu zeigen, wenn es schon der Verband nicht macht.

Das ist natürlich ein schmaler Grat…

Tekkal: Absolut. Aber man kann auch eigenverantwortlich eine Rolle spielen. Die Dänen und die Australier fahren zum Beispiel hin und haben trotzdem Flagge gezeigt. Für mich bedeutet Boykott auch nicht, dass wir nicht darüber reden. Für mich bedeutet Boykott, dass wir Dinge ansprechen, dass wir über Unrecht sprechen, dass wir laut sind und in Dialoge gehen. Ich sehe es nie schwarz oder weiß. Und das kann man bei diesem komplexen Thema eben auch nicht.

Gibt es auch etwas, das Sie hoffnungsfroh stimmt bei dieser WM?

Tekkal: Es fällt mir schwer, weil ich mich sehr damit auseinandergesetzt habe. Natürlich gibt es diese Reform-Anstrengungen. Und Katar ist auch nicht nur eine Stimme. Viele junge Menschen freuen sich auf diese WM, weil sie glauben, dass so die Reformen besser durchgeführt werden können, weil die ganze Welt auf sie schaut. Weil sie das als Möglichkeit und als Chancen sehen, das Land zu verändern.

Dennoch möchte ich sagen: Es ist ja Vorgabe, dass jedes Ausrichterland eine Frauen-Nationalmannschaft hat. Die gab es auch kurz vor der Vergabe und eineinhalb Jahre später existiert diese Mannschaft nur noch auf dem Papier. Ich befürchte, dass es mit den Reformen ähnlich ist. Mir ist wichtig, dass wir auch nach der WM schauen, was dort passiert. Auch mit den queeren Kataris vor Ort. Warum machen wir uns erst Sorgen, wenn queere Europäer nach Katar reisen? Da würde ich mir mehr Einmischung wünschen - von Verbänden und der Politik.

Die queere Gemeinschaft macht sich ganz konkret Sorgen, dorthin zu reisen und möglicherweise verhaftet zu werden...

Tekkal: Diese Befürchtung ist da. Deswegen können wir nicht davon ausgehen, dass diese WM ein friedliches und schönes Sportereignis wird. Wir müssen damit rechnen, dass queere Fans verhaftet werden könnten, wenn sie sich öffentlich küssen.

Wie werden Sie persönlich mit der WM umgehen? Werden Sie die Spiele gucken?

Tekkal: Nein. Ich habe ein sehr gutes Gefühl in mir von der vergangenen EM der Frauen - darüber habe ich mich sehr gefreut. Aber ich freue mich überhaupt nicht auf diese Weltmeisterschaft. Da ist mein Menschenrechtsherz einfach größer. So sehr mein Fußballerinnen-Herz auch darunter leidet.

Das Interview führten Elli Hyra und Tom Gerntke

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 13.11.2022 | 22:50 Uhr

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