Reizdarmsyndrom: Wenn die Diagnose nicht eindeutig ist

Stand: 17.07.2024 10:00 Uhr

Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine funktionelle Störung zwischen vegetativem Nervensystem und der Darmmuskulatur. Die Diagnose "Reizdarm" wird aber laut Expertinnen und Experten häufig vorschnell gestellt.

"Reizdarm" ist unter den Magen-Darm-Erkrankungen die am häufigsten gestellte Diagnose. Frauen sind davon doppelt so oft betroffen wie Männer. Die Symptome reichen von Übelkeit, Bauchschmerzen, Blähungen, Druck- und Völlegefühl bis zu Durchfall oder Verstopfung. Ein bestimmter Auslöser für die Verdauungsbeschwerden wird in den meisten Fällen nicht gefunden. Doch nicht selten würden Betroffene nicht systematisch auf andere Krankheiten untersucht und vorschnell mit der Diagnose Reizdarm konfrontiert und allein gelassen, kritisieren Expertinnen und Experten. Tatsächlich fände sich bei vielen Menschen mit entsprechenden Beschwerden eine behandelbare Ursache wie zum Beispiel eine Allergie.

Ursachen für RDS

Liegt eine Reizdarmsyndrom vor, kann dies die Lebensqualität stark einschränken. Manchen Menschen schlägt Stress im wahrsten Sinne auf den Magen und den Darm. Die Darmnerven geraten bei ihnen in eine Art Dauererregungszustand, kommen mit der Regulierung der Darmbewegungen durcheinander und melden dem Gehirn: "Schmerz!"

Mitverantwortlich kann eine gestörte Darmflora sein: Antibiotika oder schwere Magen-Darm-Infekte bringen die natürliche Mischung der nützlichen Bakterien im Darm durcheinander. Nach einer Salmonelleninfektion beispielsweise ist deshalb das RDS-Risiko um das Achtfache erhöht, aber auch andere Darmkeime wie Yersinien, Campylobacter oder EHEC können die Beschwerden auslösen. Ist die Darmflora über längere Zeit geschädigt (sogenannte Dysbiose), kann sich zudem die Darmschleimhaut verändern. Sie bekommt (sehr vereinfacht gesprochen) quasi "Löcher", wird also leichter durchlässig für Giftstoffe und Krankheitserreger. Als Folge findet man bei einigen RDS-Betroffenen mehr Abwehrzellen und deren entzündungsfördernde Botenstoffe im Darm - was wiederum die Darmnerven reizt.

Ausschluss anderer Krankheiten mit ähnlichen Symptomen

Bis die Diagnose RDS gestellt wird, ist es oft ein langer Weg. Zunächst müssen andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden - etwa wiederkehrende Infekte, Nahrungsmittelunverträglichkeiten (etwa Fruktose-Intoleranz, andere oder multiple Intoleranzen), Zöliakie, Nahrungsmittel-Allergien, Fehlbesiedlungen des Darms durch Bakterien, Viren oder Pilze, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa oder auch Tumore im Darm oder an den Eierstöcken.

Mehrere Untersuchungen sollten erfolgen: Magen- und Darmspiegelung, Ultraschall des Bauches, eine Blutuntersuchung mit Blutbild, Leberenzymen, Salzen, Schilddrüsen- und Nierenwerten. Mit einer Stuhluntersuchung lässt sich Parasitenbefall ausschließen. Mit Atemtests können Unverträglichkeiten gegen bestimmte Zuckerarten nachgewiesen werden.

Ergibt sich bei allen Untersuchungen kein Befund - können andere Erkrankungen also ausgeschlossen werden -, und treten mindestens über zwölf Wochen innerhalb eines Jahres Darmstörungen mit den beschriebenen Symptomen auf, dann lautet die Diagnose: Reizdarmsyndrom.

