Weltkriegsmunition in der Ostsee: Wie gefährlich ist die Bergung?
Seit Jahrzehnten liegt Munition aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Grund der Ostsee. Die Bomben, Granaten und Patronen verrosten und bringen so Gift in die Umwelt. Kann dies auch durch Beschädigungen bei einer Bergung passieren, die das Umweltproblem eigentlich lösen soll?
Toxischer Sprengstoff, der die Ostsee und deren Meeresbewohner schleichend vergiftet: Über frischen Fisch zum Beispiel aus der Lübecker Bucht könnte Gift am Ende auch bei uns auf dem Teller landen. Dazu gab es schon viel Forschung: Plattfische wurden auf Krebs untersucht, auch Karten erstellt, wo wie viel Munition liegt.
"Der Ozean ruft jetzt um Hilfe und wir müssen handeln", sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei einem Besuch in Kiel im vergangenen Jahr. Mit im Gepäck hatte sie 100 Millionen Euro für ein Pilotprojekt zur Bergung alter Kriegsmunition in den deutschen Meeren. Die eigentliche Bergung dürfte diese Summe noch wesentlich überschreiten.
Aktuell laufen nun erste Versuche, die Munition vor der Ostseeküste zu bergen. Doch weil die Arbeiten selbst weitere giftige Stoffe freisetzen könnten, kreuzt das Forschungsschiff "Alkor" seit Tagen in der Lübecker Bucht vor Neustadt (Kreis Ostholstein). Es fährt immer wieder verschiedene Munitionshaufen an. An Bord sind Forschende vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Meeresboden wird per Sonar kartiert
Per Kran wird "Kalle" vom Forschungsschiff ins Wasser gelassen. "Kalle" nennen die Forschenden hier ein Sonar-Unterwasserfahrzeug. Es hat drei gelbe, torpedoförmige Schwimmkörper, Propeller für den Antrieb und ist so groß wie ein Kleinwagen. Kalle wird gleich in einigen Metern Höhe über den Meeresboden schweben und ihn per Sonar kartieren. So wie schon vor einigen Wochen, bevor die ersten Bergungsarbeiten von Munitionsresten starten. Jetzt - kurz nach der Bergung - wollen die Forschenden herausfinden, wie sich der Meeresgrund samt Munitionsresten verändert hat.
"Die Munition, die da seit 80 Jahren liegt, muss mechanisch mit Greifarmen angefasst werden. Die Metallhüllen sind zum Beispiel schon stark durchkorrodiert, und kleine Munition kann ich mit so einem hydraulischen Greifer schnell kaputt machen", erklärt der Wissenschaftliche Leiter von Geomar, Jens Greinert. Sein Team wolle herausfinden, in welchem Ausmaß bei der Räumung giftige Stoffe freigesetzt werden.
Sedimentproben bringen Hinweise auf Schadstoffe
Schadstoffe wie der Sprengstoff TNT könnten in der ohnehin schon stark belasteten Ostsee großen Schaden anrichten, wie der Forscher sagt. "Also die Gefahr ist, wenn sich diese sprengstofftypischen TNT-Umbauprodukte, BND, Benzolringe usw. in die Umwelt absetzen, sind sie toxisch - karzenogen und mutagen", erklärt Greinert.
Um das Ausmaß der Belastung durch die Bergungsarbeiten genauer zu erforschen, nimmt das Forscherteam auch Sedimentproben inklusive Würmern, Muscheln und kleinen Krebsen. Mit einer Greifschaufel werden sie von einem Wissenschaftler an Bord geholt. "Hier ist genau 0,1 Quadratmeter Sediment. Das waschen wir durch ein Sieb und filtern die Tierchen heraus. Und dann an Land im Labor bestimmen wir unter dem Mikroskop alle Arten und die Anzahl", so einer der Wissenschaftler. Dadurch könne man die Biomasse messen und mit statistischer Analyse erfassen, ob die Munitionsbergung das Ökosystem beeinträchtigt oder nicht. Auch Wasserproben nehmen die Wissenschaftler und untersuchen sie auf Schadstoffe - ebenfalls einmal vor der Bergung und danach.
Sonar-Karten liefern erste Ergebnisse
"Kalle" ist nach seiner Erkundungsfahrt inzwischen wieder an Bord. Das Sonar-Gerät habe interessante Ergebnisse geliefert, sagt Werkstudent Melf Starck Johann. "Wir dachten, es liegen hier einfach nur auf einer Ebene Munitionskisten auf dem Meeresboden, aber darunter liegen metertief noch viel mehr. Die haben wir gar nicht gesehen." Insgesamt gehen die Forschenden von 400 Munitionshaufen allein in der Lübecker Bucht aus - mit 35.000 Tonnen verklappter Weltkriegsmunition.
Nach einer ersten Sichtung von "Kalles" Karten vom Meeresboden rechnet der leitende Wissenschaftler Jens Greinert nicht mit erheblichen Gefahren durch die Munitionsbergung. "Ich würde davon ausgehen, dass da jetzt keine große Belastung ist." Diese These soll laut Greinert nun durch eine genauere Untersuchung der Sedimente und Wasserproben und mit Hilfe einer weiteren Forschungsfahrt im Frühjahr 2025 geprüft werden.