Panorama 3
Dienstag, 09. Januar 2018, 21:15 bis
21:45 Uhr
Donnerstag, 11. Januar 2018, 02:10 bis
02:45 Uhr
Aufschwung für Alle? Hinter den Kulissen des deutschen Jobwunders
Jobwunder, Wirtschaftsboom, so wenig Arbeitslose wie lange nicht. Doch was bedeuten die Erfolgszahlen für die beschäftigten Menschen? Wer profitiert vom Wirtschaftsaufschwung?
Die Otto Group in Hamburg ist so etwas wie die deutsche Arbeitswelt im Kleinen. Vom lokalen Versandhändler ist Otto zum Global Player mit 50.000 Mitarbeitern weltweit aufgestiegen. Heute ist das Unternehmen ein riesiger Online-Händler mit zahlreichen Tochterfirmen - vom Modehändler Bonprix über den Logistiker Hermes bis zum Inkassodienstleister EOS. In der Otto Group geht es um Jobs, vom Fließband bis zur Chefetage. Millionenschwere Topmanager arbeiten hier genauso wie Leiharbeiter.
Geringe Rente trotz Jobwunder
Alexandra Maidel war lange eine von ihnen. Sie hat 15 Jahre als Leiharbeiterin in verschiedenen Kantinen Hamburgs gearbeitet, sechs Jahre davon bei Otto. Mit einem kleinen Gehalt zu haushalten, hat sie gelernt: "Ich habe gar nicht gewusst, dass man ein Leben lang auf dem gleichen Gehaltsniveau bleibt", sagt Maidel. Vor einem Jahr hat man ihr einen befristeten Vertrag angeboten für die Arbeit im Otto-Bistro. Danach, so hat ihr Otto zugesagt, soll es für sie weitergehen. Jetzt verdient sie 300 Euro mehr als vorher als Leiharbeiterin, für die gleiche Arbeit. Dennoch: Mit Ängsten blickt sie in die Zukunft. Denn ihre Rente wird weniger als 800 Euro betragen - daran kann auch das Jobwunder nichts ändern.
Leiharbeit und Multi-Jobber
Leiharbeit gehört zu den sogenannten atypischen Beschäftigungen. Das sind auch Teilzeitstellen unter 20 Stunden, befristete Stellen und geringfügig Beschäftigte. Jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland war 2016 atypisch beschäftigt, hält das Statistische Bundesamt fest. Auch der Anteil von Menschen, die mehrere Jobs haben, steigt und steigt.
Diese Multi-Jobber gibt es auch bei Otto. Hauke Heuer gehört zu ihnen. Er arbeitet bei einem Otto-Tochterunternehmen, dem Inkassodienstleister EOS. Mit seinen 2.100 Euro Netto-Einkommen als Sachbearbeiter, plus Prämien, zählt er eigentlich zur klassischen Mittelschicht. Doch um all seine Rechnungen zu begleichen, braucht er einen Zweitjob. "Hart ist es schon, aber jetzt rumjammern bringt ja auch nichts", sagt Heuer. Er beobachtet immer mehr Menschen, die wie er am Schlingern sind: "Vielleicht gibt es den Mittelstand irgendwann gar nicht mehr. Entweder es geht gut oder schlecht."
Schere zwischen arm und reich
Was Hauke Heuer vermutet, ist ein Trend, den auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beobachtet. Es hat im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht, die zeigt: Es gibt immer mehr Haushalte mit sehr hohem Einkommen, aber auch immer mehr mit ganz niedrigem Einkommen. Die Zahl der Haushalte mit mittlerem Einkommen sinkt. Leute wie Hauke Heuer, die eher zur unteren Mittelschicht zählen, müssen immer mehr kämpfen, um den Status Quo zu halten.
Anders geht es beispielsweise Familie Staba. Familienvater Thomas Staba gehört zum mittleren Management bei Otto mit einem Brutto-Einkommen von etwa 120.000 Euro im Jahr. Er leitet den Einkauf von Heimtextilien wie Teppichen oder Gardinen für das Otto-Angebot. Sein Gehalt reicht für die ganze Familie. Seine Frau Daniela Staba kümmert sich derzeit um die drei Kinder - möchte aber gerne wieder arbeiten. Nun fragt sich die Familie: Lohnt sich das überhaupt? Als Krankenschwester in Teilzeilt ließen sich mit ihrem Gehalt gerade mal die Kita-Kosten begleichen. "Wenn meine Frau und ich die gleichen Berufe gewählt hätten, nämlich den des Krankenpflegers und Krankenschwester, dann sähe unser Leben vollständig anders aus", sagt Thomas Staba. "Dann würde es nicht mehr darum gehen, ein Leben zu gestalten, sondern ums Überleben zu kämpfen."
Wer profitiert vom Aufschwung?
Wohlstand für alle - das war immer das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. In den Zeiten, in denen Otto groß wurde, hat das vielleicht noch gegolten. Heute dagegen bedeutet der Aufschwung nicht mehr automatisch, dass alle profitieren. Auch nicht in einem Unternehmen wie Otto.
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