Seehundjäger Karl-Heinz Kolle war beim Bundespräsidenten

Stand: 10.01.2023 19:49 Uhr

Besondere Ehre für Seehundjäger Karl-Heinz Kolle aus Büsum. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat ihn und drei weitere Schleswig-Holsteiner ins Schloss Bellevue zu einem Empfang eingeladen. Grund ist ihr ehrenamtliches Engagement. Karl-Heinz Kolle ist seit fast 25 Jahren ehrenamtlicher Seehundjäger und rettet die Tiere aus lebensbedrohlichen Situationen.

von Sven Jachmann

"Na du. Ach, du bist aber lütt, dann wollen wir mal gucken." Karl-Heinz Kolle ist im Büsumer Watt unterwegs und nähert sich einem Seehundbaby - einem Heuler. Der Seehundjäger hat einen Kescher dabei. "In der Heulerzeit im Sommer landen nach einem Sturm öfter mal hilflose Seehundbabys im Watt." Bevor er es einfängt, untersucht er das Tier auf Verletzungen. Meistens sind die Tiere geschwächt. Dann bringt der Seehundjäger das Tier in die Seehundstation nach Friedrichskoog. Er hat das Ehrenamt Ende der 90er-Jahre übernommen. Ein älterer Kollege hatte ihn damals gefragt, ob er es übernehmen wolle. "Das seien maximal zehn Einsätze im Jahr, meinte der ältere Kollege damals. Und ich dachte in dem Moment, das kriege ich hin."

Viel Arbeit neben dem Job

Das Restaurant "Alter Muschelsaal" in Büsum wird in vierter Generation von der Familie betrieben. © NDR Foto: Sven Jachmann
Das Restaurant "Alter Muschelsaal" von Karl-Heinz Kolle. Die Familie führt den Betrieb in vierter Generation. Sein Großvater hatte das Haus kurz nach dem Ersten Weltkrieg erworben.

Eigentlich hat Karl-Heinz Kolle als Restaurantinhaber schon einen Fulltimejob "und im ersten Jahr hatte ich schon 25 Einsätze, das hatte sich dann über die Jahre so ein bisschen gesteigert", erinnert sich der gelernte Koch. Deshalb holte er sich Verstärkung. Heute betreuen sie zu dritt einen 70 Kilometer langen Strandabschnitt von der Eidermündung im Norden am Wesselburenerkoog bis zur Meldorfer Bucht im Süden. Inzwischen gibt es insgesamt 55 Seehundjäger an Ost- und Nordsee.

Einladung ins Schloss Bellevue mit Werbung verwechselt

Der 60 Jahre alte Küchenmeister ist einer von ihnen und war nun stellvertretend für seine Kollegen vom Bundespräsidenten nach Berlin eingeladen worden. Die Einladung kam in einem braunen DIN A 5 Umschlag mit Sichtfenster. "Mein Sohn und ich dachten zuerst, das sei Werbung von einem Weinschloss." Er legte den Brief erst einmal zur Seite. Als er ihn schließlich öffnete, war die Überraschung groß. "Da musste ich mich erst mal hinsetzen und war auch etwas erschrocken. Was für eine Wertschätzung für mich und meine Kollegen." Der Bundespräsident hat aus jedem Bundesland Menschen eingeladen, die ein Ehrenamt übernommen haben. Aus Schleswig-Holstein kamen: Wyona Megsner aus Kiel, Mitglied der DRK-Wasserwachtleitung, Marion Pagel aus Horst, die sich seit 2011 für Flüchtlinge einsetzt und Professor Karl Heinrich Pohl aus Sehestedt, der sich ehrenamtlich in der wissenschaftlichen Beratung der Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen in Schleswig-Holstein engagiert.

Berufsbezeichnung: Seehundjäger und nicht Ranger

Der kleine Heuler "Meike" liegt auf einem Handtuch. © Seehundstation Friedrichskoog gGmbH
Viele Heuler verdanken Seehundjägern wie Karl-Heinz Kolle ihr Leben.

Mit Karl-Heinz Kolle war eben auch der Seehundjäger aus Büsum dabei. Auf die Bezeichnung legt er großen Wert. "Wir sind keine Ranger. Wir sind Seehundjäger. Wir jagen sie zwar nicht, sondern retten sie. Aber, wenn ein Seehund sehr stark verletzt ist, müssen wir ihn auch erlösen. Also erschießen." Da redet er nicht drumherum. Der Büsumer Gastronom und Jäger hat über die Jahre allerhand erlebt da draußen im Watt. Es kommt auch schon mal vor, dass sich ein Seehund in die Familienlagune verirrt. "Das war ein schwer verletztes Tier." Karl-Heinz Kolle ist ein Menschenfreund, aber wenn er sich an das Verhalten der Menschen erinnert, kann er sich auch mal leicht aufregen. "Eine Mutter war gerade dabei, ihr Kind auf das Tier zu setzen, für's Foto. Das müssen Sie sich mal vorstellen."

Seehund aus Kernkraftwerk geborgen

Ist er einmal ins Erzählen gekommen, ist er kaum zu bremsen. Vor etlichen Jahren rief nachts um halb zwei die Polizei bei ihm an. Kolle erinnert sich daran, als wäre es eben erst passiert.

"Der Beamte war richtig happy, dass er mich erreicht hatte. Ich sagte aber gleich zu ihm, jetzt mitten in der Nacht gehe ich nicht an den Strand, das ist zu gefährlich."
"Da wo der Seehund ist, ist es aber taghell."
"Wie? Wo ist es denn jetzt am Strand taghell."
"Im Kernkraftwerk."

Zwei Stunden später war Karl-Heinz Kolle in Brokdorf. Ein 60 Kilo schwerer Seehund, ein Weibchen, schwamm im Becken der Kühlwasser-Anlage und fraß Fisch. Mit seinem Kescher fing er das Tier ein und mit vereinten Kräften zogen sie es aus dem Becken. "Zum Glück war das Weibchen ganz entspannt und ruhig. Die war wohl selber froh, dort raus zu sein." Am nächsten Morgen brachte er sie nach Friedrichskoog. Von dort wurde sie wieder ausgewildert. "Wenige Tage später fand ich sie wieder in der Nähe am Kernkraftwerk. Die fühlte sich dort total wohl, weil es dort auch reichlich zu fressen gab."

Der Seehundflüsterer

Karl-Heinz Kolle steht auf einem Deich und hat ein Fernglas um den Hals gehängt. © NDR Foto: Sven Jachmann
Karl-Heinz Kolle engagiert sich seit fast 25 Jahren als Seehundjäger. Gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen ist er für einen 70 Kilometer langen Strandabschnitt an der Westküste verantwortlich.

Doch nicht immer lassen sich die Tiere so einfach fangen. Oft liegen sie auch im Schlick. Dann wird es schwierig für den Seehundjäger. "Sie können dann schnell mal bis zur Brust im Schlick einsinken und kommen allein nicht mehr heraus." Stattdessen ruft er die Seehundbabys zu sich. Das hat ihm von den Kollegen schon den Spitznamen Seehundflüsterer eingebracht. Denn Seehundbabys kommunizieren mit der Mutter über die heulenden Rufe. "Jeder klingt anders. Aber das ist schon ganz niedlich, wenn es mir gelingt, den Ton zu treffen. Schon manches Baby hat gedacht, ich sei seine Mutter und kam über den Schlick zu mir gekrochen." Manchmal lässt er die Babys auch liegen. Denn die Mutter ist nur kurz auf Nahrungssuche und nicht allzu weit weg.

Biss auf den Knochen

Der erfahrene Jäger will aber nicht den Eindruck aufkommen lassen, als sei er in einem großen Streichelzoo unterwegs. Robben und Seehunde sind Raubtiere. Ein Seehund, sagt er, ist vergleichbar mit einem Wildschwein. Als er mal einen Seehund untersuchen wollte, biss der zu. "Er biss mir in den Daumen und das Blut schoss in Strömen aus der Bisswunde heraus", erinnert er sich. Als er mit der anderen Hand den Kopf des Tieres nach unten drückte, biss er noch einmal zu. "Das war sehr schmerzhaft. Der Arzt meinte sogar noch, er müsse schauen, ob er nicht einen Teil des Fingers amputieren müsse." Der Biss ging bis auf den Knochen und noch heute fehlt ihm an der Stelle etwas Gefühl. Der Finger blieb dran.

Arbeiten an der Nordsee: Einfach nur schön

Karl-Heinz Kolle will sich noch möglichst lange als Seehundjäger an der Westküste engagieren. Das ist schließlich sein Revier, seine Heimat. "Ich bin an der Küste aufgewachsen, als kleine Jungs haben wir hier herumgetobt." Er liebt den Umgang mit den Tieren. Es sind nicht nur die Robben und Seehunde. Auch Schweinswale, Pottwale, Delfine gehören dazu. "Ich liebe die Nordsee, ich liebe es, in der Natur zu sein. Das kann man nicht mit einem Wald vergleichen." Manchmal fährt er auch einfach mal nur so hier raus. Dann setzt er sich irgendwo hin. "Dann hören Sie nur den Wind, die Vögel, das Wasser. Es ist einfach nur wunderschön."

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Junge Seehunde sind kurz vor der Fütterung in einem Becken in der Seehundstation Friedrichskoog zu sehen. © picture alliance/dpa/Christian Charisius Foto: Christian Charisius

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 10.01.2023 | 07:00 Uhr

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