Uni-Professorin: Familienfreundliche Wissenschaft ist möglich
Christina Hölzel ist Professorin für Tiergesundheit und Tierhygiene an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Diversity-Beauftragte ihrer Fakultät. Im Gespräch mit NDR SH berichtet sie von verkrusteten Strukturen, die es Frauen in der Wissenschaft schwer machen - und nächtlicher Forschung, wenn die Kinder schlafen.
Unter den Studierenden und Promovierenden an der Uni Kiel sind Frauen in der Überzahl - aber weit weniger Frauen bekleiden Professuren und andere Spitzenpositionen. Ein bundesweites Problem. Dahinter stecken vor allem alte, unfaire Verteilungsstrukturen, erklärt Prof. Dr. Christina Hölzel im Interview mit NDR SH Reporterin Astrid Wulf.
An der Kieler Uni sind 54 Prozent der Studierenden Frauen, die promovierenden Frauen sind mit 52 Prozent auch in der Mehrheit - aber nur knapp jede dritte Professur wird durch Frauen besetzt. Frustriert sie das?
Prof. Dr. Christina Hölzel: Es frustriert mich sehr. Noch mehr, wenn man sich anschaut, welche Art der Professur von Frauen besetzt sind. Bei den wenig karriereträchtigen Junior-Professuren, die auch immer Schleudersitz sind, herrscht Parität - je höher es geht, umso weniger Frauen haben wir bei den Professuren. Wenn man in die Dekanate schaut, haben wir im Moment eine Dekanin an der CAU - trotz der Mühen unserer geschiedenen Präsidentin, mehr Frauen in diese Ämter zu bekommen. Je höher es geht und je einflussreicher die Position ist, umso geringer wird der Frauenanteil.
Woran liegt es, dass so wenige Frauen Spitzenpositionen in der Forschung bekleiden?
Hölzel: Es gibt viele Faktoren. Es ist schon auch so, dass die Erwartung an die Art und Weise, wie diese Ämter ausgefüllt werden wollen, die Sitzungszeiten und so weiter, nach wie vor nicht so geschaffen sind, dass Frauen diese Ämter gern übernehmen - gerade in hohen Ämtern wie dem Dekanat. Bei den Professuren ist es ganz klar eine Ähnlichkeits-Auswahl.
Es ist ein gut untersuchter Faktor, dass man sich eher für Lebensläufe begeistern kann, die dem eigenen ähnlich sind. Das ist ein Problem, solange die Auswahlgremien vor allem in den wichtigen Positionen überwiegend männlich besetzt sind.
Das betrifft auch den Wettbewerb um die Gelder, um überhaupt forschen zu können. Diese Entscheidungsgremien sind auch mehrheitlich mit Männern besetzt, und die Entscheidungen fallen dann oft zugunsten der Männer. Das zementiert diese Ungleichheit - da, wo das Geld hingeht, kommen mehr Beschäftigte und mehr Publikationen.
Welche Rolle spielt Familienplanung? Müssen sich Frauen zwischen Kindern und einer Karriere in der Wissenschaft entscheiden?
Hölzel: Wissenschaft könnte familienfreundlich sein, die Arbeitszeiten an sich sind ja hochflexibel. Ich kann ja nachts forschen und tagsüber. Ich bin von meiner Arbeit nach Hause gefahren, habe meine Kinder ins Bett gebracht, ihnen vorgelesen, gewartet bis sie schlafen, habe sie meinem Mann übergeben und bin wieder ins Institut gefahren und habe bis drei Uhr nachts weitergeforscht. Das ist ein Kraftakt, den man wollen muss, der auch Tribut fordert.
Was dazu kommt: In der Wissenschaft zählt immer noch häufig die Quantität nicht die Qualität der Forschung. Es ist zum Beispiel wichtig, viel zitiert zu werden. Das gilt als Qualitätsmaß. Nur wenn man sehr viel publiziert, sind auch eher Publikationen dabei, die häufiger zitiert werden. Das kostet aber viel Zeit.
Ein Problem sind auch die vielen Befristungen. Auch bei mir war es so, dass mit Vertragsende der Mutterschutz startete und ich nach dem Mutterschutz keinen Vertrag mehr hatte. Mit Glück hat man - wie ich damals - einen fördernden Chef, der einem als Geburtsgeschenk eine neue Stelle überreicht. Wenn man Pech hat, ist man nach dem Mutterschutz arbeitslos. Das hält viele Frauen, die in der Wissenschaft bleiben wollen, davon ab Kinder zu bekommen.
Was könnte diese Strukturen aufbrechen?
Hölzel: Was einfach wäre, aber politisch schwer durchsetzbar ist: Die Verschiebung der Gelder aus diesem Wettbewerbs-Ansatz in die Grundfinanzierung. Die Universitäten sind ja unglaublich schlecht grundfinanziert. Ansonsten macht es natürlich Sinn darauf zu achten, dass Auswahl- und Entscheidungsgremien möglichst ausgewogen besetzt sind. Wenn ich den großen Wurf wüsste, um es aufzulösen, wäre es schon passiert.
