Mädchen-Gewalt in Heide: Hetze gegen mutmaßliche Täterinnen
Nach dem Bekanntwerden eines offenbar gewaltsamen Übergriffs durch Jugendliche auf eine 13-Jährige in Heide (Kreis Dithmarschen) hetzen Menschen in sozialen Netzwerken gegen die mutmaßlichen Täterinnen, die teilweise noch strafunmündig sind.
Schläge, Drohungen, Demütigungen - ein mehrere Minuten langes Video auf der Plattform TikTok zeigt, wie eine Gruppe Mädchen eine 13-Jährige misshandelt. Die Tat hatte sich bereits Ende Februar ereignet, drang aber erst Anfang der Woche an die breite Öffentlichkeit. Einige der mutmaßlichen Täterinnen sind noch nicht strafmündig und können deshalb nicht für die Tat angeklagt werden. Im Netz werden jetzt Profil-Namen und sogar die Klarnamen der mutmaßlichen Täterinnen geteilt- verbunden mit dem Ruf nach Selbstjustiz. "Wer kennt diese Mädchen???", heißt es in einem Clip auf TikTok, in dem Bilder des Tatvideos gezeigt werden. In den Kommentaren schreiben Nutzende Namen, andere fragen nach Adressen: "Wo findet man die hab mal wieder richtig bock auf Sportfest??" oder "bitte findet diese unmenschen und erteilt ihnen eine lektion!". Am Donnerstagnachmittag hat das Video bereits mehr als eine Million Aufrufe und es ist nicht das einzige.
Ständige Retraumatisierung durch Teilen des Videos
Manuel Munz, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel, erklärt, dass damit weder dem geschädigten Kind, noch dem, der es getan hat, geholfen werde. "Ich würde mir wünschen, dass solche Filme frühzeitig wieder gelöscht werden", erklärt Munz im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Denn für das Opfer bedeute die Verbreitung und das immer neue Aufgreifen eine ständige Retraumatisierung. Das Kind brauche Ruhe und vor allem Normalität, weiß Munz aus Erfahrung. Dabei meint er sowohl das ursprüngliche Video der Tat, als auch auf die Ausschnitte, die nun in anderen Videos kursieren.
In dem Alter könne man mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten noch nicht viel anfangen, so Munz. "Und so eine Inflation an flippigen Nachrichten und Gewalt und direkter Ansprache [in sozialen Medien, Anm. der Redaktion] mag dazu führen, dass eine gewisse Enthemmung da ist", sagt Munz.
Anstieg von Gewaltdarstellungen im Internet
Auch für die Tat selbst sieht der Psychiater den oft ungefilterten Zugang zu sozialen Medien als möglichen Ursprung. "Wir beobachten, dass die sozialen Medien dazu führen, dass die Kinder und Jugendlichen immer extremere Sachen konsumieren wollen oder dann auch selber produzieren." Durch den laut Munz inflationären Anstieg von Gewaltdarstellungen im Netz könne sich etwas aufbauen, das am Ende zu Taten wie dem Übergriff auf das Mädchen und auch Rachetaten führe, erklärt der Psychiater. In dem Alter wolle man sich ausprobieren, herausfordern und etwas Besonderes machen. Und anstatt auf Bäume zu klettern, seien die sozialen Medien eben jetzt eine riesige Plattform, wo so ein Ausprobieren ausgelebt werden könne, sagt der Experte weiter.
Experte: Inhalte müssen gelöscht werden
Bei seinen Beratungen trifft Munz auf Opfer solcher Inhalte. Es sind junge Menschen, die in peinlichen Situationen gefilmt wurden oder sich sogar selbst gefilmt haben und deren Videos nun in immer größeren virtuellen Kreisen geteilt würden. "Ich würde mir für dieses Kind aus dem Fall in Heide wünschen, dass die Inhalte gelöscht werden und dass wir gesellschaftlich Mechanismen finde, solche Inhalte komplett zu löschen. Das wäre eigentlich, was wir dazu brauchen."