Wacken: Seit 1990 ist ein Dorf Mekka des Heavy Metal
Mit gerade einmal 800 Besuchern beginnt 1990 das, was heute als bekanntestes Heavy-Metal-Festival der Welt gilt: das Wacken Open Air. Ein Blick auf den ersten Sommer - und was dann alles kam.
Gitarrenriffs und Zehntausende Metal-Fans statt Kirchenglocken und Trecker-Motoren: Das Wacken Open Air (W:O:A) hat den Sound eines kleinen Ortes im Westen Schleswig-Holsteins nachhaltig verändert. Begonnen hat alles mit knapp 800 Besuchern am 24. und 25. August 1990.
Wacken: Ein fast typisches Dorf
Wacken in der Nähe des Nord-Ostsee-Kanals - ein Dorf wie viele andere in der norddeutschen Provinz: Es gibt mehr Kühe als junge Leute, viel Grün und Silberhochzeiten im Landgasthof. Ein Örtchen mit 1.900 Einwohnern, das über die Gemeindegrenzen hinaus wohl kaum jemand kennen würde. Wären da nicht Thomas Jensen, Holger Hübner und einige weitere Metal-Fans gewesen.
Ende der musikalischen Einöde
Wacken, 1990: Die Freunde Jensen und Hübner sind Mitte 20 und lieben Heavy Metal. Genau das ist auch ihr Problem. Denn außer Dorf-Disco und Blasmusik läuft nichts auf dem platten Land. Aus einer Bierlaune heraus schmieden Jensen und Hübner den Plan, ein eigenes Open-Air-Festival zu organisieren - mit Musik nach ihrem Geschmack. "Wir waren jung, hatten Bock, wollten mit unseren Freunden feiern und haben einfach gemacht", erinnert sich Hübner Jahre später.
Eine Bühne aus Lkw und einem Bierzelt
Der Ort für ihr Festival ist schnell gefunden: Eine Sandkuhle in der Nähe des Dorfes. Gemeinsam mit Freunden und Familie bauen die beiden Veranstalter aus einem Bierzelt und Lkw die Bühne. Sechs lokale Bands sagen zu - in einer davon spielt Thomas Jensen selbst Bass. Am 24. und 25. August 1990 findet es dann statt: das erste Wacken Open Air.
Sechs Bands für zwölf Mark Eintritt
Die Idee der Jungs aus dem Dorf kommt an: Schon im ersten Jahr pilgern 800 Metal-Fans in die Sandkuhle. Gerade einmal zwölf Mark kostet der Eintritt, dafür gibt es harte Musik von sechs Bands, viel Bier und Familien-Atmosphäre: "Ich spielte mit meiner Band, zapfte nebenbei Bier und konnte die Einnahmen noch in meine Hosentasche stecken", so Jensen über die Anfangszeit. Niemand ahnt damals, dass in diesen Augusttagen der Grundstein für eines der größten Heavy-Metal-Festivals der Welt gelegt wird, auf dem die "Pommesgabel" - der Gruß der Metal-Fans - zum Kult wird.
Höhenflug und harte Landung
Jensen und Hübner wollen weitermachen und organisieren das nächste Wacken Open Air. Inzwischen arbeiten sie unter dem Namen "Stoned Castle Rock Promotion" - als Hommage an den Landkreis Steinburg, in dem Wacken liegt. Nach einer erfolgreichen Zweitauflage mit 1.300 Besuchern folgt 1992 dann der erste Quantensprung für das Festival: Die Veranstalter schaffen es, das britische Heavy-Metal-Urgestein Saxon zu verpflichten. 1992 wird so zum Erfolgsjahr: 3.500 Fans, 20 Bands auf zwei Bühnen und 35 Mark pro Karte - Wacken wächst.
1993: Schicksalsjahr für das W:O:A
"Über die Jahre gehört ein ziemlich langer Atem dazu, immerhin sind wir auch oft auf die Fresse geflogen", erklärt Holger Hübner rückblickend auf der W:O:A-Website. 1993 zum Beispiel: Bereits die Organisation des Festivals steht unter einem schlechten Stern. Hübner hat einen schweren Verkehrsunfall und für Jensen erschwert ein Todesfall in seiner Familie die Vorbereitungen. Vom Krankenhaus aus bucht Hübner schließlich die Bands fürs Festival, als Headliner für viel Geld die US-Metaller Fates Warning. Insgesamt investieren die Veranstalter deutlich mehr als bisher - mit knapp 4.000 Besuchern dümpelt die Resonanz bei den Fans aber auf Vorjahresniveau. Das Wacken Open Air 1993 wird so zum finanziellen Desaster: Jensen & Co fahren ein sechsstelliges Minus ein.
Voll auf Risiko
Das Wacken Open Air steht jetzt am Scheideweg. Vielen Mitveranstaltern ist das Risiko zu groß, sie springen ab. Jensen, Hübner und einige andere aber setzen alles auf eine Karte: "Job gekündigt, und los ging's", so Hübner. Er und Jensen widmen sich ab jetzt ganz ihrem Festival. Die Familien helfen mit, der Schuldenberg wird teils mit vorgezogenen Erbschaften abgetragen. 1994 geben die Veranstalter weniger Geld für die Bands aus, gewinnen trotzdem einige bekannte Headliner für ihr Programm und schrauben gleichzeitig den Eintrittspreis herunter. Mit Erfolg: 4.500 Besucher kommen in diesem Jahr nach Wacken und sichern so den Erhalt des Open Airs.
