Windkraftausbau in SH: Die Angst vor Stillstand oder Wildwuchs
Windregionalpläne legen fest, wo Windräder gebaut werden dürfen - doch im März kippte das OVG Schleswig einen davon. Dabei soll es mit dem Windkraftausbau in Schleswig-Holstein eigentlich schneller gehen. Die Innenministerin erklärte nun ihre Strategie.
Drei Planungsräume mit je einer Regionalplanung für den Bau von Windenergieanlagen gibt es im Land. Darin ist festgeschrieben, wo ein Windrad aufgestellt werden darf und wo nicht. Der Weg dahin war bereits lang und kompliziert, es gab ein mehrjähriges Moratorium und viel Hin- und Her. Im März nun erklärte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig den Regionalplan für den Planungsraum I (Kreis Nordfriesland, Kreis Schleswig-Flensburg und Flensburg) wegen eines Abwägungsmangels für unwirksam. Klagen gegen die anderen beiden Regionalpläne werden im Sommer verhandelt und die Prognose ist, dass auch diese kippen werden. Dabei sollte es doch mit dem Windkraftausbau dringend schneller gehen, um die Ziele zu erreichen.
Land legt Beschwerde bei Bundesverwaltungsgericht ein
Wie kann das Land jetzt dafür sorgen, dass trotzdem weiter Windkraftanalgen aufgebaut werden können? In seiner Urteilsbegründung schloss das OVG aus, dass das Land dagegen in Revision gehen kann. Eine Möglichkeit gibt es aber, und die will Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) jetzt nutzen: "Wir haben uns entschieden, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einzulegen", sagte sie im Innen- und Rechtsausschuss.
Die Regierung sehe realistische Chancen, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu einer anderen Einschätzung kommen wird als das OVG in Schleswig. "Ob ein Revisionsverfahren durchgeführt wird, wird sich vermutlich in drei bis sechs Monaten herausstellen", so Sütterlin-Waack. Bis dahin bleibt der Regionalplan für den Planungsraum I gültig - und es können weiter Windräder in den Vorranggebieten gebaut werden.
Gesamte Windplanung muss neu gemacht werden
Unabhängig davon ist das Land nach Bundesrecht sowieso dazu verpflichtet, eine neue Windplanung aufzustellen. Der Bund schreibt vor, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie auszuweisen - allerdings auf einer anderen Berechnungsgrundlage als die, die Schleswig-Holstein für seine Planung benutzt. Deswegen muss das Land von den derzeitigen zwei Prozent nach schleswig-holsteinischer Berechnung auf drei Prozent erhöhen, um am Ende bei der Bundesvorgabe von zwei Prozent zu landen. Am Ende müssen 15 Gigawatt installierte Leistung bis zum Jahr 2030 erreicht werden.
Schleswig-Holstein rechnet anders als der Bund
In Schleswig-Holstein wird die Windplanung nach der Rotor-In-Regelung gemacht: Dabei darf der Rotor einer Windkraftanlage nicht über die Grenze des ausgewiesenen Vorranggebiets hinausragen. Also muss die Windkraftanlage zur Grenze des Gebiets immer mindestens den Abstand der Hälfte des Rotordurchmessers haben. Dadurch werden die Flächen kleiner, als wenn die Anlagen direkt an der Grenze einer Fläche stehen dürfen, laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts um bis zu 60 Prozent. Der Bund setzt auf Rotor-Out.
"Wir haben uns vorgenommen, die Pläne noch in dieser Legislaturperiode, also bis 2027 fertigzustellen," sagt Sütterlin-Waack. 50 Prozent der bisherigen Fläche müsse bis dahin zusätzlich für Windenergieanlagen ausgewiesen werden. Dieser Prozess dauert, erklärt sie: Zum einen, weil die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, beteiligt zu werden. Und zum anderen, weil die neuen Flächen durch Fachbüros auf Umweltverträglichkeit geprüft werden müssten. Allein die vorgeschriebene europaweite Ausschreibung dauert laut Sütterlin-Waack fünfeinhalb Monate.
FDP: Land will Zeit schinden
"Die Landesregierung verfährt jetzt ein bisschen nach dem Prinzip Hoffnung", sagt Oliver Kumbartzky, energie- und klimaschutzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. "Man versucht jetzt, noch ein bisschen Zeit zu schinden, indem man noch mal eine Revision prüft." Aber ob das klappen wird, wisse man nicht, sagt Kumbartzky. Aber was passiert, wenn das OVG-Urteil rechtskräftig wird, aber noch keine neue Windplanung steht? Auch das war Thema im Innen- und Rechtsausschuss: Die einen sorgen sich jetzt vor einem Stillstand beim Windkraftausbau, die anderen vor einem Wildwuchs.
"Durch den Wegfall der Landesplanung entsteht Unsicherheit bei den Bürgerinnen und Bürgern und innerhalb der Windbranche" sagt Marc Timmer, energiepolitischer Sprecher der SPD. Zwar könnten grundsätzlich Windanlagen auf Grundlage des Baugesetzbuches weiter geplant und genehmigt werden - zu einem völligen Stillstand kann es also nicht kommen. Allerdings würde dann die ordnende Hand der Landesplanung fehlen, so Timmer. "Dadurch können Windprojekte grundsätzlich auch an Standorten geplant werden, die außerhalb der Vorranggebiete liegen."
Kein Stillstand, aber eine Bremse
Planungen auf Grundlage der Baugesetzbuches und ohne Windplanung bedeuten, dass für jedes Windrad einzeln eine Genehmigung durchgeführt werden muss. "Sie müssen sich das einfach so vorstellen, dass der Regionalplan Wind bereits gewisse Vorgaben macht, die als gesetzt gelten und im Amt nicht mehr geprüft werden müssen", sagt Innenministerin Sütterlin-Waack. Wenn der Regionalplan nicht mehr gilt, fallen diese Vorgaben weg und müssen wieder einzeln geprüft werden. Dabei gelten insgesamt 77 Tabu- und Abwägekriterien.
Klagen gegen Windplanung vor allem aus der Windbranche
"Das ist für uns alle eine sehr unschöne Situation", sagt Ulrike Täck, Sprecherin für Energiewende und Landesplanung bei den Grünen. Die Regionalpläne in Schleswig-Holstein seien etwas besonderes, was andere Bundesländer so nicht haben. "Die Pläne waren für uns der Garant eines friedlichen Ausbaus der erneuerbaren Energien, was wir in Schleswig-Holstein wirklich bisher sehr gut hinbekommen haben."
Sie findet es paradox, dass die Pläne ausgerechnet von denen "weggeklagt" worden sind, die eigentlich eine Windplanung haben wollen: von Windkraft-Projektbüros. "Das geht jetzt richtig nach hinten los," sagt Täck. Im Fall der Planungsregion I klagten Unternehmer aus der Windbranche dagegen, dass eine Region ausgenommen war. Laut Innenministerium stehen gegen die Planungsregionen II und III noch 54 Klagen aus: 52 von Klägern aus dem Bereich pro Windkraft und nur zwei von Windkraftgegnern. Experten gehen davon aus, dass diese Klagen die restliche Windplanung kippen wird.