Vorzeigeunternehmen setzt offenbar Mitarbeiter unter Druck
Er ist einer der angesehensten Unternehmer in Schleswig-Holstein: Martin Aye, Inhaber von neun Callcentern mit insgesamt rund 1.300 Mitarbeitern. Aber hinter den Kulissen von Ayes Callcentern sieht es offenbar nicht so rosig aus: Da sollen Betriebsräte behindert werden, es gibt offenbar Kettenbefristungen und psychischen Druck. Panorama 3 hat mit mehr als 20 aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden gesprochen. Und immer wieder hatten die Kolleginnen und Kollegen ähnliches zu berichten.
Nur eine der neun Firmen hat einen Betriebsrat
In nur einem einzigen der neun Callcenter Ayes gibt es derzeit einen Betriebsrat. Just an diesem Standort wurden in den vergangenen Jahren offenbar massiv Stellen abgebaut und Projekte abgezogen. Die Betriebsratsarbeit werde blockiert, berichtet Tobias Marx von der Gewerkschaft Verdi: "Es scheint in diesem Unternehmen insgesamt zur Terminologie zu gehören, dass Druck aufgebaut wird, dass die Beschäftigten nicht aufmucken. Wenn ich keinen Betriebsrat habe, der gewisse Dinge einfordert, dann kann der mir auch nicht in die Quere kommen als Arbeitgeber."
Das nutze die Geschäftsführung auch als Druckmittel in den anderen Callcentern. Viele Mitarbeiter berichten, dass nur das Wort "Betriebsrat" schon ein rotes Tuch sei. "Falls ein anderer Standort einen Betriebsrat aufmacht, dann wird er aufgelöst", fürchtet ein Mitarbeiter aus Flensburg, der anonym bleiben möchte. Dann gingen die Aufträge an die anderen Callcenter der Gruppe. Das hätten die Führungskräfte ihnen allen gesagt.
Guido Heinemann ist Callcenter-Agent und hat jahrelang beim Flensburger Callcenter "Carebyphone" gearbeitet. Er hat mehrfach versucht, einen Betriebsrat bei "Carebyphone" zu gründen. "Es fehlte einfach die Unterstützung", sagt er. "Ein paar Leute hatten Interesse, aber die Mehrheit hatte einfach nur Angst." Angst, den Job zu verlieren. Heinemann gab irgendwann auf.
Kettenbefristungen geschickt getarnt?
Mehrere Mitarbeiter erzählen, dass Arbeitsverträge häufig auf nur ein Jahr befristet seien. Eigentlich dürfen in Deutschland dürfen Arbeitgeber einen Arbeitnehmer höchsten zwei Jahre lang ohne Grund befristigt beschäftigen. Eine Callcenter-Agentin berichtet, dass ihr Vertrag auch ein drittes Mal um ein Jahr verlängert worden sei: Nur plötzlich hieß die Firma anders, statt "Carebyphone" in Flensburg war es die Aye Unternehmensgruppe (ASF) in Lübeck - ein anderes Callcenter der Aye-Gruppe.
Guido Heinemann zeigt uns seine Arbeitsverträge. Zweimal hat er einen Einjahresvertrag bei "Carebyphone" bekommen. "Und dann hätte die nächste Verlängerung eigentlich ein Festvertrag sein müssen", erzählt er. Stattdessen: ein neuer Einjahresvertrag, ebenfalls bei der ASF. "Wieder ein Vertrag, der befristet ist, und zwar auf ein Jahr, wieder mit neuer Probezeit - und allem, was eigentlich nicht rechtens ist." Heinemann muss nicht zur ASF in Lübeck pendeln - er arbeitet weiter in den Räumen von "Carebyphone" in Flensburg und behält im wesentlichen seine Aufgaben. Tobias Marx von Verdi kennt diese Strategien, hat sie gerade auch in der Aye-Gruppe schon häufig erlebt. Durch die Kettenbefristung wälze Martin Aye unternehmerisches Risiko auf seine Angestellten ab.
Nach einer Krankheit zum Gespräch
Die Angst, den Job im Callcenter zu verlieren, geht bei vielen der Mitarbeiter, mit denen Panorama 3 gesprochen hat, mit zur Arbeit. Denn das Callcenter registriert die Fehltage eines jeden Mitarbeiters in einer Krankheitsquote. Mitarbeitern wurde nahegelegt, ihre Krankheitsquote zu senken, sonst werde ihr Vertrag nicht verlängert. "Wenn es einem nicht gut geht, schleppt man sich zur Arbeit", berichtet eine Mitarbeiterin.
Wer krank zuhause bleibt, muss hinterher ein so genanntes Krankenrückkehrgespräch mit seinem Vorgesetzten führen - auch schon nach einem Tag. Solch ein Gespräch gilt als sinnvoll, wenn die Arbeitnehmer lange aus dem Job ausgeschieden waren und besondere Anforderungen bei der Wiedereingliederung haben. Doch in der Aye-Gruppe werde das Gespräch anders genutzt, berichten die Mitarbeiter. "Sie wollen genau wissen, was mit den Mitarbeitern los ist", meint die anonyme Mitarbeiterin. Zwar fragten sie nicht direkt, was die Krankheit gewesen sei. Aber das Gespräch sei so geschickt geführt, dass man es unweigerlich verrate.
Panorama 3 hat den Inhaber der Aye-Gruppe, Martin Aye, um ein Interview gebeten. Diese Bitte wurde abgelehnt. Daraufhin haben wir der Gruppe vor mehreren Tagen schriftlich Fragen zugeleitet. Bis heute liegt darauf keine Antwort vor.
"Martin Aye sollte sich Gedanken darüber machen, wie er zukünftig mit Beschäftigten umgehen möchte", meint Gewerkschaftssekretär Marx. Statt weiter das schwarze Schaf der Callcenterbranche zu sein, rät Marx, sollte Aye auf seine Beschäftigten zugehen - und ihnen beispielsweise bei der Gründung eines Betriebsrats helfen.