Pläne für weniger Gerichte in SH: Opposition im Landtag zürnt
Die Kritik an der geplanten Zusammenlegung der Sozial- und Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein reißt nicht ab. Die zuständige Ministerin verteidigt ihre Pläne im Landtag am Freitag als "alternativlos" - die Opposition regt das erst recht auf.
Nach der scharfen Kritik von Berufs- und Sozialverbänden der vergangenen Tage meldet sich kurz vor der Landtagsdebatte noch die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten zu Wort: Dass insbesondere die Sozialgerichte "an einem einzelnen Standort im Land zentriert werden sollen, ist in meinen Augen absurd und macht mich fassungslos", so Samiah El Samadoni. Es würde die "Bürgernähe gänzlich aufheben", befürchtet sie, "und damit für Entfremdung und Vertrauensverlust sorgen". Die Landesregierung hatte am Montag bekanntgegeben, die vier Sozialgerichte sowie die fünf Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein an einem Standort zusammenfassen zu wollen.
Im Landtag ist die Zahl der Juristen auf der Besuchertribüne am Freitag deutlich höher als sonst. Richterverband und Landesgerichte sind vertreten. Die SPD hatte in einem Dringlichkeitsantrag einen Bericht der Justizministerin auf die Tagesordnung gesetzt. "Mir ist bewusst, dass wir der Justiz viel zumuten", sagt Kerstin von der Decken (CDU) dann im Plenarsaal: "Und ich nehme diese Sorgen sehr ernst."
Ministerin von der Decken: Lieber Gebäude streichen als Stellen
Das Land, argumentiert Ministerin von der Decken, könne es sich aber nicht leisten, den Sanierungsstau an den Gerichten zu beheben. Hintergrund sei die schwierige Haushaltslage. Viele Gerichte seien außerdem sehr klein. Stattdessen will die Landesregierung einen zentralen Standort mieten, an einem gut erreichbaren Ort. Die Alternative dazu seien "pauschale Stellenkürzungen", sagt von der Decken. Und die wären aus ihrer Sicht "nicht nur härter, sondern falsch".
Dass es vorher keine Anhörung oder Beteiligung der Betroffenen gab, begründet von der Decken damit, dass es um vertrauliche Haushaltsentscheidungen ging. Es werde nun ein Anhörungsverfahren geben. Die Pläne für eine Gerichtsreform nennt sie "alternativlos."
SPD-Mann Timmer wirft Ministerin fehlende Menschenkenntnis vor
Genau dieses Wort bringt die Opposition erst richtig in Rage. Der FDP-Mann Bernd Buchholz findet es "waghalsig" von der Ministerin, am Anfang des Verfahrens schon von Alternativlosigkeit zu sprechen - und kündigt "entschiedenen Widerstand" an. Marc Timmer von der SPD wirft der Ministerin mangelndes Einfühlungsvermögen und fehlende Menschenkenntnis vor. "Das sind keine Büromöbel, die man nach Belieben verschieben kann", stellt er mit Blick auf die an den Gerichten Beschäftigten fest.
Und Lars Harms vom SSW verweist auf die Rechte des Parlaments: "Wenn wir wollen, dass wir in der Fläche Justiz haben, dann haben wir in der Fläche Justiz." Soll heißen: Der Landtag kann die Reformpläne noch verändern.
Die Regierungsfraktionen stärken der Ministerin zwar den Rücken, können aber nachvollziehen, dass die Betroffenen geschockt sind. Jan Kürschner von den Grünen sagt, der Plan für die Reform "entspringt allein der Not".
Zusammenlegung von Gerichten in möglichst zentraler Lage anvisiert
Konkret ist unter anderem geplant, die vier Sozialgerichte in Itzehoe (Kreis Steinburg), Kiel, Lübeck und Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) sowie die fünf Arbeitsgerichte in Elmshorn (Kreis Pinneberg), Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster an einem Standort zusammenzufassen. Kriterien für die Standortwahl sind laut Justizministerium eine möglichst zentrale Lage in Schleswig-Holstein, eine gute Erreichbarkeit, die erforderliche Größe und eine zeitnahe Nutzungsmöglichkeit.
Darüber hinaus ist geplant, dass das Finanzgericht von Kiel nach Schleswig zieht. Die Pläne sollen bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im Jahr 2027 abgeschlossen sein. Mittelfristig sollen außerdem die Amtsgerichte überprüft und auf ein Gericht pro Kreis reduziert werden. Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein insgesamt 22 Amtsgerichte. Wie die Struktur der Gerichte im Land in Zukunft genau aussehen soll, ist noch nicht bekannt.
Richterverband zeigt sich "fassungslos", Pläne seien nicht wirtschaftlich
Nach Bekanntwerden der Pläne des Justizministeriums hatte der schleswig-holsteinische Richterverband der Koalition "Gutsherrenart" vorgeworfen: "Mehrere Hundert Beschäftigte von insgesamt zehn betroffenen Fachgerichten unangekündigt und ohne jeden Dialog quer durchs ganze Land versetzen zu wollen, haben wir bislang in Schleswig-Holstein für unvorstellbar gehalten", sagte die Vorsitzende, Christine Schmehl.
"Das ist eine Kommunikationsweise, die ins 21. Jahrhundert nicht mehr gehört, das gehört für mich eher in die Kaiserzeit." Christine Schmehl, Vorsitzende des Richterverbands
Schmehl bezweifelt nach eigenen Angaben außerdem, dass die Pläne wirtschaftlich sind, weil der tatsächliche Investitionsbedarf nicht offengelegt worden sei. Sie erwartet, dass das Justizministerium jetzt auf alle Betroffenen zugeht.
Sozialgerichte sind etwa für Rechtsstreitigkeiten bei Krankheit zuständig
Auch der Landesverband Schleswig-Holstein der "Neuen Richtervereinigung" spricht von einer "Bringschuld" der Justizministerin. Die Pläne seien ein "Schlag ins Gesicht der Justiz", teilte Sprecher Michael Burmeister mit.
Sozialgerichte sind unter anderem in Fällen von Rechtsstreitigkeiten rund um Krankheit oder beispielsweise Behindertenstatus zuständig. An Arbeitsgerichten werden unter anderem Fälle von Kündigungen verhandelt.
Justizministerin von der Decken kündigte in ihrem Bericht einen "intensiven Austausch" über das Thema an. Die Landtagsdebatte vermittelte davon einen ersten Eindruck.