Wenn das Pflegeheim in SH zu teuer ist
Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Gleichzeitig explodieren die Kosten für einen Heimaufenthalt. Doch das Parlament kann sich vorerst auf keine Lösung einigen.
Die 90-jährige Frau Petersen hat sich bis zum Ende um ihren kranken Mann und die Eltern gekümmert. Sie liebt ihre kleine Wohnung im 2. Stock - doch nun geht es nicht mehr. Frau Petersen müsste in ein Pflegeheim umziehen, doch mit ihrer kleinen Rente von 1.000 Euro kann sie sich das nicht leisten.
Es ist ein fiktives Beispiel, das die SPD-Landtagsabgeordnete Birte Paulsen für den Einstieg ihrer Rede im Parlament an der Kieler Förde nutzt, doch es steht für viele in Schleswig-Holstein. Die Durchschnittsrente von Frauen im Land liegt aktuell bei 1.366 Euro, bei Männern sind es 1.806 Euro. Der Eigenanteil, den Bewohner eines Pflegeheimes in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr zahlen mussten, ist fast doppelt so hoch: 2.778 Euro. Das belegen Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Vielen bleibt da nur der Gang zum Amt, um Sozialhilfe zu beantragen und sich den Lebensabend finanzieren zu können. Jeder fünfte Pflegeheimbewohner in Schleswig-Holstein ist nach Angaben des Sozialverbands inzwischen auf Sozialhilfe angewiesen.
Armutsfalle Pflege
Als wäre die Entscheidung, ins Pflegeheim zu ziehen, emotional nicht schon schwer genug, kommen so inzwischen oftmals finanzielle Nöte dazu. Hintergrund für die Teuerung sind die gestiegenen Personalkosten in der Pflegebranche. Experten gehen davon aus, dass der Anstieg in den kommenden Jahren noch zunehmen wird. "Pflege darf nicht zur Armutsfalle werden", fordert die Abgeordnete Pauls.
In der Analyse stimmen ihr die Redner der anderen Fraktionen im Parlament zu. Nur wie die Pflegeversicherung reformiert und ob eine Bürgerversicherung helfen kann, da scheiden sich die Geister - das macht die Debatte am Donnerstag im Landtag erneut deutlich.
Die Fraktionen SPD und SSW fordern in einem gemeinsamen Antrag, dass der Eigenanteil an den Kosten für Pflegeleistungen gedeckelt werden muss. "Wir vertreten die Auffassung, dass Pflege eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist", erklärte Pauls. Aus ihrer Sicht könne der Eigenanteil irgendwann auch ganz entfallen - bis auf Kosten für die Unterkunft und Verpflegung.
Goldschmidt: Reformen scheitern am Bund
Die Landesregierung setze sich schon seit der Amtseinführung für eine Deckelung der Eigenanteile im Bund ein, verteidigt Umweltminister Tobias Goldschmidt von den Grünen, der für die erkrankte Sozialministerin Aminata Touré spricht. "All die guten Vorschläge des Landes sind bisher aber nicht an der Landesregierung gescheitert, sondern am Bund", betonte er. Die bestehenden Probleme könnten seiner Meinung nach nur durch eine nachhaltige Reform gelöst werden. Aus seiner Sicht sollten vor allem die Menschen stärker unterstützt werden, für die die Eigenanteile eine besonders große finanzielle Herausforderung sind. Dafür solle weiter das Pflegewohngeld genutzt werden.
SPD und SSW fordern eine solidarische Versicherung
Die Idee einer Bürgerversicherung, wie sie SSW und SPD schon seit Langem fordern, unterstützen auch die Grünen - ganz anders als ihr hiesiger Koalitionspartner, die CDU. Bei der Bürgerversicherung würden auch Selbständige, Beamte und Abgeordnete, die derzeit nicht in die Pflegeversicherung einzahlen, mitfinanzieren. Ex-Sozialminister Heiner Garg von der FDP wirft Zweifel an so einer solidarischen Finanzierung aus: "Jeder, der neu einzahlt, erwirbt auch einen Anspruch auf Leistungen." Generell sei die FDP aber diskussionsbereit. Die CDU plädiert vielmehr dafür, die Pflegeversicherung in ihrer jetzigen Form grundlegend zu reformieren und dann Sozialbedürftige gezielter zu unterstützen.
Zudem verteidigt die CDU-Abgeordnete Andrea Tschacher die Landesregierung und verweist darauf, dass sich das Land schon jetzt mit 37 Millionen Euro am Pflegegeld beteilige und so Bedürftige unterstütze. "Das ist aber für die Einrichtungen und nicht individuell für die Bewohner", entgegnet Garg und wirft der Landesregierung Ambitionslosigkeit vor.
Problem wird sich verschärfen
Das Problem werde sich in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels unserer Gesellschaft weiter verschärfen, macht Nicole Knudsen vom Verband pflegender Angehöriger in Schleswig-Holstein deutlich. Sie hat der Debatte von der Besuchertribüne aus zugehört. "Wenn wir jetzt keine nachhaltige Lösung finden, laufen wir sehenden Auges weiter in die Misere."
Im Land wollen die Politiker nun noch im Sozialausschuss weiter über die Bezahlbarkeit der Pflege beraten, die alle wollen. Ob dabei zeitnah etwas für die Bewohner der Heime und die 80 Prozent der Pflegebedürftigen, die zu Hause betreut werden, herauskommt - das bleibt unklar. Für Frauen, wie die 90-jährige Frau Petersen aus dem Beispielfall, könnte eine Entlastung zu spät kommen.
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