Analyse: Wolfsburg empfängt Bayern zum Topspiel - droht die Wachablösung?
Müssen die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg im Kampf um die deutsche Meisterschaft erneut Bayern München den Vortritt lassen? Die Datenanalyse vor dem direkten Duell zeigt, warum die VfL-Frauen in diesem Jahr erstmals seit 2012 ohne Titel bleiben könnten.
Die 1:2-Niederlage bei der TSG Hoffenheim am vergangenen Wochenende war ein herber Rückschlag für die Mannschaft von Trainer Tommy Stroot. Vor dem Topspiel gegen die Bayern heute (17.45 Uhr/live im Ersten und im NDR Livecenter) haben die Wolfsburgerinnen vier Punkte Rückstand auf den Tabellenführer und damit die achte Bundesliga-Meisterschaft, die sie zum alleinigen Rekordhalter machen würde, nicht mehr selbst in der Hand.
"Wir haben großen Respekt vor dem VfL Wolfsburg, der enorme Verdienste um den deutschen Frauenfußball hat, aber wir sind auf einem guten Weg, dass es hier zu einer Wachablösung kommt." Bayern-Präsident Herbert Hainer
Wie einst Uli Hoeneß (bei den Männern) teilte Bayern-Präsident Herbert Hainer nun im "kicker" vor dem Frauen-Topspiel forsch aus: "Wir haben großen Respekt vor dem VfL Wolfsburg, der enorme Verdienste um den deutschen Frauenfußball hat, aber wir sind auf einem guten Weg, dass es hier zu einer Wachablösung kommt." Auch wenn der 69-Jährige seine Worte deutlich zurückhaltender als früher Hoeneß wählte, dürfte die Ansage doch angekommen sein: Das "Mia san mia" soll künftig auch im Frauenfußball gelten.
Saison von Beginn an unter keinem guten Stern
In den vergangenen zwölf Jahren hat Wolfsburg der Branche seinen Stempel aufgedrückt. Nicht zuletzt weil der Werksclub es deutlich ernster meinte mit den Frauen als alle anderen. München konnte in Sachen Meisterschaft immer mal wieder dazwischenfunken, aber die "Wölfinnen" gewannen seit 2013 durchgehend den DFB-Pokal und zeigten auf europäischer Ebene deutlich, wer die deutsche Nummer eins ist.
In dieser Saison ist das allerdings anders. Anfang Juni noch im Finale der Champions League, flogen Kapitänin Alexandra Popp und ihre Mitspielerinnen Mitte Oktober schon in der Qualifikationsrunde raus. Und diesen Makel ist die Saison bis jetzt nicht mehr losgeworden.
Im Vergleich zum selben Zeitpunkt der vergangenen Runde hat der VfL nicht nur vier Punkte weniger, sondern in den 16 Partien auch satte sieben Tore weniger geschossen und gleichzeitig drei mehr kassiert.
Elf VfL-Spielerinnen schlechter als in vergangener Saison
Ein Blick in die Daten von Global Soccer Network (GSN) zeigt, dass das kein Zufall ist. Torhüterin Merle Frohms, die Verteidigerinnen Marina Hegering, Kathrin Hendrich, Nuria Rábano, Joelle Wedemeyer und Lynn Wilms, dazu die offensiveren Svenja Huth, Lena Oberdorf, Sveindis Jónsdóttir, Fenna Kalma und auch Anführerin Popp spielen schlechter als im Vorjahr. Das zeigt der sogenannte "Performance-Score".
Einzig Abwehrchefin Dominique Janssen, die bereits ihren Abschied zum Saisonende angekündigt hat, sowie die Stürmerinnen Ewa Pajor, Jule Brand und Shootingstar Vivien Endemann haben sich steigern können. Viel zu wenig, um die immer selbstbewusster auftretenden Münchnerinnen in Schach zu halten. Schon das Hinspiel gewann Bayern mit 2:1.
Bayern klotzt auf dem Transfermarkt
VfL-Manager Ralf Kellermann glänzt weiter damit, aufstrebende Talente aus der Bundesliga an den Mittellandkanal zu lotsen. So hat zuletzt Freiburgs Nationalspielerin Janina Minge in Wolfsburg unterschrieben. Auf der anderen Seite wechselt mit Lena Oberdorf ausgerechnet die deutsche Spielerin, der in den kommenden Jahren die größte Entwicklung zugetraut wird, aber zum FC Bayern.
Schon zu dieser Saison hatten die Münchnerinnen den einen oder anderen Coup auf dem Transfermarkt gelandet - und gezeigt, dass Geld für Investitionen ins Personal da ist. Besonders die Verpflichtung von Pernille Harder und Magdalena Eriksson hatte für Aufsehen gesorgt. Zur Rückrunde legte der FCB mit Erikssons Nationalmannschaftskollegin Linda Sembrant noch einmal nach.
Wolfsburg ist die Dominanz abhanden gekommen
Gegen Hoffenheim, immerhin Tabellendritter, aber zehn Tage zuvor im Pokal noch 3:0 besiegt, verpassten es die Wolfsburgerinnen, Selbstvertrauen für das Spiel gegen die Bayern zu sammeln. Waren es im Saisonverlauf zuvor eher Ballverluste in der eigenen Hälfte, die für Gefahr sorgten, ließ sich die Stroot-Elf nun in Hoffenheim phasenweise regelrecht hinten reindrängen.
Den VfL-Frauen ist die Dominanz abhanden gekommen - was vor allem daran liegt, dass sie im Vergleich zur Meistersaison 2021/2022 im Schnitt fast ein Tor weniger pro Spiel schießen. Und die aktuelle Spielzeit ist auch deutlich schlechter als die vergangene.
Besonders das VfL-Mittelfeld hat deutlich abgebaut
Das wird besonders am Mittelfeld deutlich: 9,45 Torschüsse gaben die Wolfsburger Mittelfeldspielerinnen in der vergangenen Saison pro Partie ab. Jetzt sind es nur noch 5,0. 14,36 Dribblings stehen nur noch 6,33 und 10,5 abgefangenen Pässen bloß 6,0 gegenüber.
Und auch als Team insgesamt gibt es einiges, was schlechter läuft. Die Mannschaft presst deutlich seltener hoch (12,33 Aktionen pro 90 Minuten zu 19,59). Oberdorf und Co. müssen deutlich mehr Aufwand betreiben, weil das Passspiel nach vorne, in die gefährlichen Zonen und überhaupt in der gegnerischen Hälfte deutlich schlechter geworden ist.
Womöglich ist auch das ein Grund dafür, dass die Chancenverwertung in dieser Saison zu wünschen übrig lässt. Von den vier Liga-Partien, die die "Wölfinnen" nicht gewonnen haben, waren drei eigentlich unnötig. Nur bei der Hinspiel-Niederlage in München war der VfL mit 0,60 zu 2,10 "Expected Goals" die schlechtere Mannschaft. Beim 2:2 gegen Hoffenheim (2,5 zu 0,9), der 1:2-Niederlage bei der TSG (2,5 zu 1,1) und besonders beim 1:1 in Leverkusen (2,3 zu 0,5) hatte Stroots Team die deutlich besseren Chancen.
Mehr als 20.000 Karten fürs Topspiel verkauft
Nun also das Heimspiel gegen die Bayern - das in der großen Wolfsburger Arena stattfindet und für das schon über 20.000 Karten verkauft worden sind. Zu Hause haben die Niedersächsinnen gegen den FCB die jüngsten drei Duelle allesamt gewonnen. Und es braucht schon einen weiteren Sieg, damit wieder Spannung aufkommt im Duell um die Meisterschaft.
Nachdem die Müncherinnen in der Gruppenphase der Champions League auch schon ausgeschieden sind, machen sie sich wie Wolfsburg noch Hoffnungen auf den DFB-Pokal. Die Auslosung macht ein direktes Duell erst im Endspiel möglich - Wolfsburg spielt am 30. März gegen Essen, München einen Tag später gegen Hoffenheim.
Und der FCB-Präsident spricht bereits vom ersten Double der Vereinsgeschichte. Wie einst Hoeneß dürfte auch Hainer die Gegnerinnen mit seinen Worten reizen und herausfordern. Geben die Wolfsburgerinnen die Antwort auf dem Platz?
Sie haben zumindest die Möglichkeit, mit einem Sieg im Bundesliga-Topspiel das Gerede von der Wachablösung (zumindest erst einmal) verstummen zu lassen.