Behandlung des Reizdarms: keine Standard-Therapie

Da das RDS sich individuell sehr unterschiedlich äußert, gibt es nicht die eine allgemeingültige Therapie, die in jedem Fall hilft. Stattdessen ist ein sogenanntes multimodales Behandlungskonzept empfehlenswert: Nach der aktuellen medizinischen Behandlungsrichtlinie (S3) sollten Ernährungstherapie und weitere Heilverfahren etwa zur Stressreduktion individuell kombiniert werden, gegebenenfalls auch Medikamente.

Reizdarm-Therapie mit FODMAP-Ernährung

Nach australischen Studien kann eine spezielle Diät den gereizten Darm sehr effektiv beruhigen. Die sogenannte FODMAP-reduzierte Ernährung bringt jedoch einige drastische Einschränkungen mit sich: Betroffene verzichten dabei ein paar Wochen lang komplett auf alle potenziell reizenden Kohlenhydrate und spezielle Arten von Zucker. Wer das konsequent betreibt, kann seine Darmbeschwerden häufig in den Griff bekommen. Allerdings sollte eine FODMAP-reduzierte Diät niemals ohne ärztlichen Rat und klare Diagnose ausprobiert werden, denn sie kann die Beschwerden, zum Beispiel bei einer Allergie, auch verschlimmern. Um eine Mangelernährung zu vermeiden beziehungsweise auszugleichen, sollte die Low-FODMAP-Diät immer nur unter ernährungsmedizinischer/-therapeutischer Begleitung durchgeführt werden.

Was sind FODMAPs?

FODMAP ist die englische Abkürzung für
Fermentierbare
Oligosaccharide,
Disaccharide,
Monosaccharide
And (und)
Polyole.
Gemeint sind damit schnell vergärende Kohlenhydrate, wie sie etwa in Süßigkeiten, Brot, Steinobst oder Kohl stecken. Die Polyole (Zuckeralkohole) finden sich in vielerlei industriell hergestellten Produkten als Süßungs- oder Feuchthaltemittel.

Während der FODMAP-reduzierten Diät lassen RDS-Beschwerden wie Schmerzen, Blähungen und Durchfall oftmals rasch nach oder verschwinden sogar ganz. Wichtig ist, die FODMAP-haltigen Nahrungsmittel nach der Auslassphase schrittweise wieder einzuführen, damit keine Mangelerscheinungen auftreten, und im Ernährungstagebuch dabei festzuhalten, welche Symptome nun nach dem Verzehr welcher Lebensmittel auftreten. So lässt sich individuell herausfinden, was der Darm verträgt.

Ernährungstherapie
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Beruhigende Mittel bei Reizdarm

Zu Darmberuhigung haben sich außerdem einige pflanzliche Wirkstoffe wie Pfefferminzöl oder der Extrakt aus Melissenblättern bewährt. Hilfreich können auch wasserlösliche Ballaststoffe beispielsweise aus Flohsamenschalen sein, gegebenenfalls ergänzt durch Probiotika.

Generell ist es für Menschen mit RDS sinnvoll, langsamer, gemütlicher und geselliger zu essen - und insgesamt mehr Ruhe und Struktur in den Alltag zu bringen.

Entspannung und Darmhypnose

Darmgesundheit und Allgemeinbefinden beeinflussen sich gegenseitig. Selbsthilfestrategien und komplementäre, auch psychotherapeutische Heilverfahren leisten daher einen wichtigen Beitrag in der RDS-Behandlung. Bewegung und leichte sportliche Aktivität sind allgemein zu empfehlen, Entspannungsverfahren können zur Stressreduktion hilfreich sein. Als häufig wirksam hat sich in Studien die Darmhypnose erwiesen, um die wechselseitige Interaktion von Darm und Gehirn positiv zu beeinflussen. Bisher bieten noch nicht viele Kliniken oder Praxen das Verfahren an, neuerdings gibt es aber auch Darm-Hypnose-CDs. Bei der darmgerichteten Hypnosetherapie wird man über meditative Elemente und gezielte Atemübungen in eine Trance versetzt, um dann über Suggestionen das Darmnervensystem zu beruhigen.

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Die Ernährungs-Docs | 17.07.2024 | 08:00 Uhr

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