Mit Karte und Kompass: Reservisten trainieren in Dithmarschen
Reservisten der Bundeswehr üben für den Ernstfall. Sie verzichten auf Schlaf, kämpfen sich durch Gelände und Bäche - eine von vielen Übungseinheiten im Rahmen des "Operationsplans Deutschland".
Draußen ist es nass und kalt, während sich am Freitagabend in der Wulf-Isebrand-Kaserne in Heide 170 Soldatinnen und Soldaten auf die Reserveübung "Eiswolf" vorbereiten. Aus insgesamt sechs Nationen, fünf davon in der NATO, kommen die Reservisten-Teams. Ihr Ziel ist es, unentdeckt eine rund 60 Kilometer lange Strecke durch den Kreis Dithmarschen zu absolvieren. Und das vor allem im Dunkeln.
Gefahr für Soldaten lauert überall
Neun Stationen mit Prüfungen warten dabei auf sie. Unterwegs lauert permanent die Gefahr, von der sogenannten "Opposing Force", also gegnerischen Kräften, aufgegriffen zu werden. Am Himmel kreisen Drohnen und Hubschrauber - auch vom Technischen Hilfswerk (THW) und der Bundespolizei. Für die zivilen Organisationen ist dieses Wochenende eine Übung der eigenen Fähigkeiten, aber auch der Zusammenarbeit mit dem Militär.
Marschland bestens geeignet
Für die Teams geht es querfeldein - nur mit Karte, Kompass und 20 Kilo Marschgepäck, inklusive Sturmgewehr. "Wir werden viel ausweichen müssen. Da sind viele Gräben und Marschland auf der Strecke", stellt Zeitsoldat Andy beim Blick auf die Karte fest. Übersetzt heißt das: Trocken bleibt hier niemand. Aus Sicherheitsgründen bittet die Bundeswehr darum, alle Beteiligten der Übung nur mit Vornamen zu nennen.
Beunruhigender Vorfall in der Nacht
Die ersten fünf von 40 Teams sind am Samstagvormittag nicht mehr dabei. Die Gründe für die Teams, aufzugeben, sind unterschiedlich: Verletzungen wie umgeknickte Knöchel sind dabei. Einige sind einfach mit der Kondition am Ende. Und Reservist Andreas, der die Operationszentrale leitet, erzählt auch von einem Vorfall in der Nacht, der allen kurzfristig Sorgen bereitete: "Einem unserer Leute ging es schlecht. Es war ein Verdacht auf einen Fehler am Herzen." Eine Wärmebilddrohne des THW konnte das Team schnell ausfindig machen. Ein Arzt gab dann Entwarnung.
"Drohne war vier Stunden über uns"
Die Prüfungen für die Teams reichen vom Schießen im Simulator bis zum Abseilen von einer Hochbrücke am Nord-Ostsee-Kanal. Die größte Herausforderung für alle ist aber der Weg zwischen den Aufgaben und die Beobachtung aus der Luft. "Die Drohne war vier Stunden über uns wie wir uns da durchs Gebüsch geschlagen haben", erzählt Reservist Jan. Er und sein Kamerad Henning sind mittlerweile 22 Stunden unterwegs. Wir treffen sie im Schützenloch. Kurz zuvor haben sie einen fiktiven Angriff auf ihre Stellung abgewehrt. "Wir sind 95 Prozent nur durchs Gebüsch gegangen. Von Koordinate zu Koordinate mit dem Kompass quer durch den Wald, mitten in der Finsternis."
Soldat: Wahrnehmung der Bundeswehr in Bevölkerung ändert sich
Einer von denen, die hier die Gegner spielen, ist Holger. Er ist aus Nordrhein-Westfalen angereist, macht zum elften Mal bei der Übung mit. Trotz Zeitenwende hat sich für ihn am Stellenwert der Übung nichts geändert. "Die waren schon vorher wichtig. Man muss auf Stand bleiben." Aber er merke, dass sich bei vielen Menschen, die bisher nichts mit der Bundeswehr am Hut hatten, ein Umdenken einstellt. "Ich nehme an vielen internationalen Märschen teil. Da kommen mittlerweile ungediente Zivilisten, Leute die noch nie was mit der Uniform zu tun hatten - und ziehen die an. Weil die was tun wollen." Ähnliche Geschichten berichten auch andere Soldatinnen und Soldaten während der Übung.
"Wir können das Land verteidigen"
Seit einem Jahr gibt es den "Operationsplan Deutschland", kurz OPLAN DEU. Sein Inhalt ist geheim, klar ist aber: Von derzeit 60.000 Posten der Reserve sind rund 34.000 besetzt. Hauptaufgabe im Ernstfall: Schutz von Infrastruktur und Zivilbevölkerung. Reicht das im Verteidigungsfall? "Wenn es jetzt drauf ankommt ist es nicht so desaströs, wie es in der Politik oder den Medien oft dargestellt wird. Wir können das Land schon verteidigen. Die Frage ist nur: Wie lange können wir es? Und was können wir als Bündnispartner unseren Alliierten anbieten", sagt Presseoffizier Frank Martin.
Sprung ins kalte Wasser
Bei der Übung im Kreis Dithmarschen ist es mittlerweile wieder dunkel geworden. Die Teams sind nun seit über 24 Stunden bei unter drei Grad Celsius unterwegs. Es ist feucht. Und dann das: An einer Station muss ein Wasserhindernis durchquert werden, die Ausrüstung wasserdicht verpackt. Die Begeisterung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen hält sich in Grenzen. Aber kaum jemand kneift. Zum Ende der Übung in der Nacht zu Sonntag haben vier von 40 Teams alle Stationen bewältigt. 29 sind bis zum Ende im Rennen geblieben.
Personal bei der Reserve fehlt
Anders könnte das "ins kalte Wasser springen" derzeit noch bei einem echten Verteidigungsfall aussehen. Lange wurde bei der Bundeswehr gespart. Das von der NATO ausgegebene Ziel, für 30 Tage selbstständige Kriegsführung, Munition vorzuhalten, verfehlt die Bundesrepublik drei Jahre nach der von Olaf Scholz ausgerufenen "Zeitenwende" immer noch deutlich. Auch bei der Reserve fehle es vor allem an Personal, sagt Presseoffizier Frank Martin. Es sei zwar schon sehr viel bewegt und verbessert worden bei Material und Ausbildung. Klar sei aber auch, das eine Landesverteidigung ohne Reserve nicht statt fände. "Wir brauchen dann sofort Menschen, die bereit sind sich die Uniform anzuziehen um dieses Land an gewissen Stellen zu verteidigen."