Schleifähre "Missunde": Chronologie des Scheiterns
Eine neue Vier-Millionen-Euro-Fähre, die ihrem Gewässer nicht gewachsen ist. Eine alte Fähre, die das Land erst abgestoßen hatte und dann "doppelt" zurückkaufen musste: die "Missunde"-Chronik.
Wie stürmisch das Fährgeschäft fürs Land Schleswig-Holstein geworden ist, sieht man dem ruhigen Wellengang auf der Schlei gar nicht an. Ebenfalls nicht zu sehen ist die neue Fähre "Missunde III", die eigentlich längst an einem Führungsseil zwischen den Ufern von Missunde (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und Brodersby-Goltoft (Kreis Schleswig-Flensburg) pendeln soll. Ende 2025 wird sie laut Landesbetrieb für Küstenschutz (LKN) jetzt ihren Dienst aufnehmen. Ursprünglich war der Fährstart vor knapp zwei Jahren geplant.
Auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein teilt der LKN nun mit, dass die Baukosten für die elektrische Seilfähre "Missunde III" aktuell bei rund 4 Millionen Euro liegen. Weitere teure Umbauten auf Kosten der Steuerzahler drohen. Was ist da alles schief gelaufen? Eine detaillierte Spurensuche von den Anfängen der Planung im Jahr 2019 bis heute.
2019: Die Studie
Im Frühjahr 2019 gibt das Land Schleswig-Holstein eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Thema: Zustand der "Missunde II" und die Rahmenbedingungen für einen möglichen Fähr-Neubau. Den Zuschlag dafür erhält das Konstruktionsbüro Buchloh. Es ist die gleiche Firma, die später auch den Auftrag für die Planung der "Missunde III" erhalten wird. Für die Studie gibt das Land insgesamt rund 106.000 Euro aus. Das geht aus einer Antwort von Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) auf Nachfragen aus dem Wirtschafts- und Digitalisierungsausschuss des Landtages hervor.
Das Ergebnis: Die zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alte "Missunde II" sei in einem "überdurchschnittlich schlechten Zustand". In der Studie sind unter anderem gravierende Schäden an der Stahlkonstruktion dokumentiert. Die Studie bewertet auch die Instandhaltung der Fähre als "ungenügend". Weil die Modernisierung und klimaneutrale Elektrifizierung der alten Fähre ähnlich viel kosten würde wie ein neues Schiff, nämlich rund 1,7 Millionen Euro, schlägt das Konstruktionsbüro Buchloh einen Neubau vor, der etwa so groß sein soll wie die "Missunde II".
2020: Die großen Pläne
Im Oktober 2020 erhält das Konstruktionsbüro Buchloh nach dem Auftrag für die Machbarkeitsstudie auch den Zuschlag für die Planung der neuen Fähre. Land und Konstruktionsbüro entwickeln die Idee einer doppelt so großen elektrischen Seilfähre mit Solardach und wesentlich mehr Traglast. "Leiser, emissionsfrei und deutlich größer" - so wirbt das Land fortan für seine neue Fähre. Involviert in die Pläne waren neben dem Landesbetrieb für Küstenschutz auch das Wirtschaftsministerium und das Ministerium für Energiewende.
Hauptargument für eine größere Fähre: die Annahme, dass das Verkehrsaufkommen in der Region steigen würde. Die neue Fähre könne auch Reisebusse und landwirtschaftliche Fahrzeuge über die Schlei bringen. Aber gibt es dafür überhaupt Bedarf? Auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein teilt der LKN mit, dass es vorab "keine konkreten Untersuchungen" zur Verkehrsentwicklung in der Region gegeben habe.
Fährpächter Rüdiger Jöns hat den LKN nach eigenen Angaben früh darauf hingewiesen, dass es aus seiner Sicht keine Notwendigkeit für eine derartige Kapazitätserhöhung gebe. "Wir befördern zu 90 Prozent Pkw, Fahrradfahrer und Passanten", sagt Jöns. Bis zu 120.000 Fahrzeuge und 50.000 Fahrräder werden von der "Missunde II" nach Landesangaben pro Jahr über die Schlei gebracht. Laut LKN soll die Vergrößerung des Schiffes nicht nur die Kapazität erhöhen, sondern auch zu mehr Stabilität im Haveriefall beitragen.