Kurz vor der Absage - bis die Böhsen Onkelz kommen
1996 wird es noch einmal sehr brenzlig für die "Stoned Castle"-Crew. Der Kartenvorverkauf für das im Untertitel "Das Kulturfestival" genannte Event verläuft so schleppend, dass die Absage des Festivals kurz bevor steht. Ist womöglich jetzt alles aus? Nein, denn dann sagen die Böhsen Onkelz zu. Die berühmt-berüchtigte Band wird als Headliner zum Publikumsmagneten und rettet das Event: Laut Veranstalter kommen 8.000 Metal-Fans und machen die 1996er-Ausgabe des Wacken Open Air zur bis dahin erfolgreichsten.
Erfolgsgeschichte Wacken Open Air
Seitdem kennt das Festival nur noch eine Richtung: Steil nach oben. Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Bands, Bühnen, Besucher und natürlich Bier. 1997 knackt das Wacken Open Air laut Veranstalter erstmals die 10.000-Besucher-Marke. Nur um diesen Rekord im nächsten Jahr mit rund 20.000 Besuchern gleich zu verdoppeln. Rock- und Metal-Legenden wie Motörhead, Slayer, Ozzy Osbourne, Deep Purple oder Iron Maiden drücken sich auf den Wacken-Bühnen über die Jahrzehnte das Mikro in die Hand.
Aus der Sandkuhle ist ein Metal-Paradies geworden
Höher, schneller, Wacken: Aus der Sandkuhle im Nirgendwo sind bis heute 420 Hektar Festivalgelände geworden. Statt der 800 Neugierigen beim ersten Wacken Open Air strömen inzwischen rund 80.000 Besucher in die norddeutsche Provinz. "In einer einsamen Nacht bekomme ich schon mal Angst", gesteht Gründer Jensen vor einigen Jahren. "Aber wir machen gar nicht so viel anders. […] Wir sind genauso beknackt wie damals, nur ist alles etwas größer."
Das Wacken Open Air - ein wahr gewordener Lebenstraum von ein paar Jungs vom Dorf. Der noch lange nicht ausgeträumt ist: "Stillstand ist nicht das, was wir wollen", so Jensen. "Wir wollen uns immer weiterentwickeln. Und es gibt viele Richtungen, in die wir noch gehen können." Wohin es auch geht: Der Name Wacken ist inzwischen untrennbar mit Heavy Metal verbunden. Aus dem einstigen Dorffest ist das größte Heavy-Metal-Festival der Welt geworden. Dass man traditionsbewusst ist, beweisen die Veranstalter Jahr für Jahr, indem die Wacken Firefighters - der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr - auftreten. Stets stark umjubelt von den Fans.
Zwei W:O:A-Absagen durch die Corona-Krise
Die Corona-Krise sorgt dafür, dass es zwei Sommer in Folge ruhig bleibt auf dem Gelände in Wacken. Zum ersten Mal nach 30 Jahren Festival-Geschichte sagen die Veranstalter das Event für 2020 ab. Stattdessen gibt es für die Fans ein kostenloses Online-Angebot mit Live-Acts wie Kreator, Blind Guardian und Sabaton. Und auch die Hoffnungen für 2021 zerschlagen sich: Erneut wird das Wacken Open Air abgesagt. Erst 2022 klappt es wieder. 200 Konzerte finden statt. Vor rund 83.000 Musikfans treten unter anderem Slipknot, In Extremo und Judas Priest auf.
2023: Erstmals Einlassstopp wegen zu heftiger Regengüsse
2023 ist dann wieder ein Ausnahmejahr: Vor Festival-Beginn erschweren heftige Regengüsse bereits die Anreise - so sehr, dass die Veranstalter schließlich keine Fans mehr auf das völlig verschlammte Gelände lassen. Erstmals in der Geschichte des W:O:A wird aus Sicherheitsgründen ein Einlassstopp verhängt. Statt 85.000 können nur rund 61.000 Fans dabei sein. 2024 sind es dann wieder 85.000.
"Legend of Wacken": Fiktionale Serie im "echten" Wacken gedreht
Wacken ist längst auch für Film und Fernsehen interessant: 2022 wird dort der NDR Tatort "Borowski und das unschuldige Kind von Wacken" gedreht. Im August 2023 erscheint eine fiktionale Serie, die in und um Wacken entstanden ist. "Legend of "Wacken" besteht aus sechs Kapiteln à 40 Minuten. Die Regisseure der Serie sind Lars Jessen ("Mittagsstunde") und Jonas Grosch. Charly Hübner spielt - namentliche Zufälle gibt's - Holger Hübner. Unterlegt von reichlich Metal-Musik geht es in der Serie vor allem um die Anfänge des Festivals Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre.
* Der Autor ist nicht mehr für den NDR tätig.