Viele Frauen werden sich dieser problematischen Strukturen erst relativ spät im Leben bewusst. Man wird auf niedrigen Karrierestufen von Männern sehr oft auch gefördert. Das ist eine Rolle, die Männer ganz gerne einnehmen. Erst, wenn man an diesen Punkt der Gleichwürdigkeit kommt, dann greifen die "Pfründe-Schutz-Programme".
In Wissenschaft und Forschung geht’s nicht ohne gute Netzwerke - inwiefern ist es für Frauen schwierig, in männliche Seilschaften reinzugrätschen und selbst Networking zu betreiben?
Hölzel: Es stimmt. Die wichtigen Netzwerke, die wichtigen Knotenpunkte sind oft mit Männern besetzt. Ein Problem: Netzwerken kostet Zeit und findet oft zu Zeiten statt, die nicht familienfreundlich sind. Da merke ich eine gewisse Entwicklung, dass auch mehr junge Professoren Familienverantwortung übernehmen und auch mal sagen: Müssen wir dieses Meeting am Wochenende haben, muss es abends sein, kann es nicht mittags stattfinden? Da sieht man mit der neuen Männergeneration einen Strukturwandel.
In Wissenschaft und Forschung kommt man nicht ums "Klappern" herum, also selbstbewusst Kompetenzen und eigene Leistungen zur Schau zu stellen. Alten Rollenbildern nach sollten Frauen allerdings lieber bescheiden und nett sein. Ist das ein Problem für Frauen, die Karriere machen wollen?
Hölzel: Es sind andere weiblich konnotierte Eigenschaften, die ich problematisch finde. Es gibt eine Fürsorgeerwartung an Frauen - ich werde zum Beispiel öfter mit Schicksalsschlägen von Studierenden konfrontiert, die sich da Rat und Verständnis erhoffen. Das ist auch ein Teil der Aufgabe, die ich wichtig finde und gern wahrnehme. Dazu sollen sich Frauen mehr ins Gemeinwohl einbringen, auch mehr Gremienarbeit übernehmen. Und es wird auch in der Kollegenschaft übel genommen, wenn sie diese Erwartungen nicht erfüllen. Ich bin meistens fein raus, weil ich sage: Ich backe dann einen Kuchen, wenn der erste Kollege einen Kuchen mitgebracht hat.
Dazu wird es Frauen relativ stark verübelt, wenn sie bestimmte Rollenerwartungen nicht erfüllen. Es wird ein höheres Maß an Freundlichkeit erwartet. Wenn mein Kollege eine E-Mail ohne Begrüßung und Verabschiedung schreibt, wird interpretiert: Der ist im Stress. Wenn ich das tue, heißt es: Die ist aber unfreundlich. Mit dem "Klappern" ist es ähnlich. Es gibt Frauen, die das gut können, die diese Bescheidenheit ablegen und auch darstellen, was sie erreichen. Allerdings sind diese Frauen dann tatsächlich unbeliebt. Man kann nicht gemocht werden und gleichzeitig seine Verdienste in den Vordergrund stellen.
Ich habe eine Kollegin, die ist sehr erfolgreich und still, bescheiden und beliebt. Warum? Weil sie ungefähr den dreifachen Output und den dreifachen Erfolg dessen hat, was ähnlich anerkannte Männer haben.
Man wird als Frau auch leichter angegriffen, wenn man sich exponiert. Insofern vergewissern sich Frauen auch immer noch mehrfach, dass das, was sie leisten, wirklich überdurchschnittlich ist, bevor sie damit sozusagen hausieren gehen. Ich glaube, das fällt Männern leichter zu sagen: Das habe ich fantastisch gemacht.
Würden sie Frauen raten, sich "männlichen Regeln" anzupassen - oder wäre das kontraproduktiv?
Hölzel: Es gibt auch Frauen, die Lust am Wettbewerb haben. Ich glaube aber, es gibt mehr Frauen, die Lust auf Kooperation haben - die Lust haben, gemeinsam etwas zu erreichen. Ich fände es nicht begrüßenswert, wenn die Frauen "männlicher" werden, weil ich von diesen kooperativen Ansätzen überzeugt bin. Ich bin ja auch Diversitätsbeauftragte. Ich glaube, die Universität profitiert von diversen Strukturen und die erreichen wir nicht, indem wir die Frauen dahin coachen, dass sie sich männlicher verhalten.
Mal abgesehen davon, dass gleiche Karrierechancen für alle selbstverständlich sein sollten: Inwiefern würden mehr Frauen in höheren Positionen Forschung und Wissenschaft guttun?
Hölzel: Zunächst würden Frauen profitieren, weil man aus der Forschung weiß: Es braucht einen Anteil um die 30 Prozent, damit individuelles Verhalten als solches wahrgenommen wird und nicht der Gruppe zugeschrieben wird, aus der sie kommt. Ein Beispiel: Der Rücktritt der CAU-Präsidentin Simone Fulda: Da wurden in der Berichterstattung viele andere Rücktritte von Frauen thematisiert.
Dazu kommt: Je unterschiedlicher die Menschen in exponierten Positionen sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden. Deswegen brauchen wir Menschen mit und ohne Kinder, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Migrationsgeschichte, Männer, nicht-binäre Menschen - und eben auch Frauen.
Das Interview führte NDR1 Welle Nord-Reporterin Astrid Wulf.