2021: Der Baustart
Nachdem im März 2021 die Entscheidung für die größere Fähre fällt, schreibt das Land den Bau des Schiffes aus. Man geht zunächst von Kosten in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro aus. Den Zuschlag erhält die Schiffswerft Barthel GmbH aus Derben in Sachsen-Anhalt mit dem wirtschaftlichsten Angebot in Höhe von gut 3,3 Millionen Euro. Bis Herbst 2022 soll die neue Fähre fertig sein. Im Oktober läuft nämlich die Fährerlaubnis für die "Missunde II" ab.
2022 und 2023: Immer wieder Verzögerungen und Fährausfälle
Ab Mitte August 2022 fällt der "Missunde"-Fährbetrieb zum Leidwesen der Anwohnenden für den Rest des Jahres aus, weil das Land die Rampen für den Start der neuen "Missunde III" umbauen muss. Die Bauarbeiten an den Ufern verzögern sich wetterbedingt. Auch die Bauarbeiten auf dem Schiff laufen nicht nach Plan, und zwar "aufgrund der Nicht-Lieferbarkeit elektrischer Komponenten in Folge des Ukraine-Krieges." Erst soll die neue Fähre im April 2023 ihren Dienst antreten. Später ist dann die Rede vom Sommer 2023.
Als das Schiff dann fertig ist, verhindert das dauerhafte Niedrigwasser ein Übersetzen der Fähre aus Sachsen-Anhalt. Von Ende Januar 2024 ist jetzt die Rede. Der Weiterbetrieb der "Missunde II" sei wegen des abgelaufenen Fährzeugnisses nur wegen einer Ausnahmeregelung möglich, heißt es vom LKN. Die Tragfähigkeit wird aus Sicherheitsgründen reduziert - und zwar von 22,5 auf 7,5 Tonnen.
Januar 2024: Probleme bei Testfahrten
Anfang Januar 2024 beginnen die Testfahrten der "Missunde III". LKN-Erkenntnis: Die Anleger müssen verbreitert werden, "um ein sicheres Anlanden auch bei kräftigen Winden und starker Strömung garantieren zu können." Es würden Zusatzkosten in Höhe von rund 100.000 Euro entstehen.
Der Fährbetrieb fällt aus - auch nach der Schiffstaufe am 31. Januar. Aber: "Wenn alles reibungslos klappt, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir die neue Fähre schon vor Mitte März in Dienst stellen können", sagt Fabian Lücht vom LKN.
Februar 2024: Verkauf der "Missunde II"
Obwohl Testfahrten im Januar bereits Probleme beim Anlegen durch das größere Gewicht der Fähre offenbarten, verkauft der LKN die Schleifähre "Missunde II" am 20. Februar zum Schrottwert von rund 17.000 Euro an einen dänischen Eigentümer. Unterdessen müssen Anwohnende durch den andauernden Fährausfall weiterhin große Umwege fahren.
März 2024: "Wir bitten um Entschuldigung"
Das Land räumt langwierige Umbauarbeiten ein. Die neue Fähre kann ab Windstärke 3, also bei mäßigen Windgeschwindigkeiten von 12 bis 19 Kilometern pro Stunde, nicht sicher anlegen. Im Ergebnis der Erprobungsfahrten sei deutlich geworden, dass umfangreiche Nachbesserungen nötig seien. Dies betreffe insbesondere Leitwerke im Bereich der Anlegestellen, um die Fähre auch bei stärkeren Winden einzufangen und sicher an die Rampen zu führen. "Die belastende Situation für die Region ist allen Beteiligten des Land Schleswig-Holstein bewusst, wir bitten um Entschuldigung", teilt LKN-Mann Lücht mit. Umfangreiche Testfahrten mit dem "Unikat" hätten vor der Auslieferung nicht stattfinden können, da es sich um eine Seilfähre handele, die nur an Ort und Stelle getestet werden könne. Experten und der Fährpächter Rüdiger Jöns sprechen von "offensichtlichen Konstruktionsfehlern".
Ein Rückkauf der zuvor abgestoßenen "Missunde II" wird ins Spiel gebracht, doch das Land blockt ab: "Die Fähre gehört uns nicht mehr. Da hätte man mit dem neuen Eigner vielleicht noch einen Deal treffen können. Aber es wäre dann an dem fehlenden Fährzeugnis in jedem Fall gescheitert", sagt Lücht. Diese Darstellung steht im Widerspruch zu einer Aussage der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, dass eine Fährerlaubnis bis zum 10. April vorliegt. Gegenüber NDR Schleswig-Holstein bewertet der LKN einen Weiterbetrieb der Fähre nach dem 10. April als unwirtschaftlich.
April 2024: Der Rückkauf, erster Akt
Das Land kauft die alte Schleifähre "Missunde II" für rund 50.000 Euro zurück, nachdem sie das Schiff zuvor zum Schrottwert verkauft und einen Weiterbetrieb nahezu ausgeschlossen hatte. "Offensichtlich war das ein Fehler, weil wir sie ja gut hätten brauchen können. Aber das hätte man damals, als man die Entscheidung getroffen hat, nicht wissen können", sagt Wirtschaftsstaatssekretär Tobias von der Heide bei einem Vor-Ort-Termin in Brodersby. Dort werden auch Zweifel laut, ob die Missunde III mit ihrer Größe grundsätzlich für den Fährverkehr auf der Schlei geeignet ist. Der LKN gibt sich optimistisch, dass die "Missunde III" ab Ende September 2024 fährt. Viele der rund 40 anwesenden Zuschauer glauben nicht daran. Sie äußern Frust und Unverständnis.
Juli 2024: Verzögerungen und die Frage nach der Verantwortung
Während die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes die Betriebserlaubnis für die zwischenzeitlich ausrangierte "Missunde II" bis 2028 verlängert, verzögert sich der Start der "Missunde III" laut Wirtschaftsministerium bis Ende 2025. Ob die Verantwortung für die aktuelle Misere beim LKN oder beim Konstrukteursbüro liegt, soll laut Wirtschaftsministerium jetzt eine rechtliche Überprüfung klären.
September 2024: Der Rückkauf, zweiter Akt
Weil sich der ehemalige dänische Eigentümer ein Rückkaufrecht für die "Missunde II" gesichert hat und ab Herbst eine monatliche Miete von rund 5.000 Euro vereinbart wurde, legt das Land noch einmal 50.000 Euro hin: rund 100.000 Euro also für den "doppelten" Rückkauf der ursprünglich für 17.000 Euro verkauften Fähre. Auf NDR Anfrage heißt es vom LKN: "Es gab keinen Anlass, davon auszugehen, dass die MIII [Missunde III, Anm. d. Red.] nicht nach einer gewissen Testphase in Dienst gestellt werden könnte. Im LKN.SH gab es keine Verwendung für die MII [Missunde II, Anm. d. Red.], weshalb sie, um weitere Liege- und Unterhaltungskosten zu sparen, verkauft wurde."
Weiter heißt es vom LKN, dass die Kosten für die neue Schleifähre "Missunde III" rund 700.000 Euro höher als bereits bekannt sind: "Die Baukosten für die Fähre beliefen sich seinerzeit auf 3,3 Millionen Euro, dazu kamen weitere 450.000 Euro für neue Keile, da die Anlegesituation an beiden Schleiufern für die "Missunde III" angepasst werden mussten. Stand heute hat die neue Fähre, inklusive der Keile, rund vier Millionen Euro gekostet." Wie hoch die Umbaukosten werden, sei noch unbekannt. Auch die "Missunde II" soll Ende Oktober für Reparaturarbeiten zwei Wochen lang in die Werft. Der LKN kalkuliert dafür nach eigenen Angaben mit Kosten von bis zu 100.000 Euro. Fortsetzung folgt.