Wenn der Vater zum Fremden wird
Richter: Umgänge dürfen nicht zu Kindeswohlgefährdung führen
Carsten Löbbert von der Neuen Richtervereinigung betont: "Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt" (§ 1684, Absatz 1, BGB). Der Präsident des Amtsgerichts Lübeck ergänzt, dass ein Gericht diesen Umgang durchaus durchsetzen könne. "Zur Wahrheit gehört auch, dass es immer wieder mal sogenannte hochstreitige Verfahren gibt, bei denen aus verschiedenen Gründen keinerlei Einigung möglich ist und sich auch nicht im Verfahren entwickeln lässt", betont Löbbert. Versuche ein Elternteil gerichtlich geregelte Umgänge zu hintertreiben und ein Kind zu manipulieren, könne man versuchen, dem entgegenzuwirken.
"Aber es kann auch schwierig werden. Dann gewinnt auch ein anderer Aspekt Bedeutung: Umgänge dürfen nach § 1684, BGB nämlich auch nicht zu einer Kindeswohlgefährdung führen", betont Löbbert. In der Entwicklungspsychologie werde die Auffassung vertreten, dass es von einem bestimmten Punkt an eher eine Kindeswohlgefährdung darstellen könne, ein Kind gegen seinen klar geäußerten Willen zu einem Umgang zu zwingen, auch dann, wenn der Wille nicht gänzlich frei von manipulativen Einflüssen sei.
Die Cochemer Praxis
Einen bundesweit beachteten Versuch, Manipulationen zu unterbinden und beide Eltern bei der Erziehung auch nach der Trennung in die Pflicht zu nehmen, gab es 1992 im rheinland-pfälzischen Cochem. Familienrichter Jürgen Rudolph initiierte die Cochemer Praxis und wandte sie 16 Jahre lang an. Dabei arbeiteten Richter, Anwälte, Jugendämter, Familienberatungsstellen, Psychologen und Sachverständige eng zusammen. Grundsatz war, dass sich die Institutionen regelmäßig austauschten. Ein Fokus: die erste Anhörung vor Gericht sollte nach spätestens zwei Wochen - und nicht erst nach Monaten - stattfinden. Die Anwälte der Eltern mussten ihre Schreiben knapp und sachlich halten, statt dort seitenlange Vorwürfe gegen den Ex-Partner aufzulisten.
"Lange Schreiben mit vielen Vorwürfen verhindern fast schon eine Lösung des Konflikts", erklärt Rudolph. Dadurch konnten die Eltern an einem Tisch ins Gespräch gebracht werden. "Das war unser Hauptziel, dass die Eltern nach der Trennung weiter miteinander reden und gemeinsam für das Kind da sind und nach Lösungen suchen. Und das ist uns in den 16 Jahren ganz gut gelungen", betont der 79-Jährige, der heute noch als Anwalt tätig ist. Er plädiert dafür, die Cochemer Praxis überall einzuführen.
Paritätische Doppelresidenz als Norm?
Das hätte auch der Verein Väteraufbruch gerne. Beide Elternteile müssten in die Pflicht genommen werden, auch nach der Trennung, betont Burkhard Röttger. Um das zu erreichen, fordert der Verein, dass die paritätische Doppelresidenz als vorrangiges Betreuungsmodell der Kinder nach Trennung und Scheidung in deutschen Gesetzen, Rechtsprechung und Praxis etabliert wird.
Löbbert von der Neuen Richtervereinigung betont, während in Familiengerichten lange eher das sogenannte Residenzmodell praktiziert wurde, bei dem das Kind bei einem Elternteil lebt, gebe es zunehmend auch Regelungen mit dem paritätischen Doppelresidenzmodell, auch genannt Wechselmodell. "Nach der neueren Rechtsprechung des BGH kann das durchaus auch gerichtlich angeordnet werden. Allerdings setzt das in der Praxis einiges voraus, damit es kindeswohlverträglich durchgeführt werden kann."
"Noch immer das gemeinsame Sorgerecht"
"Ich habe noch immer das gemeinsame Sorgerecht, das habe das nie verloren", sagt Burkhard Röttger. Seinen Töchtern bringt ihn das aber auch nicht näher. In seinem Carport werden an diesem Abend viele dramatische Geschichten erzählt. Es geht um Kinder, die den Kontakt zum Vater ablehnen - oder ihn zögerlich doch suchen. Es geht um Richter, Verfahrensbeistände, Gutachter. Es geht um die Erfahrung aller hier, dass es hierzulande möglich ist, dass ein Elternteil dem anderen den Umgang mit dem eigenen Kind verwehren oder stark erschweren kann. "Irgendwann ist für die der Fall erledigt. Solange die Kinder nicht irgendwo im Brunnen sitzen oder schwer verletzt sind, solange von außen nicht sichtbar ist, dass es ihnen wirklich schlecht geht, ist das für das Rechtssystem erledigt", sagt ein Vater frustriert.
Viele geben den Kampf auf
Wenn Burkhard Röttger von seinem zwei Töchtern erzählt, die er nicht mehr kennt, die einfach nichts von ihm wissen möchten, spürt man seine Verzweiflung. Viele Väter, erzählt er, würden krank von dieser Verzweiflung, würden den Kampf irgendwann aufgeben, würden sich komplett zurückziehen. Röttgers Leben hat sich trotzdem weiterbewegt. Er hat wieder geheiratet, hat heute einen 13 Jahre alten Adoptivsohn und eine fünf Jahre alte Tochter. Die Erziehung und den Job teilt er sich mit seiner Frau. "Ich bin so gerne Papa. Und ich bin so froh, dass ich die beiden Kinder hier habe - und so traurig, dass ich den Kontakt zu den anderen beiden nicht mehr habe", sagt er.
"Hey, da ist ein liebevoller Papa, der wartet auf dich"
Er hofft, dass sie irgendwann doch noch den Kontakt zu ihm aufnehmen. "Ich weiß, dass ich das nicht erzwingen kann. Vielleicht müssten die Kinder nur hören: Hey, da ist ein liebevoller Papa, der wartet auf dich", hofft er.
Familientherapeut Michael Hülsmann rät genau das: den Kontakt nicht zu erzwingen, aber zu signalisieren: Ich bin da. In seiner Praxis berät er auch Erwachsene, die als Kind von einem Elternteil entfremdet wurden - und nun mit Hülsmanns Hilfe diesen Kontakt wieder aufbauen wollen.
Zeit geben, da sein
Und die 15 Jahre alte Tochter, die ihren Vater heimlich anruft, damit die Mutter es nicht merkt? Die Väter der Runde sehen das als gutes Zeichen. "Und wenn sie schon heimlich telefoniert, dann gibt es auch keinen Grund, nicht heimlich zu dir zu kommen. Es ist zwar schade, dass das heimlich passieren muss. Aber es ist besser als gar kein Kontakt", ist die einhellige Meinung. Der Rat an den Vater: Er solle Geduld haben, seiner Tochter zeigen, dass er da ist. Irgendwann werde sie vielleicht den Mut und die Stärke finden, sich dem Willen ihrer Mutter zu widersetzen - und Zeit mit ihrem Vater zu verbringen.
- Teil 1: "Kinder waren völlig verwandelt"
- Teil 2: Richter: Umgänge dürfen nicht zu Kindeswohlgefährdung führen