Mit Rollstuhl im Lübecker Altbaubüro: So klappt Inklusion im Job
Der Diversity Tag soll Unternehmen Lust auf mehr Vielfalt und Inklusion machen. Viele Firmen in Schleswig-Holstein kommen ihrer Pflicht, Menschen mit Behinderungen einzustellen, nicht nach. Es gibt jedoch Beispiele, die zeigen, wie Inklusion gelingen kann.
Ein verwinkelter Altbau an der Lübecker Untertrave: Hier arbeitet das sechsköpfige Team der Webdesign-Agentur Hansolu. Für Webdesigner Paul Sznabel dürften die Büroflure nicht viel enger sein, mit seinem Rollstuhl passt er gerade so überall durch. Das Badezimmer neben dem Konferenzraum wurde für ihn umgebaut, jetzt gibt es neben der Toilette Haltegriffe, der Spiegel am Waschbecken wurde etwas niedriger angebracht. Die Kosten dafür hat die Agentur für Arbeit übernommen.
"Wir wissen nicht, ob es passt, aber komm vorbei"
Der 34-Jährige wurde mit einer Fehlbildung der Wirbelsäule geboren und ist halbseitig gelähmt. Ein Träger, der Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt vermittelt, half ihm bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und wandte sich an die Lübecker Webdesign-Agentur "Hansolu". Paul Sznabel erinnert sich: "Sie sagten: Wir wissen nicht, ob es passt, aber komm vorbei." Solch eine Unbefangenheit habe er zuvor bei der Jobsuche selten erlebt, stattdessen viele Absagen bekommen.
Paul Sznabels Kollege Nils Dardemann hatte allerdings zunächst Bedenken: "Das war total abwegig, weil es hier so eng und verwinkelt ist." Dazu kamen noch andere Vorbehalte: "Ich hatte die Annahme: Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, braucht der auch Unterstützung. Dass Paul extrem viele Sachen selber bewältigen kann, weil er sportlich ist, das stellt man sich gar nicht so vor." Mittlerweile ist Paul Sznabel seit zehn Jahren dabei und gehört fest zum Team.
Weniger als jedes zweite Unternehmen in SH besetzt Pflichtarbeitsplätze
Anders als die kleine Lübecker Webdesign-Agentur sind Firmen mit mindestens 20 Mitarbeitenden dazu verpflichtet, Menschen mit Einschränkungen zu beschäftigen. Bei der Quote von fünf Prozent wäre das bei einem Unternehmen mit 20 Mitarbeitenden ein Arbeitsplatz. Andernfalls muss eine Ausgleichsabgabe gezahlt werden, bis zu 720 Euro monatlich pro nicht besetzter Stelle. Und viele Firmen zahlen, statt Menschen mit Einschränkungen einzustellen. 6.000 Unternehmen in Schleswig-Holstein sind von der Regelung betroffen, rund 42 Prozent kommen ihrer Pflicht nach - soweit die aktuellsten Zahlen von der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit.
Dahinter stecken oft Vorurteile, die auch "Hansolu"-Kollege Nils Dardemann im Kopf hatte. Michaela Pries, Schleswig-Holsteinische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung weiß: Oft werden Menschen mit Beeinträchtigungen von Unternehmen nicht als Chance, sondern als Belastung gesehen. Zu Unrecht, sagt Michaela Pries: "Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Behinderung, kann eine gute Arbeitsleistung erbringen und Aufgaben gut erfüllen." Dazu wüssten viele Verantwortliche nicht, dass es umfangreiche Beratungsangebote und auch finanzielle Unterstützung wie Gehaltszuschüsse gibt.
Aktion Mensch: Kleine Unternehmen offen für Menschen mit Beeinträchtigungen
Es gibt auch eine positive Entwicklung: Gerade kleine Unternehmen wie "Hansolu" beschäftigen immer öfter Menschen mit Beeinträchtigungen. Zwischen 2015 und 2020 hätten sie 33 Prozent mehr Menschen mit Behinderungen eingestellt, sagt Christina Marx vom Verein "Aktion Mensch: "Gerade kleine Unternehmen aus dem Handwerk und dem Dienstleistungssektor sagen: Ich probiere das jetzt mal aus."
Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung Michaela Pries glaubt dazu, dass auch der Fachkräftemangel für Bewegung sorgen wird: "Wir haben eine Situation am Arbeitsmarkt, bei der Personal an allen Ecken und Kanten fehlt. Da muss es auch im Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer sein, auch Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen."
Webdesigner Nils Dardemann: "Diversität bringt bessere Ergebnisse"
Menschen mit Beeinträchtigungen seien dazu oft auch sehr gut ausgebildet und bringen besondere Stärken mit, sagt Christina Marx von "Aktion Mensch": "Sie haben gelernt, sich im Alltag selber zu organisieren. Davon profitiert auch ein Arbeitgeber, weil er einen gut strukturierten Arbeitnehmer mit Behinderung an Bord hat."
Auch Nils Dardemann von der Lübecker Webagentur ist davon überzeugt, dass mehr Diversität gut fürs Unternehmen ist. "Ich bin gezwungen, vielleicht auch mal eine andere Perspektive einzunehmen und das führt auch im Team dazu, dass man zu anderen Ergebnissen kommt - und die sind in der Regel besser."
Ob beim Mittagessen oder Kundentermin: Sichtbarkeit schafft Bewusstein
Für Paul Sznabels Kolleginnen und Kollegen spiele schon lange keine Rolle mehr, dass er im Rollstuhl sitzt. Es sei allerdings schon vorgekommen, dass er bei einem Außentermin im Auto warten musste, weil das Kundenbüro nicht barrierefrei war. Und Teamevents werden mittlerweile auch anders geplant, sagt Kollegin Andrea Haß: "Wir würden jetzt nicht gerade klettern gehen."
Ob bei der gemeinsamen Mittagspause in der Stadt oder im Gespräch mit Kundinnen und Kunden sorgt Paul Sznabel nebenbei dafür, dass Menschen mit Einschränkungen in ganz normalen Jobs sichtbarer werden, sagt er: "Es schafft einfach Bewusstsein."