
Analyse zu den VfL-Frauen: Erwartungen ändern, Investitionen tätigen
Das Aus der Wolfsburgerinnen im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Barcelona ist keine Überraschung. Eklatant war aber der überaus deutliche Klassenunterschied in Hin- und Rückspiel. Der renommierte und lange so erfolgreiche Club droht abgehängt zu werden - und das, obwohl sich die Verantwortlichen nicht viel vorzuwerfen haben.
Es sah alles so leicht aus im kleinen Estadi Johan Cruyff im Osten Barcelonas: die perfekt reingezirkelten Freistöße von Claudia Pina und Maria Leon, die lockeren Abschlüsse von Salma Paralluelo und auch das zwischenzeitliche 3:0 von Außenverteidigerin Esmee Brugts. Die 21-jährige Niederländerin, inzwischen über den Status des Mega-Talents hinaus, machte bereits als Spielerin der PSV Eindhoven auf sich aufmerksam und rückte spätestens bei der WM 2023 ins Blickfeld etlicher Topvereine.
Auch der VfL Wolfsburg soll an Brugts interessiert gewesen sein, die jedoch entschied sich für einen Wechsel nach Barcelona. Zu einem Weltverein, in die spanische Küstenstadt mit einem großen Angebot an Nightlife und Kultur und auch mehr Sonne als in Ostniedersachsen.
Barcelona und andere Topclubs ziehen davon
Wenn ein Verein wie "Barca" Ernst macht im Frauenfußball, können nur noch wenige mithalten. Die Katalanen professionalisierten ihre Frauenfußballabteilung erst 2015 und wurden mit den Mitteln und der Reputation schnell zu einer der ersten Adressen in Europa. Wenn Barcelona mitbietet, dürfte VfL-Direktor Ralf Kellermann manchmal gar nicht dazu kommen, dem Berater oder geschweige denn der Spielerin selbst das Wolfsburger Angebot ausführlich zu erläutern. Auch die großen englischen Clubs wie Chelsea und Arsenal spielen durch die Popularität ihrer Männerteams, die finanziellen Mittel und die Trainingsbedingungen in einer anderen Liga, zudem lockt die Millionenmetropole London.
Selbst wenn Wolfsburg mit Unterstützung seines Eigners mit großen Gagen locken würde, bliebe es bei vielen Spielerinnen dennoch chancenlos. Wer sich die Kader der europäischen Topvereine gespickt mit internationalen Stars anschaut, wird schnell feststellen: Der Viertelfinaleinzug des VfL Wolfsburg in der Champions League war definitiv ein Erfolg.
Große Enttäuschung im DFB-Pokal
Das Aus in der Runde der letzten Acht im DFB-Pokal gegen Hoffenheim dürfte bislang als größte Enttäuschung der Saison einsortiert werden. Zehnmal in Folge hatten die Wolfsburgerinnen den Pokal gewonnen, die Chance auf einen erneuten Titel mussten sie nun früh abschreiben. Der Auftritt bei der TSG ohne Wucht und ohne Ideen, kaum Torchancen spielte sich das Team heraus und Trainer Stroot verzichtete auf Toptorschützin Lineth Beerensteyn in der Startelf. Eine Entscheidung, die man kritisieren kann, eine von dutzenden über Personal und Taktik, die Journalisten analysieren und über die Fans schimpfen. Große, grundsätzliche Fehler kann man dem Trainer nicht vorwerfen.
Geringe Chancen auf den Meistertitel
In der Liga liegt sein Team sechs Punkte hinter Bayern München und punktgleich mit Eintracht Frankfurt auf Rang drei. Punkte verschenkt wurden unter anderem beim torlosen Unentschieden bei den Drittletzten aus Köln. 22 Torschüsse, vier Aluminiumtreffer, selbst gegen ein eigentlich so gegentoranfälliges Team ist mehr Präzision gefragt. Etliche Spielerinnen erreichen aktuell nicht die Leistungsstärke früherer Spielzeiten.
Automatisch abschreiben sollte man die Wolfsburgerinnen im Titelkampf übrigens nicht: Immer wieder kam das Team nach Rückschlägen zurück, zuletzt, als kurz nach dem Pokal-Aus Eintracht Frankfurt deutlich und eindrucksvoll besiegt wurde. Allerdings ist der VfL nun auf Ausrutscher der Münchnerinnen in den nur noch vier verbleibenden Partien angewiesen. Die erste titellose Saison seit 2012 scheint realistisch.
Vor dieser Spielzeit hatten mit Lena Oberdorf, Ewa Pajor und Dominique Janssen drei Weltklassespielerinnen den Verein verlassen. VfL-Direktor Kellermann hat die Lücken so gut wie möglich geschlossen. Nationalspielerin Janina Minge und Stürmerin Beerensteyn sind Toptransfers. Innenverteidigerin Caitlin Dijkstra war lange verletzt und spielt nicht fehlerfrei, ihre Fähigkeiten aber sind deutlich zu erkennen.
Umbruch im Sommer steht bevor
Bald wird ein größerer Umbruch folgen: Die Abgänge von der inzwischen zur Ersatztorhüterin zurückgestuften Merle Frohms sowie der Angreiferinnen Jule Brand und Sveindis Jonsdottir zum Saisonende stehen bereits fest. Nach NDR Informationen werden auch die Verteidigerinnen Lynn Wilms und Kathrin Hendrich den Club verlassen. Rebecca Blomqvist könnte ebenso gehen, dazu Marina Hegering ihre aktive Karriere im Sommer beenden.
Mit der australischen Außenstürmerin Sharn Freier und Torhüterin Stina Johannes aus Frankfurt wurden bislang erst zwei Neuzugänge verkündet. Man kann aber davon ausgehen, dass Kellermann längst an weiteren Verpflichtungen arbeitet, für den VfL und den Wolfsburger Weg wirbt: Junge Spielerinnen können am Mittellandkanal den nächsten großen Schritt machen, sich ins Rampenlicht spielen - und dann weiterziehen.
Popp: Titel "kein Selbstläufer"
Der VfL hat die Champions League 2013 und 2014 gewonnen, noch vor zwei Jahren stand das Team im Endspiel und verlor gegen den FC Barcelona. Knapp war es damals, ganz anders als beim Viertelfinal-Aus in diesem Jahr. "Gab es einen Klassenunterschied? Ja, vielleicht sogar zwei!", schrieb Alexandra Popp nach dem 1:6 im Rückspiel bei Instagram. "Es ist leider gerade die Realität. Wir sind zur Zeit nicht gut genug, das müssen wir endlich ALLE kapieren."
Bereits vor der Partie hatte die Kapitänin darauf hingewiesen, dass Titelgewinne mit dem VfL kein Selbstläufer seien, dies müsse auch das Umfeld begreifen. In der Tat: Einerseits müssen in Wolfsburg Erwartungen verändert, andererseits Investionen getätigt werden - damit der Club sich so gut wie möglich im Wettbewerb behaupten